Impfung ohne Priorisierung: Ärzte schlagen Alarm APOTHEKE ADHOC, 18.05.2021 15:05 Uhr
Am 7. Juni soll die Impfpriorisierung enden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bittet um Geduld – nicht alle Impfwilligen würden innerhalb weniger Tage einen Termin bekommen. Doch die Ärzte schlagen bereits Alarm: Es drohe ein Ansturm, der die Regelversorgung gefährden könnte.
Spahn bat am Montagabend nach Beratungen mit seinen Länderkollegen die Menschen um Geduld. „Dass am 7. Juni oder auch in der Woche des 7. Juni alle, die wollen, geimpft werden können, das kann ich ausdrücklich nicht sagen“, erklärte er in den ARD-Tagesthemen. „Das heißt nicht, dass wir dann alle binnen weniger Tage impfen können. Ich muss weiterhin auch da um Geduld bitten.“ Man werde bis in den Sommer hinein brauchen, um alle, die wollen, auch impfen zu können.
Das Zeichen ist allerdings gegeben: Millionen Menschen könnten jetzt binnen kurzer Zeit versuchen, einen Impftermin zu ergattern – so die Befürchtung. Der Hausärzteverband Nordrhein klagt bereits, nicht abreißende Anfragen nach Impfstoff und eine „extrem aggressive Stimmung“ würden zahlreiche Praxen zurzeit vor große Probleme stellen. Im Augenblick liefen die Telefone in den Praxen heiß, so dass diese zunehmend Schwierigkeiten bei der Regelversorgung hätten, sagte der Verbandsvorsitzende Oliver Funken am Dienstag in der Rheinischen Post.
„Wir haben inzwischen eine gefährliche Entwicklung: Zahlreiche Hausarztpraxen melden sich vom Impfsystem wieder ab“, sagte der Mediziner weiter. Es gehe dabei auch um das Wohl der Beschäftigten und um den Fortbestand der Praxis. Es könne nicht sein, dass die Mitarbeiter angesichts der chaotischen Situation in die innere Kündigung gingen, weil sie mit diesem Massenansturm nicht klarkämen, warnte er. Er hoffe, dass sich die Situation Ende des Monats mit zusätzlichen Impfstoff-Lieferungen entspannen werde. Gleichzeitig geht er für die Sommerurlaubsmonate von erneuten Engpässen aus, wenn Hausärzte und ihr medizinisches Personal für je ein bis zwei Wochen in die Ferien gingen: „Wir müssen davon ausgehen, dass 30 Prozent der Arztpraxen in den Sommerferien ein oder zwei Wochen schließen.“
Ebenjene zusätzlichen Lieferungen erwartet der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Damit werde die Bundesregierung für einen deutlichen Schub bei den Lieferungen der Vakzine gegen Corona sorgen. „Wir gehen davon aus, dass Minister Spahn deshalb das Datum ab 7. Juni genannt hat, da dann wohl mit deutlich steigenden Liefermengen zu rechnen sein dürfte“, sagte Gassen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Grundsätzlich begrüßte er die Entscheidung, die Priorisierung aufzuheben: „Wir finden das gut. Es macht die Arbeit der niedergelassenen Kolleginnen und Kolleginnen leichter. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass ausreichend Impfstoffe da sind.“
In der letzten Maiwoche sollen die Hausärzte in Deutschland erstmals Impfstoff von Johnson & Johnson erhalten. „Der Bund wird für die Woche vom 25. bis 30. Mai rund 1,6 Millionen Dosen von Biontech, etwas mehr als 500.000 Dosen von Johnson & Johnson und voraussichtlich 600 000 von AstraZeneca bereitstellen“, teilte die KBV den Praxen in einer Mitteilung mit.
Klaus Heckemann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Sachsen, vermutet jedoch, dass die zugesagten Mengen nicht reichen werden – weder jetzt noch im Juni. Er warne mit Blick auf die Aufhebung der Impfpriorisierung in den Arztpraxen vor zu großen Erwartungen. Noch gebe es nicht genügend Impfstoff, um die Nachfrage zu bedienen. Allerdings gehe er davon aus, dass auch die später erwarteten Mengen noch nicht den Bedarf decken. Momentan etwa sei der Impfstoff in so mancher sächsischer Praxis knapp, um etwa selbst die von der Sächsischen Impfkommission empfohlene Biontech-Zweitimpfung innerhalb von drei Wochen zu realisieren. Erst ab Juli, so die Prognose von Heckemann, werde die Nachfrage wohl abflachen und sich die Situation entspannen.
AstraZeneca sei in den Praxen der Hausärzte hingegen ausreichend vorhanden, auch beim Impfstoff von Johnson & Johnson rechnet Heckemann nicht mit einem großen Ansturm. „Vielleicht bringt es was, weil nur einmal geimpft werden muss.“ Der Freistaat hatte bereits Ende April die Impfreihenfolge für AstraZeneca beendet und will bereits zwei Wochen vor dem Bund die Impfpriorisierung für alle Corona-Impfstoffe aufheben. Allerdings gilt das nur für Arztpraxen und nicht für die Impfzentren. In der Praxis allerdings müssen die Ärzte dennoch eine Priorisierung vornehmen, solange der Impfstoff nicht ausreicht. „Wir impfen dann erst einmal diejenigen, die wir als dringend einschätzen“, erklärte Heckemann. Bereits durch die Erweiterung auf die Prioritätengruppe 3 hätten viele Menschen Anspruch auf eine Corona-Schutzimpfung, so dass die Ärzte in den vergangenen Wochen ohnehin bereits entscheiden mussten, wem sie eine Spritze geben.
Die KV rechnet damit, dass die Nachfrage nach Pfingsten in die Höhe schnellen wird. Bereits nach der Ankündigung der Freigabe seien die Telefone in vielen Praxen heiß gelaufen. Heckemann appellierte zudem an die Hausärzte, sich an der Impfkampagne zu beteiligen. Laut Gesundheitsministerium impfen sachsenweit derzeit rund 2500 Ärzte, rund 4000 wären in der Lage, Corona-Schutzimpfungen zu verabreichen.
Der Deutsche Hausärzteverband sprach von einer großen Herausforderung für das Praxispersonal, das schon von Anfragen überrannt werde. „Bei allem Verständnis dafür, dass jede und jeder jetzt so schnell wie möglich dran kommen will, appelliere ich an die Patientinnen und Patienten: Habt Geduld!“, sagte der Vorsitzende Ulrich Weigeldt der Rheinischen Post.