Gesundheit ist eines der wenigen Politikfelder, auf das die EU bisher kaum Einfluss hat. Entsprechend ist Europa ein gesundheitspolitischer Flickenteppich: In jedem Land sind Regeln und Strukturen anders, da bilden die Apotheken keine Ausnahme. Der EU-Apothekerverband PGEU setzt sich deshalb für mehr Kooperation ein und hat in einem Weißbuch die aus seiner Sicht besten Modelle zur Rolle der Apotheken bei der Prävention und Behandlung übertragbarer Krankheiten zusammengestellt. Die Botschaft: Von diesen Ländern kann Europa lernen.
„Übertragbare Krankheiten überqueren Grenzen – sowohl von innerhalb der EU als auch aus dem Rest der Welt“, stellt das Best Practice Paper gleich zu Beginn klar. Deshalb muss die Gesundheitspolitik in Europa den Spagat schaffen, bei ihren Maßnahmen der Grenzenlosigkeit etwa von Infektionskrankheiten gerecht zu werden, ohne dabei das Subsidiaritätsprinzip zu missachten. Das gehört nämlich zu den Grundprinzipien der EU: Die Union darf nur dann in bestimmte politische Angelegenheiten eingreifen, wenn sie nicht auf regionaler Ebene gelöst werden können.
„Wir müssen unsere Bürger besser schützen und werden dazu einen gemeinsamen Aktionsplan für nationale Impfpolitiken vorstellen“, hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/PCS) vergangenes Jahr in seiner Rede zur Lage der EU angekündigt. „Dieser wird die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, Impfprogramme umzusetzen, den Widerstand gegen Impfungen zu verringern und die Versorgung mit Impfstoffen zu verbessern.“
Und hier kommt die PGEU ins Spiel: In einem jüngst veröffentlichten Report vergleicht der EU-Dachverband die nationalen Ansätze und formuliert Empfehlungen an die europäischen Regierungen und die Institutionen der EU. Die Botschaft, die mitschwingt: Von diesen Ländern kann der Rest Europas lernen.
So sollen Apotheker europaweit stärker in die nationalen Impfstrategien eingebunden und in die Lage versetzt werden, „neue und innovative Dienstleistungen anzubieten, um auf die Bedrohung durch übertragbare Krankheiten und den Widerstand gegen Impfungen zu antworten“. Damit ist insbesondere die Prävention von Infektionskrankheiten gemeint, denn hier zeigt sich der gesundheitspolitische Flickenteppich besonders deutlich: So kann man sich in zwölf europäischen Ländern in Apotheken gegen die Grippe impfen lassen, in sieben von ihnen von einem approbierten Apotheker, in drei von ihnen auch von Ärzten oder Krankenschwestern. In drei Ländern wiederum müssen Arzt oder Krankenschwester anwesend sein, um eine Impfung vorzunehmen.
In England beispielsweise kann sich seit 2015 jedermann von einem Apotheker impfen lassen, ein Termin ist dazu nicht notwendig. Allein in der Grippesaison 2016/17 haben das über eine Million Engländerinnen und Engländer in 8500 Apotheken wahrgenommen. Einen ähnlich positiven Befund liefert die PGEU für Irland: Dort kann man sich seine Influenza-Vakzine bereits seit 2011 in der Apotheke verabreichen lassen. Statistiken würden zeigen, dass dadurch in den vergangenen Jahren vor allem die Durchimpfungsrate des Bevölkerungsteils gestiegen sei, der zuvor noch nie eine Grippeimpfung erhalten hatte – immerhin rund ein Sechstel der Gesamtbevölkerung.
Einen ähnlichen Effekt erhofft man sich in Frankreich, wo 2017 ein Pilotprojekt gestartet ist. Denn 2016 waren nur 46 Prozent der gefährdeten Bevölkerung gegen Grippe geimpft – deutlich weniger als die 75 Prozent, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. 2813 teilnehmende Apotheken in den beiden Regionen Nouvelle-Aquitaine und Auvergne-Rhône durften deshalb in der vergangenen Grippesaison impfen – und taten das zwischen September 2017 und März 2018 fast 160.000 Mal.
Zumindest innerhalb der Gruppe von Ländern, in denen Apotheker impfen dürfen, sind die Anforderungen daran relativ gleich: So müssen Apotheker beispielsweise in Portugal einen Impfkurs belegen und das Zertifikat, das sie dafür erhalten, aller fünf Jahre erneuern. Außerdem müssen sie nachweisen, dass sie sich laufend fortbilden und ein Erste-Hilfe-Zertifikat vorlegen. Dabei muss nicht nur die Fähigkeit zur Wiederbelebung nachgewiesen werden, sondern auch der Umgang mit Adrenalin-Injektoren für den Fall eines anaphylaktischen Schocks bei der Impfung.
Auch in Deutschland kommt immer wieder die Forderung nach dem Impfrecht für Apotheker auf, zuletzt vom Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK). Dessen Vorsitzender Dr. Stefan Hartmann rief kürzlich die Standesvertretung der Apotheker auf, sich nicht vor möglichen Forderungen der Ärzteschaft nach dem Dispensierrecht abschrecken zu lassen, sondern sich auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu berufen, der die Apotheker aufforderte, mehr Kompetenzen als Heilberufler einzubringen.
Vorreiter gibt es in Europa jedoch nicht nur bei der Impfung, sondern auch im Bereich der Aufklärung und Diagnose. PGEU plädiert dafür, dass die Apotheker europaweit mehr Kompetenzen erhalten, Test-Kits für übertragbare Krankheiten abzugeben. Nachdem es bereits in den meisten Ländern die Möglichkeit gibt, bestimmte Gesundheitswerte wie den Cholesterinspiegel (in 22 Ländern) oder den Blutdruck (in 27 Ländern) messen zu lassen, sei das nur „der nächste Entwicklungsschritt“. Beispielsweise könnten durch die Bereitstellung von Streptokokken-Schnelltests in Apotheken indirekt die Nachfrage nach Antibiotika gesenkt werden, so der PGEU-Bericht. Auch für die Abgabe von HIV-Tests sei die Apotheke eine der besten Stellen. Hier dient Frankreich als Vorbild.
Der europäische Apothekerverband wurde 1959 in Frankfurt am Main gegründet und hat seinen Hauptsitz in Brüssel. Zu Beginn als Netzwerk zum Erfahrungsaustausch entstanden, wurde aus ihm schnell ein zunehmend straff organisierter Verband. Mit Ausweitung der Kompetenzen der EG und später EU sowie der Aufnahme weiterer Mitgliedsstaaten bekam der Verband immer neue Aufgaben. So half die PGEU beispielsweise in den 1980er Jahren, die Ausbildung und Qualifizierung pharmazeutischen Personals europaweit anzugleichen.
Mit den EU-Verfahren zum Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie zu Niederlassungsbeschränkungen für Apotheken gewann der Verband erneut an Profil. Heute vertritt er rund 400.000 Pharmazeuten aus 32 Ländern – insgesamt 160.000 Apotheken. Sie alle sind über ihre nationalen Standesorganisationen Mitglied – insgesamt hat PGEU 27 ordentliche Mitgliedsverbände sowie fünf mit Beobachterstatus. Mehrfach im Jahr finden Treffen der Generalversammlung, der Arbeitsgruppen oder des Vorstands statt. Dessen Vorsitz wechselt jährlich. Generalsekretärin ist seit März die Italienerin Ilaria Passarani.
Bereits Ende vergangenen Jahres plädierte der Verband in einem Meinungspapier für die Ausweitung der Serviceangebote von Apotheken in der medizinischen Grundversorgung. Dazu zählt der Verband die Betreuung eines Medikamentenplans, Impfungen, Screenings, Raucherentwöhnungen, die Behandlung von leichten Beschwerden, die Förderung der Gesundheitsprävention und einem besseren Management von lang andauernden Erkrankungen. Auch bei Pharmakovigilanz und Risikominimierung fordert PGEU mehr Kompetenzen für die europäischen Apotheker.
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