Erst Großbritannien, dann EU

Impfstoffstreit eskaliert: AstraZeneca und EU zoffen sich auf offener Bühne

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Berlin -

Der Streit um den Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca geht weiter. Während die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) erwägt, der Vakzine nur eine auf bestimmte Altersgruppen beschränkte Zulassung zu erteilen, streiten sich die EU-Kommission und der britische Konzern über Produktionskapazitäten und Lieferverzögerung. Heute Abend sollte eine Krisensitzung mehr Klarheit bringen. Doch die ist geplatzt. AstraZeneca habe kurzfristig abgesagt, heißt es aus Brüssel.

CEO Pascal Soriot weigere sich, an dem für heute Abend angesetzten Krisentreffen mit hohen EU-Vertretern teilzunehmen, berichteten unter anderem das Politikmagazin Politico und die BBC unter Berufung auf Funktionäre der EU-Kommission. Demnach wollte Soriot die Antworten auf die Fragen der EU zu den Lieferkürzungen schriftlich an Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides übermitteln. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten hätten den Konzern anderen Berichten zufolge gebeten, sich das noch einmal gut zu überlegen. Andere Medien berichteten unter Berufung auf die österreichische Regierung, das Treffen solle am Donnerstag nachgeholt werdern. Nur Stunden später folgte dann der Rückzieher vom Rückzieher: Das Meeting werde doch wie geplant am Mittowchabend um 18.30 Uhr stattfinden, hieß es plötzlich aus Brüssel.

Bereits am Montag soll es zwischen Konzern- und EU-Vertretern zu Streit gekommen sein. Die EU-Staaten hatten bei einem Treffen nach Angaben von Teilnehmern Frust und Unmut geäußert. „Astrazeneca hat sich keinen Gefallen getan“, sagte ein EU-Diplomat danach. Es sei ein Kommuikationsfehler gewesen, die Lieferprobleme so spät mitzuteilen. Das habe alle beschädigt. Aus Kommissionskreisen hieß es weiter, es sei nicht verständlich, warum nicht in Großbritannien produzierte Impfstoffdosen an die EU geliefert würden. Wesentliche Aussagen aus dem Interview Soriots bestreite man. Deshalb verlangt die EU-Kommission von AstraZeneca weitere Informationen zur Erklärung der Lieferkürzungen um rund 60 Prozent. Statt der von der EU erwarteten 80 Millionen Impfdosen im ersten Quartal sollen nun nur 31 Millionen geliefert werden. AstraZeneca begründet das mit Problemen in der Lieferkette, die EU-Kommission will das aber nicht gelten lassen und fordert Vertragstreue von AstraZeneca.

Am Dienstagabend hatte Soriot in einem Interview mehreren Medien gegenüber klargemacht, dass er die Schuld für die Verzögerungen eindeutig im langsamen Vertragsabschluss der EU sieht. „Wir sind in Europa jetzt zwei Monate hinter unserem ursprünglichen Plan“, so Soriot unter anderem gegenüber der Zeitung „Die Welt“. Auch in in Großbritannien habe es Anfangsprobleme gegeben. „Aber der Vertrag mit den Briten wurde drei Monate vor dem mit Brüssel geschlossen. Wir hatten dort drei Monate mehr Zeit, um Pannen zu beheben.“

Auch den Vorwurf mangelnder Vertragstreue wies Soriot darin entschieden zurück. Es gebe in den Verträgen keine zugesicherte Liefermenge, sondern lediglich eine „Best-Effort“-Klausel. „Der Grund war, dass Brüssel mehr oder minder zum selben Zeitpunkt beliefert werden wollte wie die Briten – obwohl die drei Monate früher unterzeichnet hatten. Darum haben wir zugesagt, es zu versuchen, uns aber nicht vertraglich verpflichtet“, so Soriot. Welche Seite die Unwahrheit sagt, ist noch nicht zweifelsfrei zu belegen, denn die Verträge zwischen Konzern und Kommission sind nach wie vor nicht öffentlich.

Soriot erklärte gegenüber der „Welt“, dass die Probleme nicht bei Produktion in den Niederlanden und Belgien und auch nicht beim Abfüllprozess in Italien und Deutschland lägen. „Das alles funktioniert reibungslos.“ Schwierigkeiten gebe es vielmehr bei der Herstellung der eigentlichen Substanz: „Wir haben Zellkulturen in großen Tanks, die bis zu 2000 Liter fassen, in die wir das Virus injizieren. In einigen Tanks entwickelt sich ein sehr hoher Ertrag, in anderen nur ein niedriger. Just in Europa ist der Ertrag bei einer Anlage niedrig.“ Die Anlagen mit der niedrigsten Produktivität seien die in Europa. „Das machen wir ja nicht mit Absicht! Ich bin Europäer, unser Vorsitzender ist es, unser Finanzchef auch. Vergessen Sie nicht: Wir entwickeln den Impfstoff gemeinnützig, wir verdienen damit kein Geld. Ich denke, wir behandeln Europa wirklich fair“, so Soriot. Er verstehe, dass die Menschen nach so vielen Monaten der Pandemie müde seien und den Impfstoff wollten. „Regierungen kommen unter Druck. Ich verstehe auch, dass die EU-Kommission den Prozess nun für ganz Europa managen muss.“ Es könnte demnach zwei bis drei Monate dauern, bis Impfstoff im geplanten Umfang an die EU geliefert wird. „Sobald wir in den nächsten Tagen die Zulassung erhalten, liefern wir drei Millionen Dosen. Dann jede Woche mehr, bis wir bei 17 Millionen sind. Die werden nach Bevölkerungszahl verteilt, für Deutschland mithin ungefähr drei Millionen in einem Monat.“ Das sei „gar nicht so schlecht.“

Was die Debatte um eine fehlende Wirksamkeit bei älteren Menschen angeht, sagte Soriot: „Ich habe keine Ahnung, woher diese Zahl kommt. Sie stimmt nicht. Wie kann man annehmen, dass Prüfbehörden rund um den Globus ein Mittel zulassen, das nur 8 Prozent Wirksamkeit hat? Wie gesagt, die Nerven liegen blank. Es wird über alles Mögliche dumme Zeug geredet. Vielleicht gibt es dafür jeweilige politische Gründe? Ich weiß es nicht. Ähnlich war es ja anfangs auch mit Masken und Testungen, die wurden ebenfalls zum politischen Werkzeug.“

Er räumte aber ein, dass es bisher begrenzte Daten für die Älteren gibt. „Oxford wollte aus ethischen Gründen in den ersten klinischen Studien keine älteren Menschen testen, bis sie genug Sicherheitsdaten aus der Gruppe der 18- bis 55-Jährigen haben. Aber wir haben robuste Daten, die die starke Antikörperproduktion bei Älteren gegen das Virus belegen. Letztlich ist entscheidend, dass das Mittel gegen schwere Erkrankung schützt und klinische Behandlung unnötig macht. Manche Länder mögen unseren Impfstoff nur an jüngere Menschen vergeben. Ehrlich, das ist in Ordnung. Es gibt ohnehin nicht genug davon.“

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, FDP-Politikerin Nicola Beer, forderte wegen der gekürzten Liefermengen Einblick in die Verträge. „Wir haben bislang geschwärzte Entwürfe gesehen. Ich glaube, es kann nicht angehen, [...] dass wir im Grunde genommen überhaupt keine Informationen kriegen“, sagte Beer am Mittwoch dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). In den Dokumenten, die ihr zugänglich sind, seien die entscheidenden Stellen – Anzahl der Impfdosen, Auslieferungsdatum und Preis – komplett geschwärzt worden. Für die LKlärung des Problems sei aber Transparenz notwendig. „Denn wir sehen ein Schwarzer-Peter-Spiel und darunter leidet die Vertrauenswürdigkeit.“ Es könne nicht sein, dass die EU-Kommission da mauere.

Der Impfstoff von AstraZeneca wäre nach dem von Biontech/ Pfizer und Moderna der dritte, der in der EU zugelassen wird. Am Freitag will die EMA darüber entscheiden, ob sie gegenüber der EU-Kommission eine Zulassungsempfehlung aussprechen will. Die Zulassung wäre dann nur noch ein formaler Akt. Doch auch bei dem Thema gibt es derzeit Streit um den Impfstoff, nachdem Berichte über eine angeblich mangelnde Wirksamkeit bei Probanden über 65 Jahren öffentlich gemacht und von AstraZeneca umgehend dementiert wurden.

Sicher ist nach Aussagen EMA und Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorerst lediglich, dass die Datenlage bei über 65-Jährigen recht dünn ist und eine auf bestimmte Altersgruppen beschränkte Zulassung diskutiert wird. Nur 8 Prozent der Probanden in der klinischen Phase-III-Studie waren demnach zwischen 56 und 69 Jahren, gerade einmal 3 bis 4 Prozent über 70 Jahre. Das BMG bestätigte deshalb am Mittwoch, dass im Falle einer auf jüngere Altersgruppen beschränkten Zulassung eine Änderung der bisherigen Impfstrategie geprüft werde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe das bereits mit seinen Kollegen auf Länderebene erörtert. „Ob und in welchem Umfang die Impfverordnung geändert werden muss, kann erst nach der Entscheidung der EMA und nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entschieden werden“, so ein Ministeriumssprecher gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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