„Kassen sind keine Gesundheits- oder Ordnungsbehörden“

Impfpflicht: Kassen warnen vor Papiermangel

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Berlin -

Der GKV-Spitzenverband warnt vor dem Scheitern einer möglichen Impfpflicht für alle Bürger:innen ab 18 oder 50 Jahren. Dadurch kämen gigantische bürokratische Aufgaben auf die Kassen zu, die bis zum vorgesehenen Datum schlicht nicht zu erfüllen wären und mehr Schaden als Nutzen anrichten könnten. Es scheitere allein schon am Papier.

Die Impfpflicht ab 18 Jahren hat nach derzeitigem Stand wohl die besten Aussichten auf eine Annahme durch den Bundestag: Rund 230 Abgeordnete unterstützen den Antrag des grünen Gesundheitspolitikers Janosch Dahmen und von SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Der Antrag des FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann hingegen sieht eine Impfpflicht ab 50 Jahren vor.

Was beiden Anträge vereint: Ihre Verfasser wollen, dass die Kassen den Impfstatus aller Versicherten abfragen und melden. Was in den Entwürfen mit wenigen Worten abgehandelt wird, ist in der Realität hingegen ein bürokratisches Monstrum, warnt der GKV-Spitzenverband nun in seinen Stellungnahmen zu den Entwürfen mit deutlichen Worten.

„Die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Maßnahmen drohen, das Ziel der Erreichung einer höheren Impfquote zu konterkarieren und die Bemühungen zur Überwindung der Pandemie und zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu unterminieren“, so der Spitzenverband. Denn die beiden Anträge würden den Kassen gegenüber ihren Versicherten umfangreiche Erhebungs-, Prüf- und Meldepflichten auferlegen, die so nicht zu leisten seien.

Das hat eine Reihe ganz praktischer Gründe: Die Krankenkassen hätten gar nicht die erforderlichen Daten, um alle Versicherten in der vorgesehenen Weise sicher zu erreichen. Das sei nicht nur wegen nicht aktualisierter Adressen so, sondern auch aufgrund von Familienversicherten, bei denen nur der Hauptversicherte, nicht aber die Mitversicherten – also beispielsweise getrennt lebende Partner oder aber Kinder fern des Wohnortes der Eltern im Studium oder in Ausbildung – sicher erreicht werden können. Hinzu kämen Nicht-Versicherte, zu denen keinerlei Informationen vorliegen. Zusammengenommen betreffe das potenziell über 16 Millionen Bürger:innen.

Und selbst wenn die Kasse eine:n Versicherte:n erreicht: Millionen Versicherte würden wohl allein schon durch verspätete Meldung oder das Scheitern am technischen Übermittlungsprozess trotz vorliegendem Impf- oder Genesenenstatus zu Unrecht an die Bußgeldstellen gemeldet werden müssen. „Betroffen wären vor allem auch jene, die genesen sind oder sich bereits haben impfen lassen und die die Bekämpfung der Pandemie in der Vergangenheit solidarisch unterstützten sowie Ältere und Bürgerinnen und Bürger in vulnerablen Gruppen“, so die Kassen. Die Bußgeldbehörden wiederum würden durch die falsch-negativen Meldungen überlastet. „Die Durchsetzung der Impfpflicht würde dadurch im selben Maße wie das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der politisch Verantwortlichen geschwächt.“

Die praktischen Einwände sind jedoch noch grundlegender: Es mangele an genug Druckereien – und Papier. Deshalb sei organisatorisch gar nicht zu erfüllen, die Versicherten bis zum 15. Mai individualisiert anzuschreiben. Im Zeitraum nach der Gesetzesverkündung müssten die Kassen demnach pro Woche 1,8 Millionen Schreiben drucken und versenden – was weder durch interne noch durch externe Druckerei umsetzbar wäre, auch weil alle Kassen gleichzeitig auf die gleichen Dienstleister zugreifen müssten. Außerdem wären für die Vergabe von Aufträgen dieser Größenordnung europäische Vergaberegularien anzuwenden, die ebenfalls in dem kurzen Zeitrahmen gar nicht umsetzbar wäre. Hinzu komme: Die GKV geht von insgesamt 120 Millionen Schreiben aus – in Europa herrsche aber Papiermangel, es fehle schlicht an Material für diese Menge an Briefen.

All die praktischen Einwände sollten aber nicht vergessen lassen, dass die GKV auch ganz grundsätzliche Einwände gegen die angedachte Verantwortung hat: Es sei schlicht nicht ihre Aufgabe. Die Krankenkassen seien keine Gesundheits- oder Ordnungsbehörden. „Die Überwachung der Impfpflicht ist eine staatliche Aufgabe“, so die Stellungnahme. „Die Überprüfung des Impfstatus sowie die Meldung der Bürgerinnen und Bürger durch die Krankenkassen an die Bußgeldstellen würden das wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Versicherten und Krankenkassen stark belasten.“ Um Schaden zu vermeiden und das Ziel einer hohen Durchimpfung der Bevölkerung zu erreichen, rate die GKV daher dringend von den vorgesehenen Erhebungs-, Prüf-und Meldepflichten im Rahmen der Beratungen zur Einführung einer Impfplicht ab.

Impfpflicht könnte ePA diskreditieren

Der Gesetzesvorschlag zur Impfpflicht hebt aber auch auf ein weiteres Ziel ab: En passant soll er die flächendeckende Ausstattung der Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte (ePA) forcieren. Dazu soll kurzfristig die sogenannte Opt-Out-Lösung gesetzlich implementiert werden, also eine Widerspruchslösung zur ePA für die Versicherten. „Dies umzusetzen wäre zeitlich unmöglich“, so die Kassen. Denn die ePA müsste hinsichtlich ihrer Akten- und Sicherheitsarchitektur sowie ihres Kontoverwaltungssystems maßgeblich umgebaut werden. Einen realistischen Zeitrahmen für diese Anpassungen nennen die Kassen dabei auch: der 1.Januar 2024 – und selbst das nur, wenn die Gematik rechtzeitig die erforderlichen Spezifikationen bereitstellt. Dabei könnte das nach GKV-Sicht einen erheblichen Schaden für dieses zentrale Digitalisierungsprojekt verursachen: „Durch unhaltbare Fristsetzungen, eine überstürzte und schlecht kommunizierte Opt-Out-Lösung sowie die Verknüpfung der Meldung des Impfstatus mit Sanktionsmaßnahmen für Versicherte bei Nichterfüllung der Impfpflicht würde dem ePA-Projekt erheblicher und bleibender Schaden zugefügt.“

Außerdem ergäbe die Information über den Impfstatus in der ePA „keinen erkennbaren Mehrwert“, schließlich hätten die Bürger:innen das Impf-Zertifikat bereits in digitaler Form in der Covpass- oder Corona-Warn-App vorliegen. Eine doppelte Ablage von Zertifikaten ohne tiefergehenden Nutzen könnte den Versicherten nicht sinnvoll vermittelt werden. „Dieses Vorhaben würde das Vertrauen der Versicherten in die ePA und Digitalisierung des Gesundheitssystems ganz allgemein nachhaltig untergraben.“

Anders sähe das aus, wenn sich der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchsetzt: Er sieht keine Impfpflicht vor, sondern den Aufbau eines Impfregisters, bei dem auf die Basisdaten des Bundeszentralamtes für Steuern zurückgegriffen wird. Das entspricht scheinbar schon eher den Vorstellungen der Kassen, denn für ihn gilt das Gleiche wie für den von FDP-Politiker Wolfgang Kubicki eingebrachten Antrag gegen eine Impfpflicht: „In diesem Kontext werden den Krankenkassen im Antrag richtigerweise keine Aufgaben zugewiesen.“

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