Grüne wollen „Innenstadt-Offensive“

500-Millionen-Fonds für Innenstädte

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Berlin -

Zum Einkauf ins Center und den Rest im Internet bestellen: Deutschlands Innenstädte veröden zusehends, wird seit Jahren beklagt. Auch viele Apotheken in eigentlich guten Lagen spüren das seit Langem, vielerorts nimmt die Laufkundschaft langsam, aber beständig ab. Die Coronakrise verschärft diesen Trend nochmal. Vor wenigen Wochen erst kündigte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) deshalb an, er wolle eine „Trendwende“ herbeiführen. Jetzt haben auch die Grünen ein Konzept vorgelegt, mit denen sie die Innenstädte retten wollen.

„Belebte Innenstädte und Ortskerne, die man gerne besucht, in denen man verweilt, genießt und andere Menschen trifft, tragen enorm zu unserer Lebensqualität bei. Sinken die Anziehungskraft und Aufenthaltsqualität, verlieren alle – Bewohnerinnen und Bewohner, Gewerbetreibende und die Kommune an sich“, so die grüne Bundestagsfraktion in einem aktuellen Antrag. Und danach sieht es stark aus. Bundesweit seien bis zu 50.000 Geschäfte in Gefahr, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth, im Oktober. Der Umsatz liege derzeit im Schnitt etwa 30 Prozent unter dem Normalwert, weil die Leute Corona-bedingt weniger in die Städte gingen – und das war vor dem zweiten Lockdown.

Doch die Pandemie verschärft nur eine Entwicklung, die sich ohnehin seit Jahren abspielt. „Besonders in kleineren Städten und Nebenzentren greifen schon länger Leerstand und schleichende Verödung um sich“, schreiben die Grünen. Die Gründe dafür seien neben hohen und steigenden Mieten, den hohen Renditeerwartungen vieler in Innenstädten tätigen Immobilienfonds auch die vielen in den letzten Jahrzehnten errichteten Shopping Center auf der grünen Wiese, die Kaufkraft aus Innenstädten abziehen. Eine bedeutende Rolle spiele außerdem die wachsende Konkurrenz durch den Online-Handel, an dem stationäre Händler derzeit noch zu wenig partizipierten. „Die Digitalisierung des innerstädtischen Handels dagegen steckt noch in den Kinderschuhen“, so die Fraktion unter Federführung ihrer Abgeordneten Daniela Wagner.

Die Bundesregierung habe sich dem Problem noch nicht ausreichend gewidmet, kritisieren sie – und sogar falsche Anreize gesetzt: „Es war ein Fehler, auf die ineffektive Mehrwertsteuersenkung zu setzen, die vor allem dem Onlinehandel zugutekommt, stattdessen wären gezielte Kauf-vor-Ort-Gutscheine für den lokalen Handel der richtige Weg.“ Diese Gutscheine sollten demnach jedem Bürger zugestellt werden, für ein Jahr gültig sein und auf das zu versteuernde Einkommen angerechnet werden, damit sie vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zugutekommen. „Um bestehende Konzentrationstendenzen nicht zu verstärken, kann der Gutschein explizit nicht im Online-Handel verwendet werden“, so die Forderung.

Um Innenstädte und Ortskerne wieder attraktiver zu machen, brauche es „ein neues Leitbild“ und eine „Innenstadtoffensive“. Konkret fordern die Grünen dabei, einen „Städtebau-Notfallfonds“ in Höhe von 500 Millionen aufzulegen, um unter anderem Kommunen die Möglichkeit zu geben, innovative Konzepte zur Entwicklung ihrer Innenstädte unter Einbeziehung der Bürgerschaft in „Real-Laboren“ zu erstellen und Best-Practice-Beispiele anzuwenden sowie bei Leerstand Umnutzungskonzepte zu unterstützen, und gezielt Immobilien anzukaufen und Nutzungen zuzuführen. Darüber hinaus fordern sie, Kleingewerbe mit einem neuen Gewerbemietrecht zu schützen, das unter anderem für Kleingewerbe einen Mietrechtsschutz und eine Mietpreisbremse beinhaltet, sowie Händler, Gewerbe und Kultur in der Krise besser zu schützen, indem Corona-Hilfsprogramme zu entbürokratisiert und die Antragshürden gesenkt werden.

Auch an das Baurecht wollen sie Hand anlegen: Es solle angepasst werden, um den Kommunen mehr Handlungsspielräume zu eröffnen, Standorte für Gewerbeflächen und Innenstadtentwicklungskonzepte leichter planerisch zu sichern und die Nutzungsmischung von Wohnen, Handwerk, kleinteiligem Gewerbe, Handel, sozialen Einrichtungen, Kultur und weiteren nicht kommerziellen Freiflächen in Stadtvierteln besser schützen zu können.

Damit sich der stationäre Handel besser auf die Herausforderungen der Digitalisierung einstellen kann, soll ebenfalls Geld fließen: 290 Millionen Euro sollen im Rahmen der Städtebauförderung für Smart City Projekte bereitgestellt werden, unter anderem für Digitalisierungsinitiativen zur Belebung der Innenstädte. Auch solle die Bundesregierung dafür sorgen, dass ein schneller Breitband-Internetanschluss ein Element der Daseinsvorsorge wird. Gleichzeitig soll eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Marktmacht der Internetgiganten begrenzen und kleineren Unternehmen eine faire Chance geben.

Altmaiers Initiative aus dem Oktober sei in diese Richtung „nur ein erster Schritt“, kritisieren die Grünen. Der Wirtschaftsminister hatte hingegen angekündigt, sein Ziel sei eine „Trendwende“ hin zu mehr neuen Geschäften und lebendigen
Stadtzentren: Schon 2021 solle das Ladensterben gestoppt und ab 2022 dann umgekehrt werden. Das sind ambitionierte Ankündigungen, doch wie sollen sie umgesetzt werden? Dazu hatte Altmaier mehr als 20 Experten zurate gezogen. Nach weiteren Gesprächen solle ein schnell umsetzbares Handlungskonzept erarbeitet werden.

Ein zentraler Baustein soll nach aktuellem Stand auch dort die Digitalisierung des Einzelhandels sein. Altmaier sprach von der „Verlängerung der Ladentheke ins Internet“: Kunden sollen nicht nur bei den großen Internetkonzernen online shoppen, sondern vor allem bei den Webpräsenzen der Geschäfte vor Ort. „Es geht nicht darum, den Online-Handel gegen den stationären Handel auszuspielen“, so Altmaier – aber auch Einzelhändler sollten von den Vorteilen der Online-Ökonomie profitieren können. Konkret nannte er dabei Plattformen und Online-Marktplätze als gangbare Wege.

Der HDE wiederum fordert ein Hilfsprogramm für Händler, das aus finanzieller Unterstützung und der Begleitung durch Fachleute besteht. Altmaier wollte das noch nicht fest zusagen, kündigte aber an, dass es Teil des angestrebten Konzepts werden könne. Wann dieses Konzept stehen wird, kündigte er ebenso wenig an. Dafür machte er die Zusage, sich zumindest während der Coronakrise für mehr Sonntagsöffnungen einsetzen zu wollen – im Sommer sei das mit dem Koalitionspartner SPD nicht zu machen gewesen.

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