Das Apothekensterben findet nicht auf dem Land, sondern in Städten und Gemeinden statt. Zu diesem Schluss kommt das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im vergangenen Herbst beauftragte Gutachten zur teilweisen oder vollständigen Aufgabe der Preisbindung und der Gewährung von Rx-Boni nach ersten Informationen von APOTHEKE ADHOC. Offenbar sehen die Iges/DIW-Gutachter im sogenannten Apothekensterben einen normalen Prozess der Marktbereinigung. Die flächendeckende Arzneimittelversorgung sehen die Gutachter nicht gefährdet.
Die Gutachter haben die wirtschaftliche Situation der Apotheken untersucht. Sie kommen dem Vernehmen nach zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Existenzbasis für Landapotheken gesund und daher die flächendeckende Versorgung nicht gefährdet ist. Auch der Anteil des Online-Rx-Handels beunruhigt die Gutachter nicht. Dieser sei seit Jahren bei 1 Prozent stabil. Die meisten Apotheken schließen laut Gutachten in Stadtrandlagen. Dort sei der Wettbewerb besonders intensiv.
Das Gutachten dient unter anderem als Beratungsgrundlage für das Apothekenstärkungsgesetz. Am Freitag findet im Bundestag die 1. Lesung statt. Am 16. September hat der Gesundheitsausschuss dazu eine Anhörung angesetzt. Geladen dazu ist auch IGES-Gutachterin Iris an der Heiden. Die Anhörung wird 90 Minuten dauern und startet um 14 Uhr. Interessant ist die Liste der geladenen Sachverständigen: Neben an der Heiden nimmt auch Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas teil. Douglas ist ein Verfechter des Rx-Versandverbotes und hat beispielsweise Pharmaziestudent Benedikt Bühler mit seiner Rx-VV-Petition vor dem Petitionsausschuss des Bundestages vertreten. Allerdings tritt er auch für geringfügige Boni ein – sein Vater hatte in seiner Apotheke in Freiburg selbst den „Douglas-Taler“ etabliert.
Gutachterin an der Heiden wurde bekannt als Mitautorin des 2hm-Gutachtens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), dass den Apotheken vorrechnete, dass das Honorar drastisch gekürzt werden müsste. Insgesamt wollten die Gutachter rund eine Milliarde Euro beim Apothekenhonorar einsparen. Diese Summe schockte die Apothekerwelt. Als neues und ausreichendes Fixhonorar schlug 2hm damals 5,80 Euro statt 8,35 Euro vor. Denn pro Arzneimittelpackung fielen durchschnittlich nur fünf bis sieben Minuten Beratungszeit an, pro Rezept elf Minuten. Inzwischen arbeitet an der Heiden für das Iges-Institut. Dieses beauftrage Spahn mit einer Analyse zur Auswirkung der Preisbindung auf den Apothekenmarkt. Aus der Anwesenheit an der Heidens lässt sich schließen, dass das Gutachten inzwischen fertiggestellt wurde und in der Anhörung zur Sprache kommen soll.
Das vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Auftrag gegebene Gutachten zur teilweisen oder vollständigen Aufgabe der Preisbindung und der Gewährung von Rx-Boni soll laut BMG die Datengrundlage schaffen, um das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) zu retten. „Wir brauchen Daten, um vor Gericht und in Brüssel zu bestehen“, bringt es ein BMG-Sprecher auf den Punkt. Denn es herrschen nach wie vor Zweifel daran, dass die EU-Kommission das geplante Rx-Boni-Verbot im GKV-Sektor absegnen wird. Esc wird erwartet, dass im Laufe der Beratung im Parlament eine Antwort aus Brüssel auf den Tisch kommt.
Mehrere leitende Wissenschaftler der beiden Institute IGES und DIW haben sich in der Vergangenheit bereits mehr oder weniger eindeutig zum Thema positioniert. 2005 hatte das BMG schon einmal einen Auftrag für eine Studie zum Arzneimittelmarkt an Iges vergeben: „Steuerung der Arzneimittelausgaben und Stärkung des Forschungsstandortes für die pharmazeutische Industrie“, die eine Markt- und wettbewerbstheoretische Analyse der Regulierung des GKV-Arzneimittelmarktes enthielt. Deren Duktus: Im Arzneimittelmarkt ist eine stärkere Wettbewerbsorientierung notwendig.
„Zu einer solchen ordnungspolitischen Orientierung passen (…) keine zentralen Preisfixierungen oder Kollektivverhandlungen, sondern nur weitgehende Spielräume für einzelvertragliche Beziehungen beziehungsweise selektives Kontrahieren zwischen Krankenkassen und den pharmazeutischen Leistungserbringern wie Arzneimittelherstellern und -distributeuren“, so die Autoren. Als Gegenentwurf zu kollektiver Preisbindung präsentierte Iges damals eine „Reformoption für die Hersteller- und Distributionsebene der GKV-Arzneimittelversorgung entwickelt, die konsequent auf die Herstellung von Vertragswettbewerb auch in diesem Bereich des Leistungsgeschehens setzt“.
Auch das DIW hatte sich bis jetzt nicht als Verteidiger der Arzneimittelpreisverordnung hervorgetan. Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni vom Oktober 2016 begrüßte Prof. Dr. Tomaso Duso, Abteilungsleiter Unternehmen und Märkte am DIW, damals in einem Kommentar, der nach wie vor auf der DIW-Seite abrufbar ist: „Können Verbraucher nach der EuGH Entscheidung auf niedrigere Medikamentenpreise hoffen? Nicht, wenn es nach der Apotheken-Lobby geht“, so Duso. „Aber so sinnvoll eine Untergrenze oder eine Deckelung der Preise sein mögen, die starre Festsetzung von Aufschlägen ist es nicht. Innerhalb dieser Bandbreite sollte jede Apotheke ihre Preise frei gestalten können.“
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