Versandhandel vs. Vor-Ort-Apotheke

ApoRG: Stamm-Fibich sieht schwarz

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Berlin -

Wie digital ist die Arzneimittelversorgung? Wie kann dem Fachkräftemangel begegnet und Lieferengpässen entgegengewirkt werden? Wo steht der Versandhandel im Vergleich zur Apotheke vor Ort? Diese und weitere Fragen diskutierten Dr. Martina Stamm-Fibich (SPD), Dr. Georg Kippels (CDU), Walter Hess (DocMorris-CEO) und Gesundheitsökonom Professor Dr. David Matusiewicz auf der Tagesspiegel-Veranstaltung „Digitale Gesundheit: Arzneimittelversorgung weiter denken – Apothekenreform und Digitalisierung“.

Demografischer Wandel, Fachkräfte- und Nachwuchsmangel, Lieferengpässe und Defizite bei der Digitalisierung seien die großen Probleme der Apothekenbranche, erklärte Matusiewicz in seinem Eingangsstatement. Er sieht die Digitalisierung als essenziellen Kommunikationsprozess, bei dem analoge und digitale Apotheken inklusive KI-Tools sinnvoll miteinander verknüpft werden müssten. Gesundheitsversorgung dürfe nicht in Schwarz oder Weiß gedacht werden, in Zukunft brauche es flexible und mehrdimensionale Ansätze. Oberstes Ziel müsse immer die Verfügbarkeit von Medikamenten sein, betonte Matusiewicz.

„Wir müssen weiterdenken“, stimmte Stamm-Fibich zu. Die wirtschaftliche Situation der Apotheker habe sich in den letzten Jahren verschlechtert. Trotz dieser schwierigen Situation sei es wichtig, die Versorgung dort sicherzustellen, wo sie gebraucht werde. Die SPD-Politikerin erkenne zwar einen Reformbedarf; für die Pläne ihres Parteikollegen Lauterbach sehe sie allerdings schwarz. „Ich bin nicht sehr optimistisch, dass das Apotheken-Reformgesetz bald kommt.“ Sie sehe aber Potenzial den Apotheken über Änderungsanträge zu anderen Gesetzen unter die Arme zu greifen, wie nun beim Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (BIPAM-Gesetz) geschehen. „Wir sind hier einige Schritte weiter und arbeiten an Themen, die im ApoRG hätten stehen sollen.“

Dennoch gebe es noch Handlungsbedarf: „Wir sind noch dabei, einige Dinge in Ordnung zu bringen“, betonte sie. Weitere geplante Vorschläge betreffen laut Stamm-Fibich das Skonto-Urteil, das dringend einer gesetzlichen Heilung bedürfe. Auch die Finanzierung müsse geregelt werden. „Es bleibt abzuwarten, was sich am Ende durchsetzen lässt.“

Auch Kippels sieht derzeit wenig Chancen für das ApoRG. Die Apotheke ohne Präsenzapotheker sei ein Angriff auf das Berufsbild. Das sei mit der FDP nicht zu machen. „Ich würde das auch lieber geschlossen machen als über Einzelanträge. Impfen in der Apotheke zu ermöglichen ist gut, aber es macht die Apotheke nicht wirtschaftlich“, so Kippels.

Auf die Frage, warum bisher keine Anträge zur Verbesserung der finanziellen Situation eingebracht wurden, gleichzeitig aber jetzt die Impfung vorgezogen werden soll und mit dem Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) neue pDL kommen sollen, antwortet Stamm-Fibich nur knapp: „Wir sind dran, es muss etwas getan werden.“ Weitere Details nannte sie jedoch nicht.

Online- und Vor-Ort-Versorgung

„Wir brauchen die Telepharmazie als zweites Standbein, anders wird es nicht gehen“, kommentierte Hess. Laut Bundesapothekerkammer fehlen bis Ende des Jahrzehnts mehr als 10.000 Apotheker:innen, 44 Prozent davon seien Apothekenleiter:innen, zitierte er. Telepharmazeutische Lösungen müssten her, um den Mangel auszugleichen. Der finanzielle Druck ist groß, erklärte Hess mit Blick auf die gesetzlichen Krankenkassen. „Das hat zur Folge, dass es keinen Spielraum für Strukturen gibt, die ineffizient sind.“ Dazu zählte er auch unrentable Apothekenstandorte in Innenstädten.

„Wir haben Videoberatung, Telefonberatung, Telepharmazie. Das ist für uns nichts Neues, das ist auch ein Bedürfnis der Patienten, gerade in strukturschwachen Regionen“, erklärt der DocMorris-Chef. Seit der Pandemie seien auch ältere Menschen im Umgang mit digitalen Angeboten geübt. „Wir brauchen die Telepharmazie, nicht nur für den Kontakt zwischen Patient und Apotheker, sondern auch zwischen Arzt und Apotheker, wenn es um verschreibungspflichtige Medikamente im Notfall oder im Nachtdienst geht“, erklärte Stamm-Fibich. Gerade für die Notfallversorgung vor Ort brauche es nachhaltige Versorgungslösungen. „Sie sind dafür keine Lösung“, unterstrich Stamm-Fibich mit Blick auf Hess.

„Es geht uns gar nicht darum, dass die Apotheke vor Ort nicht mehr existiert“, stellt Hess klar. Nacht- und Notdienste könne der Versender schließlich nicht leisten. Die Zukunft müsse in hybriden Angeboten liegen. Dabei dürfe man neue Ideen wie zum Beispiel Abgabeautomaten nicht verteufeln, sondern müsse gemeinsam neue Formate entwickeln.

„Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch“, erklärte Kippels. Je nach Situation müsse der Kunde selbst entscheiden können, ob er die persönliche Beratung in der Apotheke vor Ort wünsche oder seine Medikamente online bestelle. „Wenn ich das Produkt persönlich mit dem Apotheker oder der PTA besprechen will, dann will ich das ermöglichen, die flächendeckende Versorgung muss gewährleistet sein. „Beides bitte“, betonte der CDU-Politiker. Aufgabe der Politik sei es nun, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass beides möglich bleibe.

„Wenn es um Arzneimittel geht, ist es gerechtfertigt, dass der Staat regulierend eingreift“, fand auch Matusiewicz. Allerdings dürfe es nicht zu viel Regulierung geben. Laut Kippels müsse die Politik zwar die Rahmenbedingungen schaffen, die konkrete Ausgestaltung und die Angebotsformate sollten aber dem freien Markt überlassen werden. Schließlich seien Apotheker:innen auch Unternehmer:innen.

Digitale Vernetzung gegen Lieferengpässe

Für das Massengeschäft sei die Abwicklung über den Versandhandel vielleicht geeignet, aber für die Bewältigung von Lieferengpässen brauche es die Apotheke vor Ort, so Kippels. Hier müsse die Beratung stattfinden, Rücksprache mit der Praxis gehalten und Patient:innen aufgeklärt werden. „Präsenzapotheke und Versandhandel können nebeneinander existieren, wenn sie sich anständig verhalten.“

„Über die Digitalisierung können wir die Versorgung viel besser koordinieren. Wir arbeiten mit über 200 Apotheken vor Ort, wir brauchen nicht nur ein Nebeneinander, es muss ein Miteinander werden“, entgegnete Hess. Hier müsse die Politik entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

Gerade im Hinblick auf Lieferengpässe wünschte sich Kippels mehr Digitalisierung. „Irgendwo schwirren immer Packungen herum, aber keiner weiß, wo sie sind.“ Die Apotheker müssten sie dann für lächerliche 50 Cent suchen. Hier bräuchte es ein digitales System, einen deutschlandweiten Bestandsplan. Man könne die Wirtschaftssysteme in den Apotheken verknüpfen, schlug Matusiewicz vor.

Therapietreue durch Vor-Ort Beratung

„Eine Beratung ohne Termin habe ich sonst nirgendwo im Gesundheitswesen“, hob der Gesundheitsökonom hervor. Die Apotheken könnten eine Art Gatekeeper-Funktion übernehmen, um die Menschen von den Arztpraxen fernzuhalten. „Eine Versorgungskette, die in der Apotheke beginnt“, sinnierte Matusiewicz. Er wünschte sich, dass Apotheker:innen digitaler werden.

Auch Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apothekervereins (BAV), meldete sich zu Wort. Die Apotheken seien bereits digital unterwegs, betonte sie. Schließlich funktioniere CardLink inzwischen auch in der Präsenzapotheke. Man habe die Einführung des elektronischen Rezepts unterstützt und bereite sich bereits auf die ePA vor. „Wir sind immer dabei, wenn Digitalisierung die Versorgung verbessert, aber nicht um jeden Preis.“

„Der Versandhandel ist da und wird auch nicht wieder verschwinden“, erklärte Stamm-Fibich. Mit Rabatten pro Rezept anzufangen, sei laut Kippels ein strategischer Fehler der Versender gewesen. Das habe die Situation stark aufgeladen. „Die Bevölkerung ist schon viel weiter und an hybride Versorgungsformen gewöhnt, lassen wir den Patienten entscheiden. Der Patient weiß es am besten“, so Hess abschließend.

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