HWG-Verstoß: Niederlage für AU-Schein.de APOTHEKE ADHOC, 05.09.2019 09:02 Uhr
Dem Internetportal AU-Schein.de könnte bald verboten sein, für sein Angebot zu werben. Das Landgericht Hamburg hat im Rechtsstreit zwischen dem Start-up und dem Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) gegen das Unternehmen entschieden.
AU-Schein.de hat es zu unterlassen, das Angebot in der bisherigen Form zu bewerben, weil die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) sowie §25 der Hamburger Berufsordnung der Ärzte verstößt, teilt das Landgericht auf Anfrage mit. „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung)“, heißt es dazu in §9 HWG.
Das sah die Kammer im Falle von AU-Schein.de als erwiesen an. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, das Unternehmen kann noch in Berufung gehen und hat angekündigt, das auch zu tun. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit müsste vom VSW beantragt und unter Hinterlegung einer Sicherheitsleistung durchgesetzt werden.
Der VSW hatte das Unternehmen im Februar abgemahnt. Die Ausstellung der Bescheinigung erfolge dort ausschließlich aufgrund von Angaben, die über einen Fragebogen gemacht werden können. Weder sähen die das Attest ausstellenden Ärzte den Patienten, noch sei ein telefonischer Kontakt zu dem Patienten erforderlich, um die Angaben zu verifizieren, so VSW-Geschäftsführer Ferdinand Selonke. In Hamburg war zu Jahresbeginn das Fernbehandlungsverbot in der Berufsordnung der Ärzte noch nicht gelockert worden. Auch wenn der Gesetzgeber den Weg die Fernbehandlung frei gemacht hat und die Berufsordnungen der Länder dem nach und nach angepasst werden, galt deshalb zu der Zeit in Hamburg noch, dass individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchgeführt werden dürfen.
Eine Arbeitsunfähigkeit stelle außerdem ein ärztliches Zeugnis dar. Dem AU-Schein komme im Rechtsverkehr eine erhebliche Bedeutung zu, weil er finanzielle Ansprüche des Patienten gegenüber dem Arbeitgeber oder der Krankenkasse begründen könne. „Die Ausstellung einer Bescheinigung, die ausschließlich auf nicht zuverlässig verifizierbaren Patientenangaben beruht, erfüllt nach Ansicht des Verbandes die Anforderungen, die an eine sorgfältige Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses zu stellen sind, nicht.“
AU-Schein.de-Geschäftsführer Dr. Can Ansay hat den Vorwürfen widersprochen. Es sei niemals für das telemedizinische Angebot geworben worden, sondern lediglich in der Presse darüber berichtet worden. „Auch ein Praxisarzt kann belogen werden bezüglich unüberprüfbarer Symptome wie zum Beispiel Kopfweh, Schwindel, Übelkeit“, sagt er. Zudem könne ein erkälteter Patient seine Symptome selbst gut einschätzen, so dass 90 Prozent der Erkältungen in Deutschland bereits ohne Arzt diagnostiziert und behandelt würden, ohne dass dadurch die Mortalitätsrate gestiegen wäre.
Ungeachtet des Urteils in Hamburg hat AU-Schein.de am Donnerstag bekanntgegeben, seine Produktpalette zu erweitern: Künftig will es auch bei starken Regelschmerzen Krankschreibungen ausstellen. Das neue Geschäftsfeld wird von der Gynäkologin Dr. Eva-Maria Ansay geleitet. Sie habe jahrzehntelang in ihrer Praxis Frauen betreut, so Ansay: „Es gibt Patientinnen, die während ihrer Periode unter enormen Schmerzen leiden, regelmäßig ohnmächtig werden oder sich stündlich erbrechen“, so Ansay. „Es muss endlich Schluss damit sein, dass Frauen sich an so einem Tag zur Arbeit schleppen, nur weil sie keine schiefen Blicke oder Karriere-Nachteile riskieren wollen!“ Mittlerweile hat das Unternehmen auch seinen Übertragungsweg geändert. Statt per Whatsapp werden die Krankenscheine nun über einen gesicherten Download-bereich auf der Webseite von AU-Schein.de übermittelt.