Kommentar

Hungerspiele für Apotheker Patrick Hollstein, 13.12.2017 14:56 Uhr

Berlin - 

Es ist nur ein Gutachten. Das noch nicht einmal offiziell veröffentlicht ist. Das nicht mehr Bedeutung hat als die Positionspapiere der Krankenkassen oder die Empfehlungen von Sachverständigenrat oder Monopolkommission. Entscheidender Unterschied ist der Auftraggeber. Denn der ist politisch für das Apothekenhonorar zuständig. Deswegen wird sich die Debatte in eine ungewünschte Richtung entwickeln. Die Standesvertretung der Apotheker wäre gut beraten, sich rechtzeitig aktiv in die Diskussion einzubringen.

Dass die Gutachter den Apothekern Geld abknöpfen wollen, dürfte wohl nicht anders zu erwarten gewesen sein. Mit Sicherheit hätte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) keine Analyse eingefordert, wenn es der Meinung gewesen wäre, dass die Apotheker einen Nachschlag verdient hätten. Und dass es die Zyto-Apotheken besonders hart treffen soll, war wohl auch keine ganz große Überraschung. Immerhin ist deren Geschäftsmodell so attraktiv, dass es sich sogar an die Börse bringen lässt.

Dass über alle Apotheken hinweg gleich ein Milliardenbetrag gekürzt werden soll – mithin ein Fünftel des Gesamthonorars – macht die Forderungen der Pharmazeuten nach einer Erhöhung nicht leichter. Es macht aber auch das Gutachten nicht unbedingt glaubwürdiger.

Doch womöglich ging es auch gar nicht darum, einen perfekten und für die Betroffenen fairen Vorschlag zu präsentieren. Denn schon nach den ersten bekannt gewordenen Details ist klar, dass eine Umstellung der Vergütung in diesem Ausmaß nicht nur viele Verlierer, sondern auch einige Gewinner hervorbringen würde. Und das werden nicht unbedingt jene „Buden“ sein, die vor Ort die Stellung halten.

Die Gutachter machen keinen Hehl daraus, dass sie einen Großteil der Apotheken für überflüssig halten. Welche das sind, wollen sie den „Hungerspielen“ überlassen – jenem tödlichen Wettkampf, bei dem nach dem Vorbild der Dystopie „Die Tribute von Panem“ ausgewählte Opfer zur Freude der Zuschauer aufeinander los gelassen werden.

Auch wenn die Gutachter nach eigenem Bekunden die Schere zwischen großen und kleinen Apotheken schließen und für Gemeinwohlaufgaben einen ordentlichen Betrag obendrauf legen wollen: Der Umverteilungskampf wird nicht in der Rezeptur oder im Notdienst entschieden. Den Kampf ums Überleben gewinnt derjenige unter den Rivalen, der den besseren Standort und den längeren Atem hat – und vor allem den besseren Packungsschnitt.

Erstmals seit der Umstellung des Honorars im Jahr 2004 soll die Vergütung der Apotheken nach den Vorschlägen wieder stärker an den Arzneimittelpreis gekoppelt werden. Teurere Medikamente würden wieder attraktiver als Niedrigpreiser – ein gesundheitspolitischer U-Turn, der im Gutachten mit Kostenstrukturen begründet wird, dessen möglichen Folgen für die Versorgungslandschaft aber nicht weiter aufgearbeitet werden. Das müsse eine spätere Analyse klären, finden die Gutachter.

Während die ABDA schweigen will, bis das offizielle Dokument vorliegt, hat Steuerberater Stefan Kurth aus Dresden schon einmal gerechnet. Seiner Analyse zufolge werden vor allem Apotheken mit Anbindung zu hochpreisig verordnenden Fachärzten profitieren – also jene Kollegen in Ärztehäusern, die schon heute eine Goldgrube als Standort gewählt haben. Wer hofft, Verluste im OTC-Bereich kompensieren zu können, irrt: Nach der Logik der Gutachter muss jeder, der sich in der Selbstmedikation abrackert, bei Rezepten verzichten.

Und dann sind da noch die Versender, die sich auf hochpreisige Chronikermedikamente spezialisieren und künftig noch leichter mit Boni auf Kundenjagd gehen. Auch der Vorschlag, Großhandelsrabatte zu streichen, schwächt die Apotheken vor Ort im Gegensatz zur Konkurrenz aus den Niederlanden. Jedenfalls macht man sich in Venlo und Heerlen offenbar keine allzu großen Sorgen, dass die Politik die Idee aufgreifen und die Rückvergütungen streichen könnte: Die Börsenkurse von Shop-Apotheke und Zur Rose sind stabil. Wenn dann auch noch wie vorgeschlagen die Lieferfrequenz der Großhändler reduziert würde, wäre ein weiterer Standortvorteil der öffentlichen Apotheke passé.

Bei Rezepturen wiederum sollen preiswerte Zubereitungen teurer werden und teure preiswerter. Womöglich gut gemeint, doch in Wirklichkeit eine Falle: Schon in der Folge der letzten leichten Honoraranpassung vor einem Jahr verordnen Ärzte individuelle Zubereitungen zurückhaltender – Preise über dem Niveau der durchschnittlichen Fertigarzneimittelpackung drohen zum Todesstoß für Rezepturen zu werden. Und dort, wo Bedarf an individuellen Zubereitungen besteht und honoriert wird, werden Herstellbetriebe den Markt für sich entdecken und den Apotheken eines ihrer letzten Alleinstellungsmerkmale nehmen.

Auch der Notdienst ist nicht geeignet, die Apotheken in der Fläche zu retten – sondern allenfalls ein Modell für Aussteiger, die dafür bezahlt werden, dass sie dort die Stellung halten, wo sie nur selten gebraucht werden. Niemand sollte sich etwas vormachen: Für solche Liebhaber-Apotheken, die sich im Schlaf ihr komplettes Jahreseinkommen sichern, werden weder die Kollegen noch Kassen lange Sympathien haben. Dann kommen sie auf die Streichliste – es gibt ja den Versandhandel.

Niemand sollte sich die Illusion machen, dass sich die Apotheker einfach wegducken können. Wer hofft, dass die öffentliche Debatte über einen hinweg rollt, der hat das politische Geschäft nicht verstanden. Sich erst dann zu Wort zu melden, wenn einem niemand mehr zuhört, ist ganz gewiss keine nachhaltige Strategie. Auch wenn man bei der ABDA immer noch der Meinung ist, in den vergangenen Jahrzehnten damit erfolgreich gewesen zu sein: Verpasste Chancen erkennt man meist erst, wenn es zu spät ist.

Vor einigen Jahren hat sich die ABDA-Spitze entschieden, eine gewisse Marktbereinigung in Kauf zu nehmen. Stichwort: 15.000. Noch blühen auf dem Friedhof die Blumen. Doch wenn nicht bald ernst zu nehmende Gegenvorschläge kommen, die die Apotheken strukturell nach vorne bringen, wird das Gemetzel erst richtig losgehen. Die Apotheker sind in der Pflicht, für ihr eigenes Schicksal zu kämpfen. Weiter zu mauern, ist politisches Harakiri.