Honorarärzte: BSG prüft Scheinselbstständigkeit dpa, 02.06.2019 09:16 Uhr
Selbstständige Ärzte und Pfleger überbrücken Engpässe in Kliniken und Pflegeheimen. Doch die Deutsche Rentenversicherung sieht in vielen Fällen die Kriterien für eine Scheinselbstständigkeit erfüllt. Nun befasst sich das Bundessozialgericht (BSG) damit.
Dürfen freiberufliche Ärzte und Pflegekräfte in Kliniken und Heimen gegen Honorar beschäftigt werden oder sind sie scheinselbstständig? Darüber entscheidet am Dienstag (4. Juni) und Freitag (7. Juni) in insgesamt 16 Verfahren das BSG. Die Kasseler Richter verhandeln dabei die Klagen von Freiberuflern, Krankenhäusern und Pflegeheimen aus mehreren Bundesländern, die sich gegen Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung wehren.
„Honorarärzte werden häufig nebenberuflich oder für eine Vielzahl von Auftraggebern, zeitlich auf Tage oder wenige Wochen befristet auf Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig“, erklärt BSG-Sprecherin Jutta Siefert. Oft würden sie über Agenturen an die Krankenhäuser vermittelt und arbeiteten für einen vorher festgelegten Stundensatz. Der liege üblicherweise deutlich über dem Lohn eines vergleichbaren angestellten Arztes.
„Es geht nicht um prekäre Arbeitsverhältnisse oder das Einsparen von Sozialabgaben“, sagt auch Nicolai Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbands der Honorarärzte. Vielmehr träfen ähnlich gelagerte Interessen aufeinander: Einige Mediziner wollten selbst bestimmen, wie viel sie arbeiteten. Gleichzeitig seien für Kliniken Ärzte wichtig, „die man zeitweise gewinnen kann, wenn Stellen vakant sind oder Abteilungen vor dem Kollaps stehen“.
Wie viele Honorarärzte es bundesweit gibt, ist unklar. Im Schnitt greife aber jede zweite Klinik auf sie zurück. Vor allem im Bereich Anästhesie (Betäubung), Innere Medizin und sprechende Medizin – das sind Arbeitsfelder, bei denen die Kommunikation zwischen Arzt und Patient besonders bedeutsam ist – seien Honorarärzte wichtig.
Bei Überprüfungen kam die Deutsche Rentenversicherung zu dem Schluss, dass die Honorarärzte oftmals nicht wie Freiberufler beschäftigt wurden, sondern wie abhängig Beschäftigte. Damit hätten die Arbeitgeber auch Sozialabgaben wie Arbeitslosen- und Rentenversicherung zahlen müssen. „So entstehen erhebliche Nachzahlungen“, sagt Schäfer. Für die Ärzte gehe es um weniger Geld: Nur einen Teil könnten sich die Kliniken von den Medizinern zurückholen.
Kliniken und Mediziner wehrten sich, laut dem Bundessozialgericht aber meist vergeblich. Die Landessozialgerichte hätten überwiegend das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bejaht, erklärt BSG-Sprecherin Siefert.
Denn laut dem Bundesverband der Honorarärzte ist bisher unklar, welche Kriterien – wie Unternehmerrisiko und Eingliederung in die Klinikorganisation – ausschlaggebend für eine Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses sind. Das Bundessozialgericht werde Klarheit bringen, so die Hoffnung: „Ich glaube, das Urteil wird dafür sorgen, dass wir mehr wissen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit wir von echter Selbstständigkeit sprechen können“, erklärte Schäfer.
Auch Kliniken sehen die Verhandlungen mit Spannung: „Die Entscheidung ist wichtig, da erstmals höchstrichterlich zu den Honorarärzten entschieden wird“, sagte ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Die vier am Freitag (7. Juni) verhandelten Verfahren betreffen keine Ärzte, sondern Pflegekräfte in Pflegeheimen, die auf Honorarbasis beschäftigt wurden. Auch hier liege üblicherweise die Bezahlung deutlich über dem Lohn einer angestellten Pflegefachkraft, heißt es vom BSG.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hofft auf eine richtungsweisende Entscheidung: „Der DBfK ist froh darüber, dass diese Frage nun endlich in höchster Instanz verhandelt und entschieden wird und damit dann eine grundsätzliche Orientierung vorliegt“, sagte eine Sprecherin: „Nach unserer Überzeugung hat die Deutsche Rentenversicherung weit überzogen mit ihrem Verhalten gegenüber Einzelselbstständigen und deren Arbeitgebern und damit der Sache nicht gedient.“
Nachdem die Rentenversicherung wiederholt gegen Selbstständige und ihre Arbeitgeber vorgegangen und Nachzahlung fällig geworden sei, sei die Honorartätigkeit in der direkten Pflege fast komplett verschwunden.