Wer verschreibungspflichtige Arzneimittel aus unsicheren Internetquellen bezieht, erhält mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 60 Prozent ein gefälschtes, mangelhaftes oder nicht zugelassenes Medikament. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „The Counterfeiting Superhighway“ (etwa: „Autobahn der Fälschungen“) der Organisation „Allianz für den Zugang zu sicheren Arzneimitteln in Europa“ (European Alliance for Access to Safe Medicines, EAASM).
Die Organisation will mit der Studie auf die Gefahren gefälschter Arzneimittel hinweisen. Insgesamt 116 Anbieter von verschreibungspflichtigen Medikamenten wurden getestet, die Ergebnisse sind frappierend: Mehr als 90 Prozent der Versandapotheken verschickten Rx-Präparate ohne Rezept. In Deutschland gibt es laut Studie eine „alarmierende Anzahl“ an Verbrauchern, die sich verschreibungspflichtige Medikamente online ohne Rezept besorgen. Die Autoren weisen aber auch darauf hin, dass zugelassene Versandapotheken sichere Ware lieferten.
In 93,8 Prozent der getesteten Websites war kein verantwortlicher Apotheker als Ansprechpartner namentlich genannt. Rund 85 Prozent der „Apotheken“ existierten in Wirklichkeit gar nicht beziehungsweise verfügten über keine Postanschrift. Nicht einmal fünf von hundert Online-Apotheken hatten eine zugelassene Website. Mehr als die Hälfte gab nicht einmal eine funktionierende Telefonnummer an. Nur eine von fünf getesteten Apotheken wies eine Betriebserlaubnis vor - in 86 Prozent der Fälle stellten sich die Genehmigungen jedoch als gefälscht heraus. Auf mehr als der Hälfte der Seiten gab es spezielle Discount-Angebote für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Aus Sicht der EAASM ist das medizinisch nicht angezeigt und somit verantwortungslos.
Für die Untersuchung wurden jeweils 18 verschiedene Rx-Präparate online bestellt. Darunter waren neben gängigen Potenzpräparaten und dem Haarwuchsmittel Propecia auch Herz-Kreislauf- und Asthmamedikamente sowie Neuroleptika und Arzneimittel zur Alzheimertherapie. Zur Auswahl zählten Bestseller wie Lipitor, Plavix, Zyprexa und Reductil. Diese Präparate sind wegen ihres hohen Umsatzes nach Auffassung der Autoren besonders attraktiv für Fälscher. Insgesamt waren 62 Prozent der bestellten Präparate minderwertig oder gefälscht.
Schon die Lieferungen ließen häufig zu wünschen übrig: Einige Medikamente wurden in gefälschten Verpackungen geliefert, von stümperhaft bis äußerst professionell. Andere Arzneimittel waren offensichtlich umverpackt worden oder wurden gleich lose in Zeitungspapier eingewickelt. Nur in der Hälfte der Fälle war eine Packungsbeilage beigefügt, anderen Versendern reichte der Hinweis: „Bei Bedarf einnehmen“.
Die Politik müsse jetzt mit Aufklärungskampagnen gegen das wachsende Problem gefälschter Arzneimittel vorgehen, fordert EAASM. Internetsuchmaschinen könnten illegale Anbieter auf ihren Seiten sperren, so dass Verbraucher nicht mehr so leicht auf dubiose Internetapotheken gelangen könnten. Auch die Finanzinstitute könnten Transaktionen via Kreditkarten mit verdächtigen Anbietern verhindern, so EAASM.
Die Organisation ist eigenen Angaben zufolge ein unabhängiger, interdisziplinärer Verband, der sich dafür einsetzt, gefälschte und minderwertige Arzneimittel aus der Versorgungskette zu entfernen. EAASM wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, gefälschte Arzneimittel zu bekämpfen und die Sicherheit der Patienten zu fördern. Der Vorstand besteht aus vier unabhängigen Mitgliedern sowie drei Vertretern der pharmazeutischen Industrie. EAASM wird unterstützt von den Pharmafirmen Bayer, Pfizer, Wyeth, Boehringer Ingelheim und Eli Lilly.
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