Hessen testet E-Rezept aus Estland APOTHEKE ADHOC, 12.02.2020 12:22 Uhr
Estland gilt in der EU als Vorreiter der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Jetzt startet in Hessen ein weiteres telemedizinisches Pilotprojekt mit integriertem E-Rezept auf der Basis estländischer Technik. Federführend ist die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen. Mit von der Partie sind der Hessische Apothekerverband (HAV), Krankenkassen und Softwarehäuser. Das Pilotprojekt startet im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) des Landes. Apotheken, die mitmachen wollen, müssen sich registrieren lassen.
Unter der Schirmherrschaft der KV Hessen startet gerade ein Projekt, das Patienten die Teilnahme an einer Videosprechstunde sowie die Ausstellung eines E-Rezepts ermöglicht. Das Projekt setzt laut Mitteilung der KV auf der in Estland bereits bewährten FHIR-Plattform und der Verbindungstechnologie „X-Road“ auf, die den sicheren Austausch zwischen verteilten Systemen ermöglichen. Außerdem unterstützt das estnische IT-Systemhaus Nortal bei der Programmierung.
Das Projekt ist laut KV mit der Einführung der Videosprechstunde in Hessen verbunden. Diese soll zunächst vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) und perspektivisch auch von niedergelassenen Ärzten in Hessen angeboten werden. Sie soll dazu beitragen, die Wartezeiten für Patienten zu verringern und – sofern möglich – ohne persönliches Aufsuchen des Bereitschaftsdienstes eine Diagnostik vorzunehmen. Patienten, die außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten den ÄBD unter der Nummer 116117 kontaktieren, können je nach Indikation die Option der Videosprechstunde nutzen und sich den Weg in die ÄBD-Zentrale sparen. Wird ihnen ein E-Rezept ausgestellt, können sie dies digital über ein E-Rezept-Portal verwalten und an eine teilnehmende Apotheke ihrer Wahl weiterleiten, die sie mit dem benötigten Arzneimittel versorgt.
„Unser primäres Ziel ist es, die ärztliche Versorgung in Hessen flächendeckend und langfristig zu sichern. Dies wird realistisch nur dann funktionieren, wenn wir mit dem frühzeitigen Ausbau der telemedizinischen Möglichkeiten schon heute die Weichen für die Zukunft stellen. Wir unterstreichen mit dem Modellprojekt demnach nicht nur unsere Innovationskraft – wir sind deutschlandweit immerhin eine der ersten KVen, die Videosprechstunde und E-Rezept gemeinsam an den Start bringen, sondern machen auch einen wichtigen Schritt für die Versorgung von morgen“, so Frank Dastych, Vorstandsvorsitzender der KVH. Holger Seyfarth, Apotheker und HAV-Vorsitzender, ergänzt: „Nur mit Apotheken, die E-Rezepte empfangen und verarbeiten können, bieten Videosprechstunden den Patienten echten Mehrwert. Die Apotheken vor Ort sind heute schon hervorragend digital aufgestellt. Für sie ist das Projekt die logische Weiterentwicklung dessen, was sie bereits heute tun.“
Mit der AOK Hessen und der DAK-Gesundheit sind zwei der größten gesetzlichen Krankenversicherer im Boot. „Wir wollen die neuen technologischen Möglichkeiten für die Optimierung des Gesundheitssystems nutzen – mit verbesserten Bedingungen für alle Akteure, aber vor allem mit dem Patienten im Blick“, erläutert Detlef Lamm, Vorstandsvorsitzender der AOK Hessen. „Das E-Rezept für Hessen hilft die Qualität in der Gesundheitsversorgung für die Patienten zu verbessern,“ sagt Sötkin Geitner, Leiterin der Landesvertretung Hessen der DAK-Gesundheit.
„Mit dem eVerordnungs-Portal 'More' haben wir eine Lösung entwickelt, die den Patient in den Mittelpunkt stellt und nicht den Anspruch hat, den heutigen Papierprozess nachzubauen. Viel mehr ermöglichen wir eine weitere Automatisierung und Optimierung der Prozesse“, sagt Dr. Jochen Pfänder, Geschäftsführer von Optica, die die Technik beisteuert. „Damit erweitern wir unsere Kompetenz im Bereich Softwareentwicklung, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben.“ „Die Digitalisierung ermöglicht uns zukünftig, unsere Angebote noch zielgerichteter zu gestalten und dabei unsere Prozesse effizienter zu machen“, betont Joachim Henkel, Hauptabteilungsleiter Integratives Leistungsmanagement bei der AOK Hessen. Franz-Helmut Gerhards, Chief Digital Officer der DAK-Gesundheit, ergänzt: „Wir sammeln mit diesem Projekt wertvolle Erfahrungen, die wir in die aktuell laufende Spezifizierung zum E-Rezept einbringen. Unser Ziel sind praxistaugliche digitale Lösungen, die einen echten Kundennutzen schaffen. Besonders freue ich mich, dass es in diesem Pilotvorhaben gelingt, mit allen Akteuren gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten.“
Im Projekt ermöglicht laut KV Hessen eine E-Rezept-Plattform den schnellen und sicheren Datenaustausch zwischen allen Beteiligten. Um höchste Anforderungen an den Datenschutz zu erfüllen und maximale Sicherheit zu gewährleisten, würden die von Patienten, Ärzten und Leistungserbringern kommenden Informationen deshalb strikt getrennt in drei unterschiedlichen Datensilos verschlüsselt. Zudem würden die Daten mittels der Blockchain-Technologie fälschungssicher miteinander verknüpft, und der Patient könne alle Zugriffe auf seine Daten verfolgen. Die technische Anbindung erfolgt über das Sichere Netz der Kassenärztlichen Vereinigungen (SNK).
Im weiteren Verlauf soll das E-Rezept-Portal an die Telematikinfrastruktur angebunden. Die Technologie und das organisatorische Konzept entwickelt Optica gemeinsam mit den auf das Gesundheitswesen spezialisierten IT-Leistungsanbietern Nortal und Gevko. Weitere Kooperationspartner sind die beiden Anbieter von Praxissoftware Indamed und das Softwarehaus Zollsoft, sowie Awinta, ein führender Anbieter für Apothekensoftware im deutschen Gesundheitsmarkt.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen stellt im Rahmen des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes die Ärzte, die nach entsprechender Schulung Videosprechstunden anbieten. Apotheken, die am Pilotprojekt teilnehmen wollen, müssen sich einmalig im eVerordnungsportal registrieren – Informationen hierzu gibt es beim HAV. Für die Apothekensoftware Awinta aus dem Hause Noventi existiert bereits eine Schnittstelle, sie importiert das E-Rezept automatisch. Ansonsten erfolgt der Transport über das eVerordnungsportal erfolgen, über das sich die E-Rezepte auch herunterladen und in andere Apotheken-Software integrieren lassen.
Krankenversicherungen erhalten sofort nach dem Upload des E-Rezepts ins Portal pseudo-anonymisierte Informationen und können so frühzeitig mit den Kosten planen, die auf sie zukommen. Ein Rückschluss auf einzelne Patienten ist aus dieser Echtzeit-Information nicht möglich. Denkbar wäre heute bereits eine frühe Information der Krankenkasse über Verordnungen, die eine Genehmigung der Kasse erfordern. Hier liegen die Vorteile für Versicherte und Krankenkassen im schnellen und einfachen Austausch solcher Informationen.
Die Ärzte schicken das E-Rezept über das sichere Netz der Kassenärztlichen Vereinigung (KV Connect) verschlüsselt an das von Optica bereitgestellte eVerordnungsportal und erhalten eine Empfangsbestätigung per Mail. Der mit dem Portal verbundene Server formatiert das empfangene E-Rezept um und trennt es in drei Bestandteile auf: Patientendaten, Verordnungsdaten sowie Arzt- und Krankenkassendaten. Die aufgesplitteten Informationen wandern in drei verschiedene Silos. Hier kommt die Blockchain-Technologie ins Spiel: Das Programm errechnet aus den Daten des E-Rezepts einen sogenannten Hash, eine Art Fingerabdruck in Form einer einmaligen Zeichenfolge, mit dem sich die zusammengehörenden Daten eindeutig identifizieren und so wieder zusammenfügen lassen. Die gesamte Kommunikation läuft abseits des Internets in gesicherten Netzwerken. Gespeichert sind die Daten in Frankfurt am Main im Rechenzentrum des IT-Systemhauses Bechtle.
Nach der Devise „von den Besten lernen“ orientiere sich das Projekt an Estland, dem digitalen Vorreiter in Europa, so die KV Hessen. Das baltische Land habe seine gesamte Verwaltung bereits auf digital umgestellt. Diese basiere auf einer FHIR-Plattform und der Verbindungstechnologie X-Road, einem komplexen System aus Infrastruktur, Standards und Programmen für den sicheren Austausch zwischen dezentralen Datenbanken. Auf dieser bereits in der Praxis bewährten Grundlage setze das Projekt technisch auf. Das nötige Spezialwissen steuert – als einer der Projektpartner – das estnische IT-Systemhaus Nortal bei.