Hessen: Kammer will Protesttag stoppen Patrick Hollstein, 25.09.2023 09:35 Uhr
In Hessen hat der Apothekerverband für den kommenden Montag zum Streik aufgerufen. Doch Gegenwind kommt jetzt ausgerechnet von der eigenen Kammer. Die droht mit Ordnungswidrigkeitsverfahren. Geschäftsführer Ulrich Laut versichert, dass es sich nicht um ein politisches Störmanöver handelt, sondern um rechtliche Abwägungen. Doch die lässt der Verband nicht gelten.
Am 2. Oktober sollen die Apotheken in Hessen protestieren, in Frankfurt plant der HAV eine Großkundgebung. Doch die Kammer hält den Streik für unzulässig und hat den Verband wissen lassen, dass man die Schließung von Apotheken, die nicht für den Notdienst eingeteilt sind, für rechtswidrig hält. Zumindest für den Fall, dass sich Kundinnen oder Kunden beschweren, werde man prüfen müssen, ob Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten sind.
Hintergrund ist, dass Apotheken laut Gesetz für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung verantwortlich sind. Anders als ganz normale Gewerbebetriebe dürfen sie also nicht einfach schließen; die Allgemeinverfügungen geben die Mindestöffnungszeiten vor, innerhalb derer Schließungen aus dringendem Grund vorab beantragt werden müssen.
Demgegenüber steht das Recht auf freie Meinungsäußerung – Demonstrationen sind demzufolge auch Apothekerinnen und Apothekern nicht verwehrt. Es handele sich um ein sogenanntes zusammengesetztes Grundrecht, so der Jurist.
Versorgung für 3,5 Tage unterbrochen
Wie schon im Frühjahr sind seiner Erläuterung nach also die Interessen abzuwägen. „Anders als am 14. Juni schlägt das Pendel diesmal leider in die andere Richtung“, sagt Laut. Problem sei die Kombination aus Brücken- und Feiertag: „Laut Allgemeinverfügung endet die reguläre Öffnungszeit der Apotheken am Samstag 12 Uhr und beginnt erst wieder am Mittwoch 9 Uhr. Die reguläre Arzneimittelversorgung wäre also dreieinhalb Tage lang unterbrochen“, so seine Argumentation.
Erschwerend komme hinzu, dass auch die Kassenärzte angekündigt hätten, ihre Praxen am 2. Oktober zu schließen. „In der Abwägung muss man also auch sehen, dass die medizinische Versorgung eingeschränkt ist – und dass die Präsenz der Apotheken daher umso wichtiger ist.“
Sein Fazit: „Ich halte Schließungen am kommenden Montag für rechtswidrig und zumindest für den Fall, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher beschweren, werden wir den Sachverhalt rechtlich prüfen müssen.“ Denn als Kammer sei man nicht nur Berufsvertretung, sondern habe auch Rechts- und Fachaufsicht. „Es ist kein böser Wille. Aber Weggucken ist definitiv keine Option.“
Schon beim Protesttag im Juni habe man sich die Entscheidung nicht einfach gemacht, versichert Laut. „Es gab in den Kammern ausgesprochen kritische Stimmen gegen einen Apothekenstreik.“ Er selbst habe dann in der Mitgliederversammlung der Bundesapothekerkammer (BAK) einen Lösungsansatz aufgezeigt: Da es den Apotheken nicht zuzumuten sei, sich zentral zu versammeln, seien „gemeinsame Kundgebungen als Ausdruck eines gemeinsamen Willens“ schließlich als Rechtfertigung für dezentrale Aktionen akzeptiert worden.
Laut will gar nicht ausschließen, dass weitere Streiks und Schließungen in anderen Konstellationen möglich sind. „Ende Oktober beispielsweise sieht die Sache schon wieder anders aus. Und wie man hört, plant die Abda ja weitere Maßnahmen.“ Aber auch diese werde man an den konkreten Umständen auf ihre Zulässigkeit prüfen. Seine Bedenken am Streik in der kommenden Woche habe er dem Verband jedenfalls im Vorfeld erläutert. „Man wusste also von dem Problem.“
Verband teilt Bedenken nicht
Tatsächlich vertritt man dort eine ganz andere Auffassung: An Brückentagen sei erfahrungsgemäß nicht mit viel Kundenverkehr zu rechnen. Wenn auch noch viele Praxen wegen des ärztlichen Protesttags geschlossen seien, sei die Versorgung umso weniger gefährdet. Und wie schon beim letzten Protesttag – und auch beim Kurzstreik der Abda am kommenden Mittwoch – sei die Versorgung durch die Notdienstapotheken gesichert.
Die Berechnung der Kammer zur angeblichen Ausfallzeit kann man ebenfalls nicht nachvollziehen: Am Samstag seien viele Apotheken deutlich länger geöffnet. Den Sonntag sowie den Feiertag könne man doch nicht als „Ausfallzeit“ berücksichtigen. Im Übrigen werde man den Apotheken in dieser Woche umfassende Materialien zur Verfügung stellen, damit diese ihre Kundinnen und Kunden rechtzeitig informieren können. Und wie die Abda vertrete man die Auffassung, dass man mit öffentlichen Protesten die massiven Probleme bei der Versorgung adressiere und damit die Interessen der Verbraucher vertrete. Aus diesem Grund stehe die Öffentlichkeit ja hinter den Maßnahmen.
Zu guter Letzt sei die Aktion politisch von immenser Bedeutung: Am Wochenende danach ist in Hessen Landtagswahl, und der Verband will auch diese wichtige Gelegenheit nutzen, einmal mehr mit den politisch Verantwortlichen über die Forderungen und Herausforderungen der Apothekerschaft zu reden. Namhafte Spitzenpolitiker der hessischen Landespolitik hätten ihr Kommen bereits zugesagt. Und schließlich habe ja ausgerechnet Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor Kurzem selbst erklärt, es sei „gutes Recht“ der Apothekerinnen und Apotheker, für mehr Honorar zu streiken.