Protest gegen Reformpläne

Hessen: Apotheken machen zwei Tage dicht Patrick Hollstein, 19.06.2024 14:43 Uhr

Holger Seyfarth kündigt zweitägige Apothekenschließungen in Hessen an. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Während zur Eskalationsstrategie der Abda heute beraten wird, macht der Hessische Apothekerverband (HAV) jetzt ernst. Aus Protest gegen die Reformpläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollen die Apotheken in der kommenden Woche zwei Tage lang geschlossen bleiben. Denn nach der Sommerpause sei es zu spät, um noch den Druck zu erhöhen.

Die Apotheken in Hessen bleiben am 27. und 28. Juni geschlossen. Mit dieser zweitägigen Schließung protestiert die hessische Apothekerschaft gegen den vor wenigen Tagen vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgelegten Referentenentwurf zur geplanten Apothekenreform, der die schlimmsten Erwartungen für die Patientinnen und Patienten und derer flächendeckender Arzneimittelversorgung durch die öffentlichen Apotheken noch weit übertreffe.

„Der vom BMG vorgelegte Referentenentwurf ist ein Generalangriff auf unseren gesamten Berufsstand, unsere pharmazeutische Kompetenz und die wohnortnahe Arzneimittelversorgung durch die Apotheken vor Ort“, so Verbandschef Holger Seyfarth. „Minister Karl Lauterbach rückt weder die Arzneimittelsicherheit noch die wohnortnahe Versorgung der Menschen in den Fokus, sondern opfert uns Apotheker als letzte Kontrollinstanz und als letzten Sicherheitsfaktor zwischen der ärztlichen Verschreibung und dem Patienten auf dem Einsparungsaltar.“

Die beiden Protesttage seien deshalb einerseits ein Zeichen der Entschlossenheit, sich gegen diesen Todesstoß für einen ganzen Berufsstand entschieden zu wehren, und andererseits auch ein deutlicher Appell an die Regierungskoalition in Berlin, dieses Vorhaben des Gesundheitsministers umgehend zu stoppen.

Großdemo in Frankfurt

Am Donnerstag soll es – wie schon im vergangenen Oktober – auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main eine Großkundgebung geben.

„Ich bin zutiefst davon überzeugt: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Politik und Öffentlichkeit klar zu machen, dass wir diese Scheinreform nicht hinnehmen werden!“ Seyfarth verweist auf den geplanten Kabinettsbeschluss am 17. Juli: „Bis dahin muss die Bundesregierung wissen, dass unsere Reaktion auf die vom BMG begonnene Eskalation klar und deutlich ausfällt – und keine Worthülse mehr ist. Ich weiß, dass andere Landesverbände das ebenso sehen, wir Hessen machen jetzt den Anfang.“

Die Apotheken erhalten ein Aktionspaket mit jeweils 200 Infoflyern für ihre Kundinnen und Kunden sowie sechs Plakaten zum Aufhängen in der Apotheke. „Zudem werden wir wie bei den Protesttagen im vergangenen Jahr sämtliche regionale und überregionale Medien kontaktieren.“

Auch mit Politikerinnen und Politikern werde man weiter das Gespräch suchen. Auch über den 28. Juni hinaus seien aber scharfe Protestmaßnahmen und weitere mehrtägige Schließungen zu erwarten. Seyfarth: „Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten im Sinne unserer Patientinnen und Patienten hartnäckig und gradlinig bleiben“.

Das Schlimmste verhindern

Seyfarth appelliert an die Kolleginnen und Kollegen, den Protest gemeinsam zu tragen: „Bitte beteiligen Sie sich möglichst geschlossen, denn wenn wir den politisch Verantwortlichen jetzt mit großer Entschlossenheit zeigen, dass wir die wohnortnahe Arzneimittelversorgung und das öffentliche Apothekenwesen auch mit mehrtägigen Schließungen verteidigen, können wir das Schlimmste noch verhindern. Mit dieser klaren Haltung stärken wir auch den Politikerinnen und Politikern in Berlin den Rücken, die sich parteiübergreifend – auch in der Regierungskoalition, wie wir aus zahlreichen politischen Gesprächen wissen – für uns engagieren.“

Wie beratungsresistent das Bundesgesundheitsministerium agiere, werde nicht nur daran deutlich, dass sich die Verantwortlichen den guten Argumenten der Apothekerschaft für eine auch künftig sichere und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Menschen in der Bundesrepublik seit Monaten komplett verschlössen, so Seyfarth. Vielmehr solle laut weiterem Zeitplan des BMG die erste Verbändeanhörung bereits Ende Juni abgeschlossen sein und das Bundeskabinett die umstrittene Vorlage dann um den 17. Juli herum beschließen. „Die Zeit bis dahin werden wir nutzen, um der gesamten Bundesregierung und der Öffentlichkeit noch einmal klar und entschlossen zu verdeutlichen, welchen destruktiven Weg das BMG da gerade einschlägt“, kündigt Seyfarth an.

Als ein konkretes Beispiel führt der Verbandschef die geplante Abschaffung der pharmazeutischen Kompetenz für die Bevölkerung durch die von Gesundheitsminister Lauterbach geplante Schaffung von „Pseudo-Apotheken“ an, in denen Patientinnen und Patienten kein Apotheker mehr in Präsenz vertrauensvoll und in gewohnter Weise als beratender Spezialist für Arzneimittel zur Seite steht. „Das ist eine nicht hinnehmbare Einschränkung in der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger, geht zu Lasten der Arzneimittelsicherheit, kann Menschenleben gefährden und hat rein gar nichts mit Telepharmazie zu tun“, kritisiert er scharf.

Weitere Einbußen

Keine Entlastung bringe die Scheinreform zudem der wohnortnahen Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken, von denen immer mehr schließen, da die Inhaberinnen und Inhaber aufgrund der prekären wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Nachfolgerinnen und Nachfolger mehr finden. „Nach unseren Berechnungen verursachen Lauterbachs Vorhaben perspektivisch weitere Einbußen in Höhe von 170 Millionen Euro für die Apotheken in der Bundesrepublik, obwohl die seit 20 Jahren unveränderte Vergütung der Apotheken eigentlich umgehend eine zeitgemäße Anpassung benötigt“, so Seyfarth.

Da sei es ein weiterer unfassbarer Affront, dass das BMG stattdessen weitere Verschlechterungen plane, beispielsweise durch die Reduzierung des Aufschlages auf die Apothekenvergütung von 3 Prozent auf 2 Prozent, die für jede Apotheke ein durchschnittliches Ertragsminus von rund 30.000 Euro pro Jahr bedeute. „Das sind weitere einschneidende und existenzgefährdende Defizite für die öffentlichen Apotheken, die sich ganz speziell auch bei der Versorgung mit hochpreisigen Arzneimitteln für die Patientinnen und Patienten negativ bemerkbar machen“, so Seyfarth.

Die Arzneimittelversorgung am 27. und 28. Juni bleibt einzig über die Notdienstapotheken aufrechterhalten. Der HAV bittet Patientinnen und Patienten, dringend benötigte Rezepte an den Tagen davor einzulösen.