Dr. Bernhard Bellinger lässt DocMorris nicht in Ruhe. Der Steuerberater und Rechtsanwalt hat im Auftrage mehrerer Apotheker alle großen Verbände der Pharmaindustrie angeschrieben. Weil sich die niederländische Versandapotheke nicht an die Preisbindung hält, sollen die Hersteller ihr auch den Herstellerabschlag nicht mehr erstatten, so der Aufruf. Erste Reaktionen aus den Verbänden sind gemischt.
Die Position der von Bellinger vertretenen Apotheker bringt der Rechtsanwalt in einem Satz auf den Punkt: „Wir gehen davon aus, dass die Arzneimittelhersteller nicht verpflichtet sind, von DocMorris über die Rechenzentren geltend gemachte Ansprüche auf Erstattung des Herstellerrabatts zu bedienen.“
Diese Überlegungen fußen auf einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. November 2016. In dem Ausgangsverfahren hatte DocMorris von dem beklagten Hersteller die Abschläge für die Jahre 2003 bis 2008 zurückgefordert – insgesamt knapp 1,4 Millionen Euro Euro plus Zinsen. Das Hessische Landessozialgericht hatte die Forderung mit Verweis auf die frühere Rechtsprechung des BSG aus den Jahren 2008, 2009 und 2013 zurückgewiesen. Das LSG hatte deshalb keine Revision zugelassen, DocMorris dagegen beim BSG Beschwerde eingelegt.
Zwar war DocMorris zu dem fraglichen Zeitraum noch nicht dem Rahmenvertrag beigetreten, das Urteil lässt sich Bellinger zufolge aber trotzdem auf die heutige Konstellation übertragen. Maßgeblich ist dem Rechtsanwalt zufolge unter anderem, dass das BSG in seinem Beschluss explizit auf das EuGH-Urteil vom 19. Oktober zu Rx-Boni Bezug nimmt: „Demnach dürfen jedenfalls für Apotheken, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, die gesetzlichen Preisbestimmungen keine unmittelbare Geltung entfalten“, zitiert er aus dem Urteil.
Das BSG habe – so steht es in der aktuellen Begründung – in diesem Sinne bereits entschieden, dass für nach Deutschland importierte Fertigarzneimittel, die Apothekenabgabepreise weder aufgrund der Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) gelten noch aufgrund des § 129 Abs 5a Sozialgesetzbuch (SGB V) bestimmt seien. „Gerade daraus folgt aber, dass den Krankenkassen der Herstellerrabatt nicht von den Apotheken zusteht und daher auch kein Erstattungsanspruch gegen die Hersteller erwachsen kann“, zitiert Bellinger weiter.
Eine Diskriminierung von DocMorris ist laut BSG schon deshalb ausgeschlossen, weil die Versandapotheke dem Arzneimittelliefervertrag seinerzeit hätte beitreten können, mit allen Rechten und Pflichten. Ohne die Unterwerfung unter dieses Gesamtsystem habe DocMorris Wettbewerbsvorteile erlangt, die nach der Rechtsprechung des EuGH zwar gerechtfertigt seien. „Das spricht aber nicht dafür, dass ausländischen Apotheken zusätzlich zu diesen Wettbewerbsvorteilen noch die sich aus dem deutschen Arzneimittelpreisrecht ergebenden Vorteile zu gewähren sind, solange diese Apotheken das Arzneimittelpreisrecht nicht insgesamt akzeptieren“, so das BSG.
Bellinger schlussfolgert daraus: „Wenn sich DocMorris mit dem faktisch eingeschränkten Verzicht auf die Erhebung der Zuzahlungen, die gemäß § 31 Abs. 3 SGB V vom Kassenpatienten zu erheben sind, außerhalb des deutschen Preissystems im Gesundheitswesen stellt, kann DocMorris nach dem Beschluss des BSG keinen Anspruch auf Erstattung des Herstellerrabatts haben.“ Die Entscheidungsgründe des BSG seien insoweit eindeutig.
Damit sind aus Bellingers Sicht auch die Hersteller in der Pflicht. Denn wenn diese „ohne rechtliche Verpflichtung einem solchen Zahlungsbegehren von DocMorris entsprechen, verzerren sie den Wettbewerb zu Lasten der inländischen Apotheken“. Das habe auch das Landgericht Ravensburg so gesehen.
In diesem Fall hatte eine Kundin bei DocMorris das Präparat Flutiform Dosieraerol (Formoterol und Fluticason) bestellt. Ihr zu leistender Zuzahlungsbetrag lag bei 5,71 Euro. Dieser Betrag stand auch auf der Zuzahlungsquittung, die zur Vorlage an die Krankenkasse mitgesandt wurde. Vom Kundenkonto der Frau wurden tatsächlich jedoch nur 2,85 Euro abgebucht – also die Hälfte des Betrags.
Aus Sicht des LG Ravensburg könnten sich noch weitere finanzielle Vorteile ergeben: Denn so könnte sie schneller die Belastungsgrenze von 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens erreichen – und wäre früher von Medikamentenzuzahlungen befreit. Außerdem könnte sie so mit nicht tatsächlich gezahlten Betrag ihre Einkommenssteuer verringern, stellte das Gericht fest.
Bellinger hatte bereits Ende vergangener Woche im Auftrag einer Apothekerin Anzeige gegen die gesamte DocMorris-Spitze erstattet. Da die Versandapotheke den eigenen Kunden falsche Belege ausstelle, begehe sie fortwährend Steuerordnungswidrigkeiten, so sein Vorwurf. In Sachen Herstellerabschlag regt Bellinger nun an, dass die angeschrieben Pharmaverbände diese Information an ihre Mitglieder weiterleiten werden.
Der Branchenverband Pro Generika hat genau dies vor: „Wir werden keine Empfehlung abgeben, aber die Information weitergeben“, heißt es vom Verband. Beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ist man vorsichtiger: Unabhängig von einer rechtlichen Bewertung könne man aus kartellrechtlichen Gründen keine Empfehlung an die Mitglieder geben und werde diese auch nicht über den Sachverhalt informieren. Die ebenfalls angeschriebenen Verbände BPI und VFA haben sich noch nicht geäußert.
Schon einen Schritt weiter ist Kohlpharma: Der Importeur aus dem Saarland hat DocMorris verklagt, um bereits überwiesene Herstellerrabatte zurück zu bekommen. Und künftig will Kohlpharma überhaupt keine Abschläge mehr an DocMorris und die Europa Apotheek zahlen – auch wenn man damit das Risiko eingehe, ausgelistet zu werden.
Laut Kohlpharma-Geschäftsführer Jörg Geller geht es um ein politisches Zeichen: „Wettbewerb muss fair sein. Es kann nicht sein, dass eine Seite sich die Rosinen aus dem Kuchen herauspickt und die andere Seite auf den weniger attraktiven Zutaten sitzen bleibt.“ Sollten weitere Hersteller dem Beispiel folgen, könnte den Rx-Boni der EU-Versender die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden, so die Überlegung.
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