Hersteller lehnen EU-einheitliche Arzneipreise ab Lothar Klein, 10.07.2018 11:49 Uhr
Zu Jahresbeginn hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Nutzenbewertung neuer Arzneimittel in Europa zu vereinheitlichen. Dagegen regt sich Widerstand aus den Mitgliedstaaten. Auch die Bundesregierung sieht den EU-Plan kritisch. Im September gehen in Brüssel die Beratungen in die nächste Runde. Dazu haben jetzt die deutschen Herstellerverbände BAH, BPI, vfa und Bio Deutschland ein gemeinsames Positionspapier vorgelegt: Darin begrüßen sie die EU-weite Nutzenbewertung, bestehen aber auf nationalen Preisverhandlungen.
„Die deutschen Arzneimittel-Herstellerverbände unterstützen den EU-Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zum Health Technology Assessment (HTA)“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Begrüßt werden die mit dem EU-Entwurf verfolgten Ziele: Angleichung der Anforderungen zur Generierung klinischer Evidenz in den Mitgliedstaaten, Schaffung von Synergien und Vermeidung von Doppelarbeit durch gemeinsam durchgeführte Beratungsprozesse und nachfolgende gemeinsame klinische Bewertungen und die Verbesserung des Zugangs von Patientinnen und Patienten zu neuen Arzneimitteln.
„Im aktuellen Kommissionsvorschlag fehlt es jedoch noch an konkreten methodischen und verfahrenstechnischen Vorgaben, die eine verlässliche, transparente und rechtssichere Durchführung gewährleisten“, heißt es weiter. Die vier Verbände verlangen von der EU-Kommission klarere Festlegungen. Oberste Prämisse für den europäischen Prozess müsse sein, dass sich die derzeitige Versorgungssituation für Patienten in Deutschland durch den Gesetzentwurf nicht verschlechtert.
Eine gemeinsame Bewertung der klinischen Evidenz sei unter der Maßgabe zu begrüßen, dass deren Ergebnis in den „weiterhin national zu durchlaufenden Folgeschritten wie Erstattungsentscheidung und Preissetzung“ zu verwenden seien. „Erstattungsentscheidungen und Preissetzung verbleiben national bei jedem Mitgliedstaat“, so die gemeinsame Forderung.
Die Möglichkeit, schon frühzeitig während des Arzneimittelentwicklungsprozesses Evidenzanforderungen für das Zulassungsverfahren und die gemeinsame klinische Bewertung zu klären, werde dagegen ausdrücklich begrüßt. Kritisch zu sehen sei aber, dass der EU-Vorschlag bislang nicht sicherstelle, dass die Beratungsoption für alle Arzneimittel bestehe, die einer gemeinsamen klinischen Bewertung unterzogen werden sollten. Es sei zudem sicherzustellen, dass die Ergebnisse der „joint scientific consultations“ die gleiche Verbindlichkeit für die Bewertung der klinischen Evidenz erhielten, wie dies die wissenschaftliche Beratung der Europäischen Arzneimittelagentur für den Zulassungsprozess habe.
Kürzlich hatte Sabine Weiss (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), den Plänen der EU-Kommission eine Absage erteilt: „Wir müssen nicht alles einheitlich regeln.“ Der EU-Verordnungsvorschlag gehe zu weit und die rechtliche Grundlage sei unsicher. „Der politische Gestaltungsspielraum bei der Preisbildung, der Erstattung muss erhalten bleiben“, sagte Weiss. Damit vertritt das BMG eine vergleichbare Position wie die Herstellerverbände.
Wie berichtet, plant die EU-Kommission, das HTA-Verfahren von zentral zugelassenen Arzneimitteln sowie von Medizinprodukten hoher Risikoklassen (IIb und III) und in-vitro-Diagnostika auf europäische Ebene zu verlagern. Hierzu soll die EU-Richtlinie 2011/24/EU geändert werden. Die Ergebnisse des HTA-Verfahrens wären dann für Entscheidungen in den EU-Mitgliedsländern über die Preisbildung und Erstattung verbindlich.
In einer früheren Erklärung begrüßte der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) grundsätzlich die Absicht, ein einheitliches europäisches Vorgehen für die klinische Bewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser will die nationale Hoheit aber nicht preisgeben: „Wichtig ist, dass Erstattung und Preisgestaltung von Arzneimitteln weiterhin in nationaler Kompetenz bleiben. Um lokale Versorgungsrealitäten zu berücksichtigen, muss nationalen Entscheidungskompetenzen genügend Spielraum gelassen werden.“
Positiver bewertete der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) den Plan: Von der jetzt beginnenden Debatte über europäische Standards in der Nutzenbewertung könne Deutschland profitieren. „Vor allem die engere Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen im Arzneimittelsektor wäre ein echter Schritt nach vorne. Ein Konsens, wie Arzneimittelstudien gestaltet sein sollten, würde allen Beteiligten bei der Umsetzung helfen“, so Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer.
Nein zum EU-Vorschlag sagte hingegen der GKV-Spitzenverband: „Diesen Schritt können wir nicht gut heißen, denn wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben. Zusammenarbeit der EU-Mitglieder bei der wissenschaftlichen Bewertung von neuen Arzneimitteln ja, aber eine Absenkung des Niveaus durch Vereinheitlichung auf einem niedrigeren Standard nein“, so Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg. Auf heftige Kritik stieß der Vorstoß auch bei der AOK: Deutschland sei das Land in Europa, in dem Patienten unmittelbar Zugang zu allen neuen zugelassenen Arzneimitteln hätten. „Die Nutzenbewertung ist daher unsere einzige Möglichkeit, wirklich innovative und gute Arzneimittel von Nachahmerprodukten zu trennen und die Preise zu verhandeln“, so Verbandschef Martin Litsch.