Eppendorfer Dialog

Hennrich: Der Regel-Apotheker lebt in der alten Welt

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Berlin -

Rund 19.500 Apotheken stellen die wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland sicher. Die Digitalisierung stellt die Strukturen der Arzneimittelversorgung vor neue Herausforderungen. Stellen digitale Instrumente die Apotheke vor Ort in Frage oder sind sie eine Chance für Patienten, Ärzte und Apotheker? Ist die persönliche Betreuung für verschriebene Arzneimittel und Selbstmedikation in Gefahr? Darüber diskutierten Experten beim von Pohl-Boskamp initiierten 24. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik. Für die Apotheker hatte CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich wenig schmeichelhafte Bemerkungen parat: „Der Regel-Apotheker lebt in der alten Welt.“

Das Thema der Expertenrunde lautete: „Arzneimittelversorgung der Zukunft: Bleibt die Apotheke vor Ort?“ So wie jetzt jedenfalls nicht, darin waren sich die Diskutanten einig. Hennrich wünscht sich eine zukunftsgewandtere Apothekerschaft: „Die sitzen in ihren Schützengräben und verteidigen ihre Positionen“, teilte Hennrich in Richtung ABDA aus.

Hennrich warnte die ABDA davor, bei den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen das Medikationsmanagement ins Zentrum zu stellen: „Da bin ich sehr skeptisch.“ Der Einsatz künstlicher Intelligenz könne hier die Apotheker ganz rasch überflüssig machen. Stattdessen riet Hennrich, das Impfen in Apotheken anzunehmen: „Das können Plattformen nicht.“ Aber hier sagten viele Apotheker: „Das wollen wir nicht“. Hennrich kritisierte, dass es aktuell sehr schwierig sei, mit der Apothekerschaft über solche Themen ins Gespräch zu kommen.

Das gelte auch für das Thema der Abgabe von Cannabis in Apotheken. „Hier könnten die Apotheken eine wichtige Rolle spielen“, sagte Hennrich. Der CDU-Arzneimittelexperte riet den Apotheker, ihr Geschäftsmodell zu modernisieren: „Als Arzneimittellogistiker wird es schwierig werden.“ Empathie sei die Stärke der Apotheker, „darauf sollten sie ihr Konzept aufbauen.“ Denn auch für Hennrich ist der Arzneimittelversandhandel nicht mehr wegzudenken. Nach dem EuGH-Urteil von Oktober 2016 sei er als Befürworter des Rx-Versandhandelsverbots in die Diskussion gestartet. Seine Wähler hätten ihn allerdings dafür „verständnislos angeschaut“ ­ – auch wegen der Versorgungsprobleme auf dem Land. In einem schwierigen Erkenntnisprozess sei er daher zu der Einschätzung gekommen, dass ein Rx-VV zwar rechtlich, aber nicht politisch umsetzbar sei. Ihre Zukunft müssten die Apotheke vor Ort auch in der Spezialisierung suchen, sagte Hennrich: „Diabetes, Onkologie, Prävention werden eine wichtige Rolle spielen.“

Apotheker Steffen Kuhnert sieht seine Kollegen in einem „Realitätsschock“ mit Blick auf die rasante Digitalisierung und den Einsatz künstlicher Intelligenz. „Wir machen uns selbst verrückt, wir Apotheker sind Teil des Problems. Apotheker müssten endlich unternehmerisch agieren. Wir betreiben Selbstbetrug und schätzen die Situation nicht richtig ein.“ Als Logistiker habe der Apotheker ausgedient. „Wir sind an unsrer Lage selber schuld“, so Kuhnert. Statt sich zusammenzuschließen „sind sich Apotheker selbst die größten Feinde“. „Wir brauchen starke Partner, alleine schaffen wir die Zukunft nicht“, so Kuhnert weiter. Zu viele Zukunftsdinge seinen schon an den Apotheken vorbeigegangen, kritisierte er die ABDA: „Warum haben wir noch keine Videochat-Funktion für die Apothekerschaft 24/7. Wir müssen jetzt mit konkreten Schritten losgehen. Versandhandel und Internet verschwinden nicht wieder.“ Beim Thema Google & Co. sei von der Standesvertretung nichts zu sehen, „das hat die ABDA auch verpasst.“ Die Bequemlichkeit der Kunden treibe die Entwicklung voran, „sie ist ein ganz großer Faktor, auch die Videoberatung wird kommen.“

Max Müller, Mitglied des Vorstandes bei DocMorris und Präsident des Europäischen Verbandes der Versandapotheken EAMSP, sieht den Apothekenmarkt ebenfalls im Wandel: „Die Treiber der Veränderung sind die Kunden.“ Man müsse die Digitalisierung als Chance begreifen. Sie könne das Leben angenehmer und leichter machen. Müller widersprach der These, dass die Kunden zu DocMorris wegen des Rx-Bonus kämen. „Wir haben über sechs Millionen Kunden“, so Müller. Die Zukunft der Apotheke liege nicht im Transport von Arzeimitteln von A nach B. DocMorris habe schon Vieles von dem umgesetzt, über das die ABDA noch diskutiere, den Einsatz von KI, AMTS und Teleberatung.

Müller: „Die Bedingungen sind für alle Apotheken gleich. DocMorris kauft zu den selben Preisen ein wie jede Vor Ort Apotheke. Es kommt darauf an, was man daraus macht.“ Der DocMorris-Vorstand versicherte auf eine Frage einer Apothekerin, dass die niederländische Versandapotheke auch in Deutschland Gewerbesteuer zahle: „Weil unser Firmensitz in Heerlen in einen deutsch-niederländischen Gewerbegebiet liegt, fließen sechs Prozent Gewerbesteuer auch nach Aachen.“ DocMorris beschäftige 130 Pharmazeuten und PTA für die Kundenberatung. Täglich gebe DocMorris 46.000 schriftliche Hinweise zu AMTS, davon 11.000 zu Wechselwirkungen, 3000 zu Doppelverordnungen und 32.000 zu Wechsekwirkungen zwischen Nahrungs- und Arzneimitteln.

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin und Inhaberin der Falken-Apotheke in Berlin-Weißensee, sieht die Zukunft der Vor Ort Apotheken vor allem als Gesundheitsmanager: „Wir können eine deutlich stärkere Rolle spielen. Wir haben mehr als vier Asse im Ärmel.“ Die Apotheker müssten die heilberuflichen Aspekte in den Vordergrund stellen, so Kemmritz. Apotheker seien Gesundheitsmananger, Gatekeeker, Therapiebegleiter, Übersetzer für Patienten, Public-Health-Netzwerker und leisteten den Patienten Hilfe für den Umgang mit dem Internet. Auch das E-Rezept sieht die Kammerpräsidentin als Chance für mehr AMTS: „Apotheker können digital. Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen.“

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