Ein Weckruf für die Standesvertretung

Heilberufler 2. Klasse: Von der eigenen Vertretung degradiert Lilith Teusch, 30.09.2024 14:52 Uhr

Christian Gerninghaus ist unzufrieden mit der Standesvertretung. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Bei der Kammerwahl in Hessen tritt eine neue Liste 7 an. Spitzenkandidatin Dr. Schamim Eckert und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter wollen eine grundlegende Neuausrichtung in der Berufspolitik. Mit dabei ist auch Dr. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke im hessischen Schlitz. Bei einem Livetalk auf der APOTHEKENTOUR in Frankfurt erklärte er, warum die Apotheker aus seiner Sicht eine schlechte Standesvertretung haben.

„Wir fühlen uns nicht so vertreten, wie es sein sollte“, erklärt Gerninghaus. Eine Kammer müsse für ihre Mitglieder arbeiten, für die Apotheken, die sie schlussendlich auch bezahlten. Doch eben das sieht der Apotheker nicht.

Die Kommunikation mit der Kammer sei intransparent. Als Beispiel nennt er die Änderungen im Notdienst: In Hessen gebe es jetzt ein KI-gestütztes System, das die Notdienste verteile, aber das sei nicht nachvollziehbar. „Warum muss ich plötzlich so viel weniger Notdienste machen?“, fragt Gerninghaus. Das Verfahren sei intransparent, die Kammer kommuniziere nicht mit den Apotheken, Prozesse auf Kammerebene dauerten ewig.

Stattdessen wachse das Gefühl, dass berufsgerichtliche Verfahren aus fragwürdigen Gründen Vorrang hätten. Gerninghausen selbst war auch schon betroffen: Auf einem Rezept einer Kundin war dem Apotheker eine andere Dosierung als üblich aufgefallen; als er nachfragte, verstand die Kundin nicht, warum er Zugriff auf ihre Daten hatte. Sie beschwerte sich daraufhin bei der Kammer, die nach seinen Angaben tatsächlich ein Verfahren einleitete.

Unterstützung für Protestmaßnahmen sei, wenn überhaupt, nur spärlich gekommen. Bei den ersten angekündigten Streiks im vergangenen Jahr habe die Kammer sogar mit Ordnungswidrigkeitsverfahren gedroht. Wegen der Brückentage sei die Versorgung für dreieinhalb Tage unterbrochen, argumentierte die Kammer damals. Ein zentral organisierter Kurzstreik der Abda fand dann am Mittwochnachmittag statt – genau dann, wenn die Praxen laut Gerninghaus ohnehin geschlossen sind. „Das ergibt keinen Sinn. Das bekommt die Bevölkerung nicht mit“, meint der Apotheker. Streiks müssten öffentlichkeitswirksam geführt werden, wie bei Piloten oder Lockführern.

Heilberufler zweiter Klasse

Auf der Protestkundgebung in Erfurt sprach Gerninghaus mit Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV) und fragte, warum die Ärzte lauter seien als die Apotheken. „Die Antwort war: Die sind weniger verzichtbar als die Apotheken. Da frage ich mich, warum ein DAV-Vorstand mir so etwas sagt, und mich als Apotheker zum Heilberufler zweiter Klasse macht. Das kann doch nicht sein!“

Auch mit Blick auf die im aktuellen Entwurf der Apothekenreform ab 2027 vorgesehenen Vergütungsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband sieht Gerninghaus schwarz. „Wenn man mit dem Gefühl in die Verhandlungen geht, ein Heilberufler zweiter Klasse zu sein, wie will man dann mit der GKV verhandeln? Ich sehe nicht, dass wir einen Verhandlungsführer haben, der das für uns so hinbekommt.“

Fragwürdig findet er auch, dass die Krankenkassen an dieser Stelle ihre Ausgaben selbst bestimmen können. „Denn sie werden niemals – das garantiere ich Ihnen – dafür sorgen, dass die Apotheken auskömmlich über die Runden kommen.“ Stattdessen würden die Krankenkassen immer mehr Druck ausüben, möglichst wenig zu zahlen.

Generell lasse die Standesvertretung zu wünschen übrig. So kritisiert Gerninghaus die jüngste Interviewaussage der Abda-Präsidentin, eine Stunde Fahrzeit zur nächsten Apotheke sei zumutbar, als „sehr unglücklich“: „Dann können ja noch einige Apotheken abgebaut werden.“

Kritik übt der Apotheker auch an den neuen Protestkampagnen der Abda. „Was haben wir alles gehabt? Rote T-Shirts, Postkarten und jetzt diese Plakate – ich habe wenig Hoffnung, dass das die Leute so erreicht, wie es sollte.“ Die Pressearbeit der Abda sei manchmal sehr fragwürdig, findet Gerninghaus. „Muss das Geld so ausgegeben werden oder könnte es besser eingesetzt werden?“ Als Beispiel nennt er die letzte Plakatkampagne: „5 Millionen Überstunden. So viel Zeit bringen die Apotheken pro Jahr auf, um trotz Lieferengpässen passende Arzneimittel zu finden. Das soll auch so bleiben“, war darauf zu lesen. Die Abda hat das Plakat mittlerweile wieder entfernt. „Das ist unglücklich gelaufen, das wirkt unprofessionell.“

Ein Neustart

Mit Liste 7 wollen die Apotheker in Hessen aufräumen: Gerninghaus will eine Kammer, die transparent ist und offen und auf Augenhöhe mit ihren Mitgliedern kommuniziert, statt als Aufsichtsbehörde zu agieren. Außerdem soll die Kammer den „hessischen Weg“ gehen und nicht alles abnicken, was aus Berlin kommt. Nicht immer auf Abda-Linie, sondern ganz nach dem Motto: „Selber denken, selber machen“.

„Der Apotheker ist sehr folgsam, es wird umgesetzt, was angeordnet wird, auch in vorauseilendem Gehorsam wird eher etwas mehr umgesetzt, als es eigentlich sein müsste.“ Ein ganz anderes Selbstverständnis als bei anderen Heilberufen, kritisiert Gerninghaus: Die Apothekerschaft stehe sich damit selbst im Weg. „So können wir unseren Beruf aber nicht weiterentwickeln. Wir müssen nach vorne schauen und Maßnahmen ergreifen“, appelliert er. Es gehe schließlich darum, eine Zukunft zu sichern, in der auch kommende Generationen von Apothekern ein Auskommen haben.

Nicht-Wähler mobilisieren

Die Beteiligung an den Kammerwahlen sei generell sehr gering. Gerninghaus glaubt, dass viele Apothekerinnen und Apotheker desillusioniert sind und nichts von ihren Kammern erwarten, dass sie gar nicht erst nicht teilnehmen, weil sie sagen, es kann nicht besser werden – und genau das will Liste 7 nun ändern. Vor allem die Nichtwähler will der Apotheker bei den kommenden Kammerwahlen mobilisieren.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Verband müsse künftig besser funktionieren, meint Gerninghaus. Beide haben zwar unterschiedliche Aufgaben, vertreten aber den gleichen Berufsstand. Das gehe nur Hand in Hand, so der Apotheker. Dass die Standesvertretung in der Vergangenheit oft gegen die Apotheken geschossen hat, sieht Gerninghaus als Ansporn.

„Wir müssen weg von der Bürokratie, wir müssen weg vom Neid, weg von diesen unangenehmen Situationen“, sagt der Apotheker. Stattdessen müssten die heilberuflichen Aspekte und die Lotsenfunktion der Apotheke als niedrigschwellige Anlaufstelle wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden.

Auch die Landesapothekerkammer habe Aufgaben, die positive Wahrnehmung der Apotheken zurückzugewinnen: „Wir schaffen es nicht, die Wertschätzung, die wir durch unsere Kunden erfahren, auch in die Politik zu tragen. Diese muss erkennen, dass die Apotheke wertvoll und unverzichtbar ist“, so Gerninghaus. Die mangelnde Wertschätzung seitens der Politik zeige sich zum Beispiel schon in dem Warnhinweis: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin oder fragen Sie Ihre Apotheke“. „Wir sind keine Menschen mehr, sondern nur noch Abgabestellen“, sagt der Apotheker.

Um die Politik zu erreichen, seien weitere Proteste nötig. „Ich glaube, das kann man nur machen, wenn die Apotheken schließen, auf die Straße gehen und laut werden“, erklärt Gerninghaus. Der Hessische Weg habe insbesondere mit der Arbeit des HAV über das Maß anderer Bundesländer hinaus zu einer besseren Wahrnehmung der Apotheken in Deutschland beigetragen. Vielleicht könne man es sogar als Erfolg verbuchen, dass der Referentenentwurf deshalb immer noch nicht im Kabinett sei, so Gerninghaus. Schließlich seien bei den Protestveranstaltungen in Thüringen und Hessen auch hochrangige Landespolitiker zu Gast gewesen und hätten sich für die Apotheken ausgesprochen.

„Ich wünsche mir, dass unser Berufsstand die Wertschätzung bekommt, die er verdient. Außerdem hoffe ich, dass die Kollegen die Freude am Beruf wiedergewinnen, weil die Rahmenbedingungen besser werden“, so Gerninghaus.

Billiger als ein Toilettengang bei Sanifair

Die Stimmung im Team ist eigentlich ganz gut, aber natürlich kämpfen wir auch. Vor allem Lieferengpässe seien ein großes Problem. „Das kostet unendlich viel Zeit und Energie.“ Für wichtige Medikamente gebe es zum Teil lange Wartelisten. Auch das elektronische Rezept funktioniere noch nicht reibungslos. Noch immer müssten Patienten wieder weggeschickt werden, weil die Unterschriften auf den Rezepten fehlten.

„Wir sind eine der reichsten Industrienationen der Welt, und wir kriegen die Grundversorgung nicht auf die Kette“, so Gerninghaus. Mit 60 Cent sei der Mehraufwand nicht abgegolten. Auch hier zeige sich die mangelnde Wertschätzung. „Ein Toilettengang bei Sanifair kostet mehr.“

Ohne frisches Geld geht es nicht

Natürlich sei auch das Skontoverbot ein Riesenthema. Beim Rx-Einkauf gehe ein großer Teil der Marge verloren. Zumindest der Kassenrabatt müsse fairerweise abgeschafft werden: „Wenn es auf unserer Ebene ein Rabattverbot gibt, warum nicht auch bei den Krankenkassen? Der Kassenrabatt muss weg“.

Auch die Umverteilung von Stadt zu Land funktioniere nicht. „Ich habe auch mal ausgerechnet, was die Umverteilung macht, das ist Blödsinn“, erklärt der Apotheker. Mal sind es 300 Euro mehr, mal weniger. Die Tariflohnerhöhungen seien eine zusätzliche Belastung, auch wenn es richtig sei, dass gutes Personal auch gut bezahlt werden müsse. Aber dazu müsste eben das Honorar erhöht werden.

Es müsse mehr Geld ins System, das Argument, der Beitragssatz müsse stabil gehalten werden, sieht Gerninghaus kritisch. Angesichts der steigenden Ansprüche der Bevölkerung an das Gesundheitssystem sei es unmöglich, die Versorgung mit den bisherigen finanziellen Mitteln aufrechtzuerhalten. „Wie soll Beitragssatzstabilität bei steigenden Ansprüchen der Bevölkerung an das Sozialversicherungssystem möglich sein? Mit gleichbleibendem Geld geht das nicht.“ Der Apotheker sieht aber auch Einsparmöglichkeiten im Gesundheitssystem, vor allem bei den Krankenkassen: „Wozu brauchen wir 95 Krankenkassen, wenn 99,5 Prozent der Leistungen identisch sind? Das schaffen auch drei.“

Sinnvoll wäre auch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel – hier sei aber mit Widerstand aus dem Wirtschaftsministerium zu rechnen, so Gerninghaus.