Hecken: „Schneidiger Minister gegen kranken alten Mann“ Lothar Klein, 17.09.2019 14:15 Uhr
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter aufs Tempo drücken: Bis zum Jahresende will Minister Jens Spahn (CDU) dazu ein „Leitbild zur Digitalisierung“ vorlegen. Das kündigte Christian Klose, Unterabteilungsleiter, Gematik, Telematikinfrastruktur, eHealth, an. Und noch im Herbst soll ein weiteres eHealth-Gesetz die Details zur elektronischen Patientenakte (ePA) regeln.
„Die ePA wird zum 1. Januar 2021 kommen“, sagte Klose: „Ich gehe davon aus, dass jede der 108 Krankenkassen zu diesem Termin eine ePA anbietet.“ Beinhalten soll das ePA-Gesetz die Details. Laut Klose soll die ePA nicht nur die Arzt- und Medikationsdaten enthalten, sondern den Impfpass, den Mutterpass, das U-Heft für Kinder und Daten zur Zahngesundheit. Die Patienten sollen gegenüber den Ärzten einen Anspruch auf Eintrag der Diagnose- und Therapiedaten erhalten. Auf der Digital-Agenda des BMG steht laut Klose zudem der Ausbau der Telemedizin.
Klose kritisierte, dass im deutschen Gesundheitswesen immer noch in Sektorengrenzen gedacht werde. Unter anderem deswegen seien jährlich 20.000 Todesfälle wegen Fehlbehandlungen zu beklagen. „Da gibt es ein brutales Missverhältnis“, so Klose mit Verweis auf die staatlichen Anstrengungen zur Verringerung der Anzahl der Verkehrstoten. „Wir müssen daher Digitalisierung als gemeinsame Aufgabe verstehen“, so Kloses Appell, um gegen Weltkonzerne wie Appel und Google bestehen zu können.
Oberste Priorität habe der Ausbau der Gematik-Infrastruktur. 120.000 Ärzte sind laut Klose inzwischen angeschlossen, Kliniken und Apotheken sollen folgen. Tempo machen werden das BMG auch beim Ausbau der Telemedizin und bei den Themen Big Data und Künstlicher Intelligenz. „Digitalisierung verschwindet nicht wieder, ist auch keine Frage des Alters“, so Klose, „das Smartphone bringt das Wissen der Menschheit in jede Hand.“ In jedem der 16 Gesetze in 16 Monaten habe Spahn daher eine Digitalisierungskomponente eingebaut. Wichtig sei jetzt, dass der Nutzen der Digitalisierung auch für die Patienten erkennbar werde: „Die Digitalisierung muss Mehrwert bringen.“
Zuvor hatte G-BA-Chef Josef Hecken ebenfalls über die Herausforderung der Digitalisierung des Gesundheitswesens referiert. Die „Misstrauenskultur“ der Heilberufe habe in der Vergangenheit raschere Fortschritte verhindert. „Wir laufen 15 Jahre hinter der Entwicklung her“, so Hecken. Seit 30 Jahren werde über das Thema Arzneimittelsicherheit diskutiert, aber außer ein paar Modellprojekten sei nichts passiert. „‚Adam‘ [gemeint war wohl Armin, Anm. d. Red] und der Medikationsplan aus Papier sind doch Steinzeit“, kritisierte Hecken.
Doch nicht alles, was der „schneidige junge Gesundheitsminister gegen den kranken alten Mann im G-BA“ durchdrücke, gefällt Hecken: „Digitalisierung ist kein Wert an sich.“ Noch viele offene Fragen sieht er bei den digitalen Medizinprodukten. Wie könne deren diagnostischer und therapeutischer Nutzen bewertet werden, wie die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit? Anders als bei Arzneimittel liege in den meisten Fällen keine Evidenz vor. Mehr noch: Wie solle das G-BA in digitalen Medizinprodukten enthaltenen Algorithmen beurteilen?
Als Beispiel führte Hecken sogenannte Closed-Loop-Systeme für Diabetiker an, die automatisch den Blutzuckerspiegel messen, das Verhalten der Patienten überwachen und über Insulinpumpen die Abgabe optimieren solle. Hecken: „Arbeitet der selbstlernende Algorithmus mit deutschen oder vielleicht US-amerikanischen medizinischen Leitlinien?“ Fragen wirft laut Hecken auch die Haftung auf, wenn der Algorithmus versagt oder die Insulinpumpe. Als Konsequenz fordert der G-BA-Chef für digitale Medizinprodukte eine Nutzenbewertung wie für Arzneimittel mit dem AMNOG: „Wir brauchen ein DIMNOG für Medizinsprodukte.“