Bundestagsjuristen: Rx-Versandverbot machbar Lothar Klein, 03.11.2016 10:47 Uhr
Nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages liegt ein Verbot des Versandhandels von rezeptpflichtigen Arzneimittel in der Regelungshoheit nationaler Gesetzgeber. Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni ausländischer Versandapotheken habe darauf keinen Einfluss. Außerdem sieht der Wissenschaftliche Dienst politischen Handlungsbedarf. Anderenfalls komme es für inländische Apotheken zu einer Benachteiligung, der sogenannten Inländerdiskriminierung. Keine Aussagen treffen die Bundestagsjuristen jedoch zu den Erfolgsaussichten eines Rx-Versandverbotes bei einer erneuten Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof.
„Auf nationale Maßnahmen, die beispielsweise die gesetzliche Preisbindung aufheben oder den Versandhandel mit Rx-Arzneimitteln in Deutschland wie vor der 2004 in Kraft getretenen Gesetzesänderung verbieten, hat das Urteil des EuGH keine unmittelbaren Auswirkungen“, schreibt der Wissenschaftliche Dienst in seinem aktuellen Gutachten zum EuGH-Urteil unter der Überschrift „Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel – das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016“.
Zu berücksichtigen habe der nationale Gesetzgeber bei einem Rx-Versandverbot jedoch die EuGH-Entscheidung vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache Deutscher Apothekenverband (DAV) gegen DocMorris. Der DAV hatte vor dem Landgericht Frankfurt am Main gegen das Anbieten von Arzneimitteln über das Internet und ihre Abgabe im grenzüberschreitenden Versandhandel durch DocMorris geklagt. Das Verfahren landete schließlich vor dem EuGH.
Die Luxemburger Richter entschieden, dass für Arzneimittel, die für den deutschen Markt zugelassen sind, ein nationales Verbot des Versandhandels mit diesen Arzneimitteln eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt. Ein Einfuhrverbot sei mit dem EG-Vertrag nur vereinbar, soweit es „für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist“. Für OTC-Arzneimittel sei ein Versandverbot nicht zulässig. Der Kauf über das Internet könnte auch Vorteile bieten, wie etwa die Möglichkeit, von zu Hause aus in Ruhe Fragen an die Apotheker zu richten, urteilten die EuGH-Richter.
Für verschreibungspflichtige Arzneimittel sah das Gericht andere Bedingungen: Der Versand dieser Arzneimittel nach Erhalt der Verschreibung und ohne weitere Kontrolle könne das Risiko erhöhen, „dass ärztliche Verschreibungen missbräuchlich oder fehlerhaft verwendet werden“. Im Übrigen könne die Möglichkeit, dass ein Arzneimittel in einer anderen Sprache etikettiert sei, im Fall von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gravierendere Folgen haben. „Daher ist ein nationales Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gerechtfertigt“, so der EuGH im Jahr 2003.
Falls die Politik nicht auf das EuGH-Urteil reagiert und handelt, sieht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Wettbewerbsnachteile für Apotheken in Deutschland. Nun müsse das OLG Düsseldorf über die Berufung der DPV entscheiden, wobei es in seiner Entscheidung aufgrund der bindenden Wirkung des EuGH-Urteils nicht von der Bewertung des EuGH abweichen dürfe.
Das OLG müsse bei seiner Entscheidung berücksichtigen, dass die Preisbindung für Rx-Arzneimittel beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand „mangels Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht nicht anwendbar ist“. Dies ergebe sich aus dem „Anwendungsvorrang“ des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht. „Da das Verbot des Art. 34 AEUV nur einfuhrbehindernde Maßnahmen betrifft, kann es durch die Nichtanwendbarkeit der Preisbindungsregelungen auf EU-ausländische Marktteilnehmer zu einer Benachteiligung inländischer Marktteilnehmer kommen (sog. Inländerdiskriminierung)“, so die Bundestagsjuristen.
Ausführlich geht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages auf die Begründung des EuGH für die Aufhebung des Rx-Boni-Verbots ein: Der Gesundheitsschutz nehme zwar den höchsten Rang unter den vom Unionsrecht geschützten Gütern und Interessen ein und die Mitgliedstaaten besäßen einen weiten Wertungsspielraum bei der Entscheidung, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollten und wie sie dies erreichten. Jedoch müssten staatliche Beschränkungen von Grundfreiheiten geeignet sein, das verfolgte legitime Ziel zu erreichen.
Hierbei müssten die Mitgliedstaaten aufgrund der ihnen obliegenden Beweislast die Geeignetheit der Maßnahme darlegen. „Nach Ansicht des EuGH wurde vorliegend kein Nachweis dafür erbracht, dass die Festlegung einheitlicher Apothekenabgabepreise für Rx-Arzneimittel geeignet sei, die vorgetragenen Rechtfertigungsgründe zu stützen“, schreiben die Bundestagsjuristen. Der EuGH fordere den Nachweis einer „tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit“. Dies könne nicht anhand allgemeiner Überlegungen, sondern nur auf Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Überlegungen beurteilt werden.
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