Sozialversicherungspflicht

Grundsatzurteil zu Vertretungsapothekern

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Berlin -

Vertretungsapotheker vertreten Apotheker, was sie eigentlich zum typischen Vertreter des freien Mitarbeiters macht. Dennoch wird seit Jahren gestritten, ob der Urlaubsersatz auf Honorarbasis abgerechnet werden kann – oder ob ein befristetes Anstellungsverhältnis notwendig ist, wie es auch die Apothekerkammern aus berufsrechtlichen Gründen fordern. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu Honorarärzten aus dem vergangenen Jahr schien der Spielraum noch enger zu werden. Doch vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat eine Apothekerin aus der Nähe von Bielefeld jetzt einen wichtigen Erfolg errungen.

Claudia Witte leitet die Apotheke in Lipperreihe in Oerlingshausen südlich von Bielefeld – die „kleinste Dorfapotheke, die man sich denken kann“, wie sie sagt. Mit jahrelangen Gerichtsverfahren hat sie eigentlich nichts am Hut, doch als das Sozialgericht Detmold (SG) sie vor drei Jahren zur Zahlung von Sozialabgaben für drei Vertretungskollegen verdonnerte, wurde in ihr der Ehrgeiz geweckt. „Mir ging es ums Prinzip“, sagt Witte.

Die Sache reicht zurück bis ins Jahr 2009. Nach der Übernahme der Apotheke sagte die Vorbesitzerin ihr zu, gelegentlich auszuhelfen, wenn Not am Mann sei. Abgerechnet wurde stundenweise, zunächst 23,40 Euro, dann 35 Euro und schließlich 40 Euro. Einen Vertrag oder irgendwelche Vorgaben gab es nicht. „Sie kannte die Apotheke ja damals besser als ich. Ich habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht.“

Fünf Jahre später meldete sich nach einer Betriebsprüfung die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und forderte einen Betrag von knapp 1200 Euro einschließlich Säumniszuschlägen. Ähnliche Bescheide flatterten Witte für zwei weitere Vertretungsapotheker – einen via Agentur vermittelten Approbierten und eine Kollegin aus der Nachbarschaft – ins Haus. Nach erfolglosem Widerspruch ging der Fall vor Gericht.

Im Streit trug die DRV die üblichen Argumente vor, die gegen eine Selbstständigkeit sprechen: Eingliederung in den Betrieb, Weisungsgebundenheit, fehlendes unternehmerisches Risiko. Witte wies ohne Erfolg darauf hin, dass die DRV selbst in ihren Gemeinsamen Rechtlichen Arbeitsanweisungen (GRA) Vertreter eines niedergelassenen Arztes, Zahnarztes oder Apothekers nicht als sozialversicherungspflichtig angesehen hatte, die keinen Beschränkungen unterliegen, die über die Verpflichtung zur Benutzung der Praxisräume, zur Einhaltung der Sprechstunden und zur Abrechnung im Namen des Vertretenen hinausgehen.

Ohne Erfolg trug auch die Vertreterin vor, dass sie innerhalb von zwei Jahren in 40 Apotheken tätig gewesen sei und ihren Stundensatz immer individuell ausgehandelt habe. Dass sie eine eigene Buchhalterin angestellt und ein Auto im Betriebsvermögen führe. Dass sie eine eigene Haftpflichtversicherung habe und für Ausfälle wegen Krankheiten immer alleine gerade stehen müsse. Dass sie nie Weisungen erhalten habe, sondern vielmehr den Betrieb eigenverantwortlich geleitet und sogar eine Einstellung und eine Entlassung durchgeführt habe.

Das SG ließ diese Argumente nicht gelten: Zwar sei ein Apothekenvertreter für den Zeitraum der Vertretung hinsichtlich seines originären pharmazeutischen Wissens und seiner darauf basierenden Entscheidung frei und eigenverantwortlich tätig. Dies führe jedoch auch zusammen mit der Weisungsbefugnis gegenüber den Angestellten nicht dazu, eine Selbstständigkeit im Sinne der Sozialversicherung anzunehmen. Denn hinsichtlich Öffnungszeiten, wirtschaftlichen Entscheidungen und der Führung des Personals seien Chefvertreter den Weisungen der Inhaber unterlegen. Auch seien sie weder an der Unterhaltung der Räumlichkeiten noch an den Personalkosten sowie Gewinn- und Verlustrechnungen beteiligt und hätten somit kein Unternehmerrisiko zu tragen.

Nachdem Witte in Berufung gegangen war, setzte sich das LSG intensiv mit dem Sachverhalt auseinander – immerhin lagen die letzten Urteile zu ähnlichen Sachverhalten mehr als 60 Jahre zurück. Am Ende stand ein ganz anderes Ergebnis: Wittes Vertreterin sei nicht angestellt, sondern selbstständig gewesen. So sei sie schon deswegen nicht weisungsgebunden gewesen, weil sich beide Parteien auf konkrete Zeiträume und ein Stundenhonorar geeinigt hätten – und diese daher „einseitigen arbeitgeberseitigen Weisungen entzogen“ hätten.

Was die inhaltlichen Aspekte der Arbeit angehe, gebe es gesetzliche Vorschriften, die eine vollständige inhaltliche Autonomie erforderten – und die aus diesem Grund ebenfalls gar nicht zum Vertragsgegenstand hätten gemacht werden können. Dass beispielsweise die Tätigkeit einer zeitlichen und örtlichen Bindungen unterlag, sei nicht auf einseitige Weisungen der Inhaberin zurückzuführen, sondern allein auf die apothekenrechtlichen Bestimmungen.

Als Chefvertretung könne die Apothekerin gar nicht in die Betriebsorganisation integriert sein – vielmehr sei umgekehrt sie es, die aufgrund ihrer herausragenden Position den Betrieb präge. „Das Tätigwerden als […] Vertretungs]apothekerin ist dementsprechend maßgeblich für die Existenz und die Bildung des Apothekenbetriebes, sodass sie in einen solchen Betrieb nicht eingegliedert sein kann, den es ohne ihre Tätigkeit als Apothekerin nicht gäbe.“

Entsprechend kann ihr laut Gericht auch nicht die Nutzung der fremden Betriebsmittel angekreidet werden. „Die gesamte [...] in personeller und sachlicher Hinsicht zur Verfügung gestellte Praxisinfrastruktur ist der Vertretungstätigkeit [...] gegenüber untergeordnet, hat also im Verhältnis zu ihrer Tätigkeit als vertretende Apothekerin eine lediglich dienende beziehungsweise unterstützende Funktion. Es ist die (vertretende) Apothekerin, die darüber entscheidet wie die Betriebsinfrastruktur zur Umsetzung beziehungsweise Unterstützung ihrer pharmazeutischen Tätigkeit genutzt werden soll.“

Auch der fehlende Einsatz eigener Betriebsmittel spreche nicht gegen eine Tätigkeit als Selbstständigkeit, genauso wenig sei ein erfolgsabhängiges Gehalt zu erwarten.

Schließlich schlössen auch die apothekenrechtlichen Bestimmungen eine selbstständige Tätigkeit nicht aus. „So enthält insbesondere die Apothekenbetriebsordnung, die wie dargelegt die Notwendigkeit einer Vertretung des Apothekenleiters im Falle seiner Abwesenheit vorsieht, keine Vorschriften darüber, dass diese Vertretung nur in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt werden könne.

Vertretungsapotheker seien auch anders zu bewerten als Vertretungsärzte: Insbesondere bei Honorarärzten in Kliniken sah das BSG im vergangenen Jahr eine allzu große Eingliederung in den Betrieb, gepaart mit umfassender Weisungsgebundenheit.

 

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