Kompromiss im Homöopathie-Streit

Grüne gründen Globuli-Kommission

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Berlin -

Die Grünen haben in ihrem parteiinternen Homöopathie-Streit einen Kompromiss gefunden: Am Sonntag stimmten die Abgeordneten der Delegiertenkonferenz der Bildung einer Kommission zu dem Thema zu. Sie soll einen Standpunkt für die gesamte Partei erarbeiten und dabei Grundfragen wie die Rolle der Evidenz für die Erstattung von Arzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung erörtern. Auch mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens enthält der Beschluss einen Auftrag an die Kommission.

Der Homöopathie-Streit geht den Grünen an die Identität. Denn der Konflikt um die Wissenschaftlichkeit innerhalb der Ökopartei zeigt die Widersprüche auf, mit denen sie seit jeher lebt: Einerseits steht sie fest an der Seite der etablierten Wissenschaft, wenn es um Themen wie den Klimawandel geht. Geht es aber um Themen wie Gentechnik in der Landwirtschaft, sieht das allerdings oft anders aus. Die Partei kann nicht abstreifen, dass ihre Wurzeln auch im esoterisch-alternativen Milieu liegen – von Anthroposophen bis Alternativmedizinern finden allerlei Strömungen Platz.

Diese Widersprüche erregen auch parteiintern zunehmend Unmut. Mehrere Wissenschaftspolitiker sowie Teile der Grünen Jugend fordern deshalb, dass die Partei dieses „nicht immer widerspruchsfreie“ Verhältnis zur Wissenschaft endlich klären solle, wie es die beiden Basis-Mitglieder Paula Piechotta und Till Westermeyer ausdrücken.

Nach außen sichtbares Symbol dieses Konfliktes ist der Streit um die Homöopathie. Während der Debatten der vergangenen Jahre hatten es die Grünen nicht geschafft, einen einheitlichen Standpunkt zu vertreten, auch parteiintern verläuft die Konfliktlinie zwischen den Verfechtern strenger Evidenz und denen, die auf Erfahrungswerte in der Behandlung setzen. Vor der Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld am vergangenen Wochenende sollte der Streit ausgesessen sein. Er wurde deshalb Chefsache. Unter Vermittlung von Partiechef Robert Habeck wurde ein Kompromissantrag erarbeitet, der am Sonntag verabschiedet wurde.

„Grüne Gesundheitspolitik bekennt sich ausdrücklich zum Selbstbestimmungsrecht der Patient*innen, zur Therapiefreiheit der Behandelnden zur Therapievielfalt und einem solidarisch finanzierten und auf der Grundlage empirischer Daten und wissenschaftlich bewerteter Erkenntnisse arbeitenden Gesundheitssystem“ – Antrag V-44-044-4 zeigt gleich zu Beginn, dass die Fahrtrichtung ein Mittelweg zwischen den Konfliktparteien sein soll. Die Grünen bekennen sich zu beiden Seiten.

Streit um ein Jahr vertagt

Da das jedoch nicht reicht, muss ein einheitlicher Standpunkt her. Und dessen Findung wurde nun mit dem Antrag um ein Jahr vertagt: Im Rahmen der Erarbeitung eines Grundsatzprogrammes solle der Bundesdelegiertenkonferenz eine „Positionierung zur Frage eines wissenschaftsbasierten und ethischen Gesundheitssystems und der grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit durch die Gesetzliche Krankenkasse zur Abstimmung vorgelegt“ werden, so der verabschiedete Antrag. Die inhaltliche Vorarbeit dafür soll nun eine Kommission leisten, die aus den zuständigen wissenschafts- und gesundheitspolitischen Abgeordneten, Vertretern der Gesundheitsministerien der Länder, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit aus der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Soziales, Gesundheit, des Bundesvorstands der Partei sowie den jetzigen Antragsstellern besteht.

Zu letzteren gehört der Potsdamer Arzt Yatin Shah. „Ich erhoffe mir durch die Arbeit in der Kommission eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung, die auf der Bundesdelegiertenkonferenz so nicht möglich gewesen wäre“, sagt er. Shah ist einer der Wortführer in der Fraktion der Homöopathiebefürworter und steht damit in Opposition zur Fraktion um den Berliner Grünen Tim Niklas Demisch, der sich in seinem Antrag „Echter Patient*innenschutz: Bevorteilung der Homöopathie beenden!“ gegen eine Erstattungsfähigkeit von Globuli & Co. aussprach.

Mit den Streitthemen müssen sich die Parteifreunde nun in ihrer Kommissionsarbeit auseinandersetzen. „In welchem Spannungsverhältnis stehen evidenzbasierte Wissenschaft und ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff?“, formuliert der nun verabschiedete Antrag als einer der Fragen, die zu klären sind. Oder: „Welche Funktion übernehmen wissenschaftliche Erkenntnisse in der Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit medizinischer Maßnahmen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)?“ sowie „Wie beurteilen wir positive Effekte auf den Gesundheitszustand, die durch eine Behandlung mit Placebo hervorgerufen werden?“ Ganz offen wird im Antrag gefragt: „Wie lautet unsere grundsätzliche Position zum Einsatz der besonderen Therapierichtungen in der GKV?“

Doch die Arbeit der Kommission soll weit über das Thema Evidenz hinausgehen. Auch beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen scheinen die Grünen nämlich noch Klärungsbedarf zu haben; sie wollen einen grundsätzlichen Standpunkt zum Thema „sprechende Medizin“ erarbeiten. Gemeint ist damit die Zeit, die im Gesundheitswesen zur Verfügung steht für das Schildern der Symptome sowie für Aufklärung und Beratung zwischen Patienten und Behandelnden – kurz: analoge Medizin im Gegensatz zu Telemedizin und Online-Behandlung. „Wie soll in regulärer medizinischer Behandlung die Individualität der und des Einzelnen in der Behandlung angemessen berücksichtigt werden?“ Die Grünen haben sich selbst reichlich Hausaufgaben gegeben.

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