EuGH-Urteil

Gesetzentwurf: Rx-Versandverbot ist alternativlos Patrick Hollstein, 12.12.2016 18:20 Uhr

Berlin - 

Das Rx-Versandverbot ist nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) alternativlos: „Eine Beibehaltung der sich aus dem Urteil des EuGH ergebenden Situation der Inländerdiskriminierung scheidet ebenso aus wie die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen durch eine Freigabe des Preiswettbewerbs bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch für die inländischen (Versand-)Apotheken“, heißt es in dem Gesetzentwurf, der APOTHEKE ADHOC vorliegt.

Das Ziel des „Gesetzes zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ ist es, „die bestehende Struktur der flächendeckenden, wohnortnahen und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln auch weiterhin zu gewährleisten“. Der Entwurf wurde heute vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) zur Frühkoordination an Kanzleramt und Fraktionen verschickt.

„Gleichzeitig soll erreicht werden, dass die Steuerungsfunktion der sozialversicherungsrechtlichen Zuzahlungsregelungen nicht durch den mit Boni verbundenen Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus anderen Staaten unterlaufen wird“, heißt es in der Begründung weiter. „In einem auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden solidarisch finanzierten System der Gesundheitsversorgung sind Boni in Form von Bargeld oder Gutscheinen an Patientinnen und Patienten nicht sachgerecht.“

Deutschland schließe sich den 21 EU-Mitgliedstaaten an, die in ihrem nationalen Recht ein Rx-Versandverbot verankert hätten, so das BMG. Damit werde die sich aus dem EuGH-Urteil ergebende Ungleichheit zwischen in- und ausländischen Apotheken beseitigt. „Die sich aus dem Urteil unmittelbar ergebende Rechtslage führt zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil der inländischen Apotheken gegenüber den Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland.“ Dies sei eine Inländerdiskriminierung.

In seinem Anschreiben erklärt Gröhe: „Arzneimittelversorgung ist weit mehr als Arzneimittelverkauf. Apothekerinnen und Apotheker üben einen Heilberuf aus, sind nicht bloße Händler.“ Noch in dieser Legislaturperiode bestehe Handlungsbedarf. „Ansonsten droht die Gefahr einer Ausdünnung des bestehenden Netzes öffentlicher Apotheken, das bislang die Arzneimittelversorgung vor Ort mit einer persönlichen Beratung rund um die Uhr sicherstellt.“

„Denn in Folge der EuGH-Entscheidung muss mit einer zunehmenden Verschiebung der Marktanteile hin zu den Versandapotheken“ gerechnet werden, zumal es nicht unwahrscheinlich sein dürfte, dass die inländischen Versandapotheken die mit dieser Rechtssprechung verbundenen erheblichen Wettbewerbsnachteile gegenüber den Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland rechtlich angreifen werden.“

Mit dem Gesetzentwurf werde erreicht, dass bei der Abgabe von Rx-Medikamenten „wieder uneingeschränkt der einheitliche Apothekenabgabepreis und die darauf aufbauenden Zuzahlungsregelungen gelten“. „Das Sachleistungsprinzip und das solidarisch finanzierte System der Gesundheitsversorgung werden gewahrt und die Steuerungsfunktion der sozialversicherungsrechtlichen Zuzahlungsregelungen bleibt in diesem Rahmen erhalten.“

Gröhe verweist auf den Mehrheitsbeschluss des Bundesrats mit den Stimmen von Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Thüringen. „Auch meine Prüfung hat ergeben, dass wir unser Ziel nur auf diesem Weg erreichen können.“

„Uns allen obliegt die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der qualitätsgesicherten Arzneimittelversorgung“, schreibt Gröhe an die Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein (CSU) und Maria Michalk (CDU) sowie Professor Dr. Karl Lauterbach und Hilde Mattheis (beide SPD). „In diesem Sinne und mit Blick auf eine möglichst zügige Beratung dieses Regelungsvorschlags bis zum Sommer bitte ich Sie, eine Meinungsbildung innerhalb der Koalitionsfraktionen zu dem beigefügten Gesetzentwurf herbeizuführen.“

Das deutsche Gesundheitssystem sehe im ambulanten Bereich eine „regelhafte Versorgung mit Arzneimitteln durch wohnortnahe öffentliche Apotheken unter der persönlichen Verantwortung freiberuflich tätiger Apothekerinnen oder Apotheker vor“, heißt es in der Begründung zum Entwurf. „So konnte bisher eine qualitativ hochwertige, am Patientenwohl orientierte Versorgung gewährleistet werden. Deshalb war und ist es ein wichtiges gesundheitspolitisches Anliegen, ein flächendeckendes Netz wohnortnaher Apotheken zu erhalten und den noch immer leicht rückläufigen Trend bei der Entwicklung der Apothekenzahlen zu stoppen. Für eine qualitätsgesicherte, flächendeckende Arzneimittelversorgung sind öffentliche Apotheken unverzichtbar. Dem Versandhandel kann vor diesem Hintergrund immer nur eine ergänzende Funktion zukommen.“

Es sei zu erwarten, dass diese Gewährung von Boni und Rabatten Auswirkungen auf die Entscheidung der Patienten habe, in welcher Apotheke sie Verschreibungen einlösen. Da das Gesamtvolumen des Marktes abhängig vom Verschreibungsvolumen sei und sich nur bedingt über den therapeutischen Bedarf hinaus ausweiten lasse, werde der zu erwartende Zugewinn an Marktanteilen bei den Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland mit entsprechenden Verlusten auf Seiten der inländischen öffentlichen Apotheken korrespondieren.

„Mit einer Verschiebung der Marktanteile hin zu den Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland geht eine Ausdünnung des bestehenden Netzes öffentlicher Apotheken einher, die bislang die persönliche und wohnortnahe Arzneimittelversorgung gewährleisten. Das gefährdet die wirtschaftliche Ertragsgrundlage insbesondere der Apotheken in ländlichen Regionen und damit die Aufrechterhaltung eines flächendeckenden Netzes wohnortnaher Präsenzapotheken.“

„Versandapotheken werden diese Lücke nicht schließen können. Dies betrifft vor allem den Notdienst sowie die pharmazeutische Betreuung.“ Insbesondere sei davon auszugehen, dass die komplexe Beratung älterer Patienten mit Polymedikation im persönlichen Kontakt und in Kooperation mit dem lokalen heilberuflichen Netzwerk besser und wirkungsvoller erbracht werden könne als über Telefon oder Internet. „Präsenzapotheken bieten zudem einen niedrigschwelligen Zugang zu benötigten Gesundheitsdienstleistungen einschließlich der Selbstmedikationsberatung, entlasten damit die Ärzte in vielen Fällen und wirken erforderlichenfalls aber auch auf einen Arztbesuch hin. Eine vergleichbare Lotsenfunktion können Versandapotheken nicht wahrnehmen.“

Über die Präsenzapotheken sei eine schnelle Versorgung gewährleistet. „Die meisten nachgefragten Arzneimittel sind vorrätig, anderenfalls können sie in der Regel innerhalb weniger Stunden beschafft werden. Zumindest in der Akutversorgung werden viele Arzneimittel aus medizinischen Gründen sofort benötigt.“

Die Sicherheit der Versorgung sei ein relevanter Gesichtspunkt. Dies gelte sowohl im Hinblick auf Krisensituationen als auch auf den Transportweg und die Abhängigkeit der Versandapotheken von externen Transportunternehmen bei der Übermittlung der Verschreibungen und der Auslieferung der Arzneimittel.

Auch die Qualität der Versorgung sei durch den zu erwartenden Verdrängungsprozess gefährdet. „Bevor es zu Apothekenschließungen kommt, werden die betreffenden Apotheken versuchen, ihre Ertragslage durch Kosteneinsparungen zu verbessern.“ Den wichtigsten Kostenblock machten die Personalkosten aus. „Qualifiziertes Personal ist aber der wichtigste Garant einer ordnungsgemäßen und qualitativ hochwertigen Versorgung und pharmazeutischen Betreuung.“ Auch eine verstärkte merkantile Ausrichtung des Apothekenbetriebs mit der Tendenz zur Empfehlung und zum Verkauf eigentlich nicht benötigter Produkte sei zu befürchten, die einem Fehl- und Mehrgebrauch von Arzneimitteln Vorschub leiste.

Die persönliche heilberufliche Verantwortung der Apothekenleiter stelle am ehesten eine ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln sicher, die sich am Wohl und am tatsächlichen Bedarf der Patienten orientiert. „Eine in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betriebene ausländische Versandapotheke wird sich maßgeblich an den Gewinnerwartungen der Kapitalgeber zu orientieren haben.“ Der Fokus dürfte dabei auf Patientengruppen mit regelmäßigem hohen Arzneimittelbedarf liegen, die für die Rentabilität der Präsenzapotheken unverzichtbar seien.

„Gerade bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die ein Risikopotential aufweisen, kommt es für die Gewährleistung der Arzneimitteltherapiesicherheit wesentlich auf das Vertrauen der Bevölkerung in die heilberufliche Integrität der Apothekerinnen und Apotheker und die Einhaltung hoher professioneller (auch berufsethischer) Standards an.“ Der verantwortungsbewusste Einsatz von Rx-Medikamenten setze voraus, dass keine finanziellen Anreize vorhanden sind, die zu einem über das erforderliche Maß hinausgehenden Gebrauch führen könnten.

Mit steigender Relevanz des Rx-Versandhandels aus dem EU-Ausland ergeben sich laut BMG zunehmend nachteilige Auswirkungen auf die gesetzliche Krankenversicherung: Abgesehen von der Steuerungswirkung für die Versicherten sinke mit der Schwächung der Zuzahlungsregelungen im Festbetragssystem auch der Anreiz zu Preissenkungen durch die Hersteller.

Konkret geändert werden sollen Arzneimittelgesetz (AMG), Apothekengesetz (ApoG), Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Um der EuGH-Entscheidung nachzukommen, wird das seit 2013 im AMG verankerte Bonusverbot für ausländische Versender aufgehoben.