Mehr als die Hälfte der Deutschen fühlt sich von der Informationsflut zu Gesundheitsthemen überfordert. Das zeigt eine repräsentative Studie der Universität Bielefeld. Demnach weisen rund 44 Prozent der Deutschen eine eingeschränkte und weitere 10 Prozent sogar eine unzureichende Gesundheitskompetenz auf. Damit liegt Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat diesbezüglich auch die Apotheker zu einem Strategiegespräch geladen.
Deutschland fällt auch deutlich gegenüber vergleichbaren Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark ab. Dem wollen die Universität Bielefeld, der AOK-Bundesverband und die Hertie-School of Governance mit einem „Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ entgegenwirken. Gröhe ist Schirmherr der Initiative.
Im Juni lädt Gröhe zur Verbesserung der Kommunikation in Gesundheitsfragen zu einem Strategietreffen in das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Mit dabei sollen offenbar auch die Apotheker sein: „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“, antwortete Gröhe auf die Frage nach der Rolle der Pharmazeuten. Im Expertengremium des von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützten Aktionsplanes sind die Apotheker allerdings noch nicht vertreten. „Das ist eine gute Anregung, ein wichtiger Hinweis“, reagierte Professor Dr. Doris Schaeffer, Leiterin der Studie, „Warum haben wir die Apotheker nicht eingeladen?“ Eine zehnköpfige Gruppe „anerkannter Experten“ soll bis Ende 2017 einen Maßnahmenkatalog erarbeiten.
Gröhe sieht das Hauptanliegen darin, in den „Informationsdschungel zum Thema Gesundheit eine Verständnisschneise zu schlagen. Es gibt ein Recht der Patienten auf Verständlichkeit.“ Zu Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten müsse aber kein zusätzliches Geld fließen, so Gröhe: „Ein verständlicher Satz muss nicht besser bezahlt werden als ein unverständlicher.“ Es sei nicht notwendig, medizinische Dinge so kompliziert auszudrücken. Manchmal stecke dahinter die „Demonstration von Herrschaftswissen“. Bei der Honorierung der Ärzte sei zudem die sogenannte sprechende Medizin bereits angemessen berücksichtigt.
Studienleiterin Schaeffer kritisierte die überwiegend unverständliche Kommunikation: „Wenn sie in ein Krankenhaus kommen, wissen sie nicht, was mit ihnen passiert. Das muss verständlicher werden.“ Trotz der Kommunikationsprobleme seien Ärzte immer noch die erste Anlaufstelle für Patienten. Das Vertrauen sei ungebrochen.“ Als Vorbild verwies Schaeffer auf Kanada. Dort dauere ein durchschnittliches Arzt-Patientengespräch zwischen zehn bis 15 Minuten. In Deutschland sei die Arztkonsultation im Schnitt nach vier bis fünf Minuten beendet.
Dringend geboten ist die Verbesserung der Kommunikation aus Sicht von Gröhe auch als Grundlage für den Therapieerfolg: „Wenn mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland erhebliche Mühe hat, sich in der ständig anwachsenden Fülle an Gesundheitsinformationen zurechtzufinden und Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen, muss das alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen aufrütteln. Gerade das Arzt-Patienten-Gespräch ist entscheidend, um Patienten die Diagnose und Behandlung verständlich zu erklären.“
Mehr noch: Das Risiko für chronische Krankheiten sei bei den Betroffenen größer, sagte Schaeffer. Sie hätten Probleme, Therapie-Alternativen zu beurteilen, Packungsbeilagen zu verstehen, den Wert einer ärztlichen Zweitmeinung einzuschätzen oder herauszufinden, wohin sie sich wenden sollen. „Wir müssen neu über die Art, Aufbereitung und Vermittlung von Informationen nachdenken“, bilanzierte sie.
Für die erste repräsentative Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland hat die Universität Bielefeld 2000 Menschen über 15 Jahren vom Forschungsinstitut Ipsos befragen lassen. Basis war der international erprobte Fragebogen „Health Literacy Questionaire Europe“. Zwei Ergebnisse stechen dabei besonders hervor: Mehr als die Hälfte der Deutschen hat offenbar Schwierigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen und zu verarbeiten.
Das gilt vor allem für sogenannte vulnerable Gruppen, also Menschen mit Migrationshintergrund, geringem Bildungsgrad oder hohem Lebensalter. Hier sind die Einschränkungen und Unsicherheiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen besonders ausgeprägt. Auffällig ist auch das schlechte Abschneiden Deutschlands im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. In den Niederlanden, Dänemark, Irland oder Polen hat die gleiche Befragung deutlich höhere Kompetenzwerte ergeben. Deutschland schneidet also im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich ab.
Schaeffer hält die Ergebnisse für bedenklich: „In den vergangenen Jahren wurde einiges angestoßen, um die Gesundheitsinformationen der Bevölkerung zu verbessern. Aber die Ergebnisse zeigen, dass das längst nicht ausreicht. Wir müssen neu über die Art, Aufbereitung und Vermittlung von Informationen nachdenken." Aktiv beteiligen will sich auch der AOK-Bundesverband. Dessen Vorstandsvorsitzender Martin Litsch stellte fest: „Für eine gesunde Lebensführung braucht man heute Informationen und gesichertes Wissen. Aber die Studie zeigt: Es sorgt in großem Maße eher für Verwirrung und ein mulmiges Gefühl, was da oft ergoogelt wird."
Litsch kündigte an, die AOK-Faktenboxen zu Gesundheitsfragen weiter auszubauen. Dieses neue Informationsformat vermittle verfügbares medizinisches Wissen auf verständliche, kompakte Weise und stärke durch seine Kompassfunktion die Orientierung im Meer der Informationen.
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