Regierungsbildung

Gröhe: Der stille Absteiger

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Berlin -

Er wäre gerne Minister geblieben – nicht unbedingt nur Gesundheitsminister. Dass Hermann Gröhe jetzt von Angela Merkels Personalkarussell gefallen ist, gehört zu den überraschenden Aspekten der komplizierten GroKo-Regierungsbildung. Der 57-jährige Neusser CDU-Abgeordnete galt für ein wichtiges Amt als gesetzt. Jetzt ist er Opfer der politischen Umstände: Es ist nicht jung und keine Frau. Hermann Gröhe passte nicht mehr in das von Merkel aufgezwungene Proporz-Schema.

Bis zuletzt hat Gröhe wohl selbst an seine politische Zukunft geglaubt: Er hat für die Union die GroKo-Verhandlungen für den Bereich Gesundheit geführt. Er hat der SPD das Zugeständnis beim Rx-Versandverbot abgerungen. Mehrfach täglich hatte er die Inhalte des Koalitionsvertrages als Erfolgsmeldungen getwittert wie kein anderes Mitglied der noch geschäftsführenden Bundesregierung – als gäbe es für ihn eine Zukunft im Bundesgesundheitsministerium.

Die Verbannung vom Kabinettstisch hat ihn daher persönlich getroffen: „Gerne habe ich in den letzten vier Jahren als Bundesminister Verantwortung für die Gesundheitspolitik in unserem Land getragen“, machte Gröhe seiner Enttäuschung auf Facebook in diplomatischer Tonlage Luft. „Natürlich hätte ich diese Arbeit gerne fortgesetzt. Aber ein Ministeramt ist stets ein Amt auf Zeit. Meinem Nachfolger wünsche ich alles Gute! Ich bin stolz darauf, meine Heimat auch weiterhin als direkt gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag zu vertreten und werde dies mit ganzer Kraft tun.“

Lange Zeit galt Gröhe als enger Vertrauter der Kanzlerin und damit als unter ihrem Schutz stehend. Darauf hat er für seine Zukunft vertraut. Als früherer CDU-Generalsekretär hat er Merkels Wahlerfolge genauso still und unauffällig organisiert wie er vier Jahre lang das Bundesgesundheitsministerium geführt hat. Gröhe war mit 41 Gesetzen einer der fleißigsten Gesundheitsminister. Er hat selbst schwierigste Vorhaben wie die Krankenhausreform ohne großen öffentlichen Streit abgeräumt.

Gedankt wurde ihm das nicht. Nur auf Facebook. Dort reihen sich 170 Kommentare zu Gröhes Abschiedsworten überwiegend als Danksagungen an seine Ministerarbeit: „Mir war es eine Ehre, mit Dir als Gesundheitsminister zusammengearbeitet zu haben. Wir haben gute Sachen nach vorne gebracht u.a. Pflege und HHVG. Danke, Hermann Gröhe!“, schreibt beispielsweise CDU-Gesundheitspolitiker Roy Kühne. Und Oliver Tillmanns postet: „Lieber Hermann, ich war nicht immer mit Dir einer Meinung, aber Du hast gute Arbeit geleistet und ich kann diese Personalentscheidung der Kanzlerin ebenso wenig verstehen wie andere, die sie in letzter Zeit getroffen hat. Bitter enttäuscht. Hätte mir eine Minderheitsregierung gewünscht.“

Seit 1994 sitzt Gröhe im Bundestag. Auch am 24. September konnte er sein Direktmandat mit 44 Prozent verteidigen – musste allerdings über sechs Prozentpunkte abgeben. Als Spitzenkandidat der NRW-CDU wäre ihm eigentlich ein Regierungsamt sicher gewesen. NRW-Wahlsieger Armin Laschet, inzwischen CDU-Ministerpräsident, hat für den stärksten CDU-Landesverband auf zwei Ministerposten beharrt – und jetzt bekommen.

Dass Hermann Gröhe jetzt auf der Strecke geblieben ist, muss den Neusser umso nachdenklicher machen. Fachliche Gründe gibt es kaum. Er hat das BMG aus den Schlagzeilen gehalten. Aber dafür gibt es keine Lorbeeren. Zuletzt hat Gröhe allerdings im Kanzleramt für Stirnrunzeln gesorgt. Während der laufenden GroKo-Verhandlungen senkte er als geschäftsführender Gesundheitsminister den durchschnittlichen Zusatzbeitrag der Krankenkassen auf 1 Prozent. Damit war eine Milliarde Euro aus der Verfügungsmasse für die neue Regierung bereits verplant.

Beim Delegiertenabend am Sonntag wird Gröhe daher einen bitteren Geburtstag verlebt haben. Die 1001 Delegierten feierten dort neben Annegret Kramp-Karrenbauer auch Jens Spahn als neuen Gesundheitsminister mit kräftigem Applaus. Anders als Gröhe zieht Spahn jetzt das Interesse der Medien auf sich. Im Gesundheitswesen ist Spahn als früherer gesundheitspolitischer Sprecher bestens vernetzt. „Glückwunsch Jens Spahn zu geplanter Ernennung Gesundheitsminister“, twitterte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach umgehend: „Schätze seine Kompetenz. Bei der Bürgerversicherung werden wir fair streiten.“

Und Franz Knieps vom BKK Dachverband twitterte: „Mit seiner Kompetenz und Innovationsfähigkeit gibt es beste Chancen, das deutsche Gesundheitswesen in einen fairen Wettbewerb und eine digitale Zukunft zu führen. Die BKK freuen sich auf spannende Zeiten mit Jens Spahn.“

Die Erwartungen an Spahn sind also hoch und vor dem neuen Gesundheitsminister liegen wichtige und schwierige Aufgaben. Es mag Kalkül von Kanzlerin Merkel sein, ihren schärfsten Kritiker zum Gesundheitsminister zu machen. Von dort hat es noch kein Minister ins Kanzleramt geschafft.

Der mit der SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag setzt Spahn einen engen Handlungsrahmen. Darin stecken Risiken: Da ist vor allem die angekündigte Konzertierte Aktion Pflege. Die Altenpfleger sollen besser und einheitlich bezahlt, in großem Stil sollen mehr von ihnen gewonnen werden – 8500 Pfleger. Auch im Krankenhaus soll die Pflege ausgebaut und vor allen anders finanziert werden – von den Beitragszahlern. Aber steigende Beiträge haben noch nie die Popularität von Gesundheitsministern gesteigert.

In den Koalitionsvertrag haben Gröhe und die SPD dem neuen Minister Vorgaben geschrieben, die nicht auf Spahns politischer Linie liegen. Vor vier Jahren hatte er sich als CDU-Verhandlungsführer der SPD-Forderung nach Rückkehr zur Beitragsparität noch erfolgreich widersetzt. Jetzt muss er sie umsetzen. Noch im vergangenen Jahren bezeichnete Spahn die Parität in einem Interview als „Chimäre“. Denn die Arbeitgeber zahlten Milliarden für die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Das passte zu Spahns wirtschaftsliberalem Image.

Als Minister muss er jetzt Pragmatismus vor Überzeugung demonstrieren. Dass Spahn ein streitbarer Geist ist, ist weithin bekannt. Ob er als Minister auch „Staatsmann“ kann, muss er erst noch beweisen.

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