Angesichts von regionalen Engpässen beim Grippeimpfstoff lockert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Vorschriften für die Beschaffung. Demnach können die Bundesländer bei regionalem Bedarf erlauben, dass sich Apotheken und Arztpraxen untereinander mit Grippeimpfstoff versorgen und dass aus anderen Ländern der Europäischen Union bezogene Impfstoffe in den Apotheken abgegeben werden dürfen.
„Ich freue mich über die hohe Nachfrage nach Grippeimpfungen“, sagte Spahn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir gehen davon aus, dass es genug Impfstoff in Deutschland gibt, um diesen Bedarf zu decken.“ Insgesamt seien 15,7 Millionen Dosen verfügbar. „Allerdings melden mehrere Bundesländer Versorgungsengpässe. Darauf reagieren wir“, so Spahn weiter. „Klar muss sein: Jeder, der will, muss sich gegen Grippe impfen lassen können.“
Hintergrund sind Meldungen über Versorgungsengpässe aus Niedersachsen, Bremen, Saarland, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Im Saarland kam zuletzt die Vermutung auf, die Pfälzer würden den ohnehin schon knappen Grippeimpfstoff abziehen.
Dass es in diesem Jahr regionale Verteilungsprobleme beim saisonalen Grippeimpfstoff gibt, ist ein offenes Geheimnis. Während die einen gut versorgt sind, sitzen andere auf dem Trocknen. Die Nachfrage ist groß und der Run auf die letzten verfügbaren Impfdosen hat begonnen. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Saarlands Kammerpräsident Manfred Saar hegt die Vermutung, die Pfälzer seien an der Impfstoff-Knappheit nicht ganz unbeteiligt.
Ein Ärzte-Hopping macht Saar zwar nicht für den Engpass verantwortlich, möglich sei jedoch, dass Pfälzer-Apotheken über den Großhandel Ware abziehen, denn beide Regionen greifen zum Teil auf die gleichen Großhändler zurück. In Rheinland-Pfalz sei ein deutliches Manko an Grippeimpfstoffen zu verzeichnen, verursacht durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Dem Vernehmen nach sollen im August Ärzte von der KV aufgefordert worden sein, nur geringe Mengen Impfdosen vorzubestellen. Der Grund: Die Kassen würden den zu viel bestellten Impfstoff, der im Sommer noch in den Kühlschränken lagert, nicht erstatten.
Die KV dementiert den Vorwurf. „Wir haben unsere Ärzte darüber informiert, nicht über den Bedarf hinaus zu bestellen“, so ein Sprecher. „Wir haben nicht gesagt, bestellt weniger.“ An die Ärzte ging lediglich ein Appell raus, den Bedarf gut zu kalkulieren. Tatsächlich stand im Schreiben vom 15. August: „Keine Vorbestellungen. Die KV RLP erinnert noch einmal daran, keine Grippe-Impfstoffe vorzubestellen, sondern diese bei Bedarf in angepassten Mengen zu ordern. Hilfreich zur Orientierung ist eine Teilmenge der verbrauchten Grippeimpfstoffe der Saison 2017/2018. Nicht verbrauchte Impfstoffe können nicht zurückgegeben werden. Bei Überhängen zwischen Bezug der Grippeimpfstoffe und Abrechnung der Impfziffern können Regressforderungen durch die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland im Namen der Gemeinschaft der Kostenträger entstehen.“
Apotheker sind nun jedoch in der undankbaren Lage, das Manko auszugleichen und Impfstoffe zu besorgen. Die Hersteller produzieren jedoch keine Impfdosen mehr. Dass die Vorbestellungen nicht reichen würden, darauf war man nicht gefasst. Bis Ende Oktober wurde im Saarland der Großteil der Bevölkerung – entsprechend den Vorbestellungen – geimpft. Die von den Herstellern als Puffer produzierte Menge reichte im Saarland bis jetzt. Denn hier wurde der Normalbedarf am saisonalen Grippeimpfstoff vorbestellt. Saar schätzt, dass 95 Prozent der Impfwilligen bereits immunisiert sind. Etwa 5 Prozent der Impfbereiten sind demnach ohne Vakzine.
Bis zum 2. November wurden vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 15,7 Millionen Impfdosen freigegeben. Die Menge erreicht das Niveau der Saison 2016/17 und liegt noch unter Vorjahresniveau. „Es gibt eine Ungleichverteilung, woran das liegt, können wir nicht sagen“, so die Sprecherin. Es gebe jedes Jahr Berichte über regionale Lieferengpässe und dennoch bleibe jedes Jahr nach Ende der Saison Impfstoff übrig.
Warum in einigen Regionen Grippeimpfstoffe knapp sind, lässt sich nur vermuten. Möglich sind jedoch verschiedene Gründe wie das Verbot der Rabattverträge, das juristische Gezerre um den Apothekervertrag der AOK Nordost sowie lange unklare Preise. Dies könnte für Zurückhaltung bei der Vorbestellung der saisonalen Grippeimpfstoffe gesorgt haben. Das Risiko, auf den Impfdosen sitzen zu bleiben, wollte schließlich niemand übernehmen. Dazu kam das Warten erst auf die Ständige Impfstoffkommission (STIKO), dann auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Als klar war, dass die quadrivalente Vakzine zum Leistungskatalog der Kassen gehört, blieb den Herstellern nur wenig Vorlauf für die Produktion.
Das Robert-Koch-Institut rät insbesondere Menschen über 60, Schwangeren, chronisch Kranken und medizinischem Personal zu einer Grippeimpfung. Nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums hat die Grippe in der vergangenen Saison in Deutschland rund neun Millionen Arztbesuche ausgelöst und zu fast 2000 Todesfällen geführt.
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