Bundesregierung: Ketten sind nicht für alle gut Alexander Müller, 22.07.2015 09:27 Uhr
Griechenland muss zahlreiche Reformen anstoßen, um auf weitere Zahlungen hoffen zu können. Eine Vorgabe des Euro-Gipfels ist die tiefgreifende Liberalisierung des Apothekenmarktes nach den unveränderten Vorstellungen der EU-Kommission. Die Bundesregierung hat diesen Forderungen zugestimmt. Einer Sprecherin zufolge hat das mit dem deutschen Apothekensystem nichts zu tun. Apothekenketten sind – so die verkürzte Antwort – nicht für alle Länder die richtige Medizin.
Griechenland soll nach den Vorstellungen der Geldgeber das Fremdbesitzverbot für Apotheken aufheben. Damit wäre der Weg frei für Konzerne, Apotheken zu gründen oder – sofern die geltende Bedarfsplanung beibehalten bleibt – aufzukaufen. Nicht weniger folgenreich ist die Forderung, OTC-Arzneimittel aus der Apothekenpflicht zu entlassen. Künftig sollen Supermärkte in großem Umfang Medikamente verkaufen dürfen. Der Protest der Pharmazeuten in Griechenland blieb bislang unerhört.
Eine Sprecherin der Bundesregierung erklärte gegenüber APOTHEKE ADHOC: „Die Bundesregierung hat der Vereinbarung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 insgesamt zugestimmt.“ Die einzelnen Reformelemente gehen demnach auf „Diskussionen über die notwendige Reformagenda in Griechenland“ zurück. Diese seien vor allem zwischen EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) – den „Institutionen“ – und der griechischen Regierung geführt worden. An der Diskussion hätten sich „aber auch internationale Organisationen (wie etwa die OECD) und weitere Akteure aus Griechenland“ beteiligt, so die Sprecherin.
Tatsächlich hat der Euro-Summit die Kernforderungen einer OECD-Studie aus dem Jahr 2013 für den Apothekenmarkt umgesetzt. Das Fremdbesitzverbot wird darin als Marktbeschränkung kritisiert. Zwar sollten weiterhin Apotheker in Apotheken arbeiten und die Medikamente abgeben – mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit müsse die Apotheke aber nicht notwendigerweise dem Apotheker gehören. Ohne Apothekenketten sei die Versorgung schlechter und teurer, da kleine Unternehmen weniger innovationsfähig seien und keine Skaleneffekte erzeugen könnten.
Genau das sieht die Bundesregierung eigentlich anders: Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD explizit zur inhabergeführten Apotheke bekannt. Die Union hatte auf den Passus bestanden und später verkündet, die Formulierung in der Verhandlungsgruppe Gesundheit gegen den Koalitionspartner durchgesetzt zu haben. Aus der SPD hieß es daraufhin, man habe nicht am Fremdbesitz rütteln wollen und dass nur über die Ausformulierung gestritten worden sei. Auch wenn sich die Sozialdemokraten im Wahlkampf mit einer klaren Positionierung in der Apothekenfrage schwer getan hatten, steht das „Anti-Ketten-Bekenntnis“ jetzt in der gemeinsamen Arbeitsgrundlage der Koalition.
Darauf verweist auch die Regierungssprecherin mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen zu Griechenland: „Bereits im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass an dem in Deutschland bestehenden Mehr- und Fremdbesitzverbot bei Apotheken festgehalten wird, entsprechend sind keine Änderungen an dieser Rechtslage geplant.“
Dass es also eine Diskrepanz zwischen Gesundheitsinnen- und -außenpolitik gibt, hat laut Bundesregierung mit den deutlichen Unterschieden bei den Gegebenheiten und Herausforderungen zwischen den Mitgliedstaaten zu tun, die in vielen Politikbereichen bestünden. „Daher muss in der Analyse und den Politikempfehlungen immer der länderspezifische Kontext berücksichtigt werden, so dass sich sinnvolle Reformen für einen Mitgliedsstaat nicht notwendigerweise auf andere übertragen lassen“, so die Sprecherin.
Mit anderen Worten: Apothekenketten können in einem Land die bessere Lösung sein, in einem anderen nicht. Mit einer ähnlichen Herangehensweise hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2009 das Fremdbesitzverbot für Apotheken für grundsätzlich zulässig erklärt. Es sei Sache der Mitgliedsstaaten, das Sicherheitsniveau für ihre Arzneimittelversorgung selbst festzulegen, so das Argument der Richter aus Luxemburg.
Dieses aus den europäischen Verträgen abgeleitete Grundrecht wird der griechischen Regierung nun allerdings entzogen. Die Bundesregierung verweist auf die europäischen Institutionen. Deren Rolle entspreche auch „ihrer rechtlich verankerten Aufgabe unter den europäischen Krisenmechanismus-Regelungen, denen zufolge sie im Namen der Stabilisierungsmechanismen verhandeln und dabei ihre intensiven Kenntnisse der wirtschaftspolitischen Lage und der strukturellen Herausforderungen in Griechenland einbringen“, so die Regierungssprecherin.
Griechenlands Apotheker haben gegen die geplante Liberalisierung gestreikt. Auch Berufsvertreter aus anderen Mitgliedsstaaten zeigen sich empört über die weitreichenden Eingriffe: „Der OECD-Bericht wirkt im Kapitel OTC-Arzneimittel und Apotheken, als ob ihn ein Praktikant mit Vorurteilen verfasst hat – oder als ob er unter dem massiven Einfluss von Konzernen entstanden ist“, so Max Wellan, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer.
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