Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) führt Gespräche mit der niederländischen Apothekenaufsicht über die sogenannten Grenzapotheken. Denn für Apotheken, die zwar in den Niederlanden liegen, aber fast nur deutsche Kunden haben, gelten Sonderregeln: Sie müssen den Behörden bescheinigen, dass sie den Rechtsvorschriften des Landes genügen, aus dem die Kundschaft kommt – also Deutschland. Dafür brauchen die Grenzapotheken die Bescheinigung einer deutschen Aufsicht. Und hier scheint es ein Vakuum zu geben.
„Eine Grenzapotheke hat ihren Sitz in den Niederlanden und versorgt Patienten, die nicht in den Niederlanden leben, mit Arzneimitteln“, definiert das niederländische Gesundheitsministerium die betroffenen Betriebe. Hinter der trockenen Beschreibung steht ein ganzes Geschäftsmodell: Wie die großen Versender profitieren auch niedergelassene Apotheken in Grenznähe von der deutschen Kundschaft, die auf Rabatt aus ist. Mit ihren Preisen locken sie deutsche Patienten über die nahe Grenze, die wenigen Kilometer für ein paar Euro Ersparnis zurücklegen.
Grenzapotheken sind deshalb auf ihre Kundschaft spezialisiert: Eigentlich sind es eher deutsche Apotheken auf niederländischem Staatsgebiet. Die A3 Apotheke in Dinxperlo liegt beispielsweise fußläufig vom deutschen Ort Suderwick – wiederum ein Stadtteil von Bocholt in Nordrhein-Westfalen. In ihr arbeiten ausschließlich deutsche PTA, ein Sprachproblem gibt es also nicht – darf es auch gar nicht, weil es Niederländern verboten ist, in den Grenzapotheken einzukaufen, da in den Grenzapotheken deutsche Arzneimittel abgegeben werden.
Daraus ergibt sich eine Ungereimtheit: „Innerhalb der europäischen Union muss es möglich sein, Waren und Dienstleistungen ohne Handelsbeschränkungen frei über nationale Grenzen anzubieten“, erklärt das niederländische Gesundheitsministerium auf Anfrage. „Allerdings wird die Sicherstellung der Qualitätsvoraussetzungen bei der Abgabe von Arzneimitteln nicht in jedem Land gleich geregelt.“ So könnten die Grenzapotheken nicht immer den niederländischen Gesetzen und Berufsstandards entsprechen. Bereits 2010 hatte ein ehemaliger Angestellter der Europa Apotheek die Behörden auf das Problem hingewiesen. So gibt es bestimmte Vorschriften, die sich widersprechen: So lassen sich Rezepte nicht in der Apotheke archivieren, weil sie zur Abrechnung bei den deutschen Kassen im Original eingereicht werden müssen. Auch lassen sich nicht – wie in den Niederlanden vorgeschrieben – die Dosierungen auf den Packungen vermerken, weil diese in Deutschland bislang nicht auf dem Rezept stehen müssen.
„Aus diesem Grund findet bei den grenzüberschreitenden Apotheken eine Ausnahme vom sonst üblichen Vorgehen der Aufsichten Anwendung“, so das Ministerium. Weil der niederländische Staat bei Betrieben auf seinem Hoheitsgebiet nicht kontrollieren kann, ob sie Regularien eines anderen Staates entsprechen, müssen die Apotheken eine Bestätigung von den Aufsichtsbehörden des anderen Landes vorweisen. Mit anderen Worten: Die Grenzapotheken unterliegen nicht ausschließlich den Standards der Niederlande, sondern sollen sich auch den Segen der deutschen Aufsicht holen.
Vor gut zwei Jahren erhielten die Grenzapotheker deshalb ein Schreiben des Gesundheitsministeriums, das ihnen erklärte, wie es weitergeht. 2011 hatte die Apothekenaufsicht eine Informationsveranstaltung für die Grenzapotheker veranstaltet, bei der es um die regulatorischen Besonderheiten ging. Anfang 2017 wurden die Teilnehmer erneut angeschrieben: „Ab heute tritt eine Ausnahme von der ausschließlichen Anwendung niederländischer Gesetzgebung für die Apotheken, die ausschließlich an Patienten liefern, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat wohnhaft sind, das heißt sogenannte Grenzapotheken, in Kraft“, hieß es in dem Schreiben, das APOTHEKE ADHOC vorliegt.
Als Aufsichtsbehörde werde man die Qualität pharmazeutischer Versorgung durch öffentliche Apotheken weiterhin anhand der niederländischen Normen überprüfen. Abweichungen seien unter der Voraussetzung zulässig, dass die betreffende Apotheke ausschließlich Patienten aus einem anderen Mitgliedstaat beliefert und „in dem Punkt, in dem sie von der niederländischen Norm abweicht, die Gesetze und Regelungen des EU-Mitgliedstaates einhält, in dem der betreffende Patient wohnhaft ist“.
Die Apotheken wurden aufgefordert, innerhalb einer gesetzten Frist bis zum 11. September 2017 eine schriftliche Erklärung von der zuständigen Behörde des Landes vorzulegen, in dem ihre Kunden wohnen. Anderenfalls müsse sie sich ohne Einschränkung an die niederländischen Normen halten.
Wie viele Apotheken dieser Aufforderung nachgekommen sind, war auf Nachfrage nicht zu erfahren. Die Königliche Pharmazeutische Gesellschaft (KNMP) wollte sich auf Anfrage nicht zu Grenzapotheken und ihren rechtlichen Grundlagen äußern, sondern verwies an das niederländische Gesundheitsministerium – das die Frage ebenso wenig beantwortet. In Deutschland ist das BMG zwar nach eigenem Bekunden im Bilde – verrät aber auch nichts: Statt die Fragen danach zu beantworten, wie die Zertifizierung niederländischer Betriebe durch deutsche Behörden vonstatten geht, wiegelt das BMG ab und verweist darauf, dass man „diesbezüglich in Kontakt mit den niederländischen Behörden“ stehe. „Die Gespräche dauern noch an. Den Ergebnissen dieser Gespräche können wir nicht vorweg greifen“, so eine Sprecherin. Bisher hatte das BMG sich darauf berufen, für die niederländischen Apotheken nicht zuständig zu sein.
Es bleiben also die Grenzapotheken selbst. „Wir haben da einen deutschen Amtsapotheker engagiert“, sagt eine PTA aus einer der Grenzapotheken. Offenbar gibt es keine genaue Zuständigkeit innerhalb der Aufsichtsbezirke, mehr wollte sie dazu aber nicht verraten – ihr sei bewusst, dass das Thema in der deutschen Apothekerschaft heikel ist. Aus diesem Grunde wolle sie auch weder ihren Namen noch den ihres Arbeitgebers in den Medien sehen. Sie sei schon oft von deutschen Kollegen angefeindet worden. Deren Frust über die Konkurrenz jenseits der nahen Grenze könne sie verstehen, doch seien die Verantwortlichen dafür eher in Berlin zu suchen.
So kämen die unterschiedlichen Arzneimittelpreise vor allem dadurch zustande, dass die Niederlande anders als Deutschland Arzneimittel bei der Mehrwertsteuer nicht wie Konsumgüter behandelten und nur den reduzierten Satz von 9 Prozent erheben. „In den Niederlanden werden Arzneimittel als lebensnotwendig gesehen und steuerrechtlich auch so behandelt“, sagt sie. „In Deutschland zahlt man auf Arzneimittel dieselbe Mehrwertsteuer wie auf Süßigkeiten. Da können die Apotheker aber nichts dafür, die tun mir sogar leid.“ Ansonsten würden sie und ihre Kolleginnen sich aber voll an die deutsche Apothekenbetriebsordnung halten – nicht zuletzt, weil sie alle auch in Deutschland als PTA arbeiten dürften. Denn jeder ihrer Kollegen habe sowohl eine deutsche PTA-Ausbildung als auch ein Diplom als niederländische Apothekenassistentin. Das kann man als ausgebildete deutsche PTA durch ein Aufbaupraktikum erlangen. „Ich beispielsweise habe nach meiner PTA-Ausbildung ein einjähriges Praktikum in Rotterdam absolviert“, erklärt sie.
Auch formell seien die Auflagen für die Grenzapotheken keineswegs niedriger, sondern sogar weitaus höher, betont die PTA, die vor zwölf Jahren aus einer deutschen in die niederländisch-deutsche Apotheke gewechselt ist. „Wir arbeiten genauso nach Rabattvertrag wie Apotheken in Deutschland, dafür ist hier viel mehr Medikationskontrolle vorgeschrieben.“ So müssten Rezepte von mehreren Kollegen geprüft werden und vielfache Nachfragen nach Allergien oder Wechselwirkungen seien vorgeschrieben. Das gehe so weit, dass bei vielen Medikamenten Nieren- und Leberwerte überprüft werden müssten. Das sei für sie oft ein Problem – kaum ein deutscher Patient sei darauf nämlich vorbereitet. Auch bei der Bürokratie stünden die Niederlande Deutschland nicht nach: So gebe es eine Pflicht, alle Rezepte zehn Jahre lang aufzubewahren. „Da können Sie sich ja unser Lager vorstellen.“
Von deutscher Seite findet die Bescheinigung der niederländischen Apotheken bisher sehr klandestin statt, öffentliche Verlautbarungen von Ministerien oder Aufsichtsbehörden gibt es dazu nicht. Zuletzt machte die niedersächsische Apothekerin und ehemalige Kammerpräsidentin Magdalene Linz den SPD-Europaabgeordneten Bernd Lange auf das Problem aufmerksam. Daraufhin stellte Lange eine parlamentarische Anfrag an die EU-Kommission, in der er wissen wollte, wie die Kommission den Wettbewerbsvorteil gegenüber deutschen Apotheken bewertet und welche Schritte gegen die aktuelle Wettbewerbsverzerrung gangbar sind.
Auch nach der Überwachung von Versandapotheken fragte Lange. Denn nach rechtlicher Definition zählen auch die niederländischen Versender als Grenzapotheken. Zur Rose beispielsweise betont, dass DocMorris der vollen Kontrolle der niederländischen Aufsichtsbehörden untersteht.
Die spannende Frage dabei ist nicht nur, welche Grenzapotheken eine entsprechende Bescheinigung aus Deutschland vorweisen können – so auch, wie die Kontrolle durch die deutsche Behörde dann tatsächlich vor Ort aussieht. Die Linke hatte eine ähnliche Anfrage bereits im Sommer an die Bundesregierung gestellt. Deren damalige Antwort: „Die Niederlande regeln und vollziehen die Überwachung der Apotheken in ihrem Hoheitsgebiet in eigener Zuständigkeit. Deutsche Behörden können durch niederländisches Recht grundsätzlich nicht zu Überwachungsmaßnahmen in den Niederlanden verpflichtet werden.“
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