TK-Report

Glaeske: Cannabis ist kein Wundermittel

, , Uhr aktualisiert am 17.05.2018 16:19 Uhr
Berlin -

Gut ein Jahr nach der Freigabe von Cannabis als Arznei warnen Experten vor überhöhten Erwartungen. Medizinisches Cannabis sei kein pflanzliches Wundermittel und nur selten eine Alternative zu bewährten Therapien, sagte der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske. Der Pharmakologe der Universität Bremen hat heute mit der Techniker Krankenkasse (TK) einen „Cannabis-Report“ vorgestellt.

Anders als bei anderen Arzneimitteln ist bei Cannabis nicht genau geregelt, bei welchen Erkrankungen und Krankheitsbildern das Betäubungsmittel eingesetzt werden darf. §31 Sozialgesetzbuch (SGB V) schreibt lediglich vor, dass Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon haben.

Glaeske kritisierte insbesondere die Therapie mit Cannabisblüten. Zum einen erwiese sich seiner Ansicht nach die Standardisierung als schwierig. Grund dafür seien unterschiedliche Blütensorten und die darin enthaltenen insgesamt mehr als 500 Inhaltsstoffe. Zum anderen hätten die Blüten trotz dünner Studienlage eine Sonderstellung im Gesetz und vorhandene Studien würden nicht dem Maßstab klassischer Arzneimittelstudien entsprechen. Er beschrieb die aktuelle Lage als „Rückfall in die vorindustrialisierte Zeit“.

Die mangelnde Evidenz bestätigte auch Professor Dr. Michael Schäfer. „Die Studien sind häufig placebo-kontrolliert. Es liegen keine Daten zum Vergleich von Cannabis und anderen Arzneimitteln vor“, bemängelte der leitende Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie der Charité Berlin. Ihm zufolge sind in diesem Bereich mehr öffentlich finanzierte Studien notwendig. „Die bestuntersuchten Daten gibt es zu Patienten mit neuropathischen Schmerzen.“ Metaanalysen von klinischen Studien würden lediglich eine 30-prozentige Schmerzreduktion bescheinigen und das auch nur bei jedem 14. Patienten. „Cannabinoide sind keine Alternative zu First-, Second- und Third-Line Medikamenten“, fasst Schäfer zusammen. Als mögliche Indikation betrachtet er einen individuellen Therapieversuch bei Versagen der Therapie nach medizinischem Standard.

Bei der TK sei die Behandlung von Schmerzen der häufigste Grund für einen Antrag auf Kostenübernahme. Im vergangenen Jahr erhielt die Kasse rund 2900 Anträge, bei fast zwei Dritteln der Anträge wurde positiv entschieden. Die meisten Ablehnungen begründete der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) damit, dass alternative Therapieoptionen besser für den jeweiligen Patienten geeignet seien. Ein weiterer Grund seien unvollständige Angaben seitens der behandelnden Mediziner.

Aus dem Report geht weiterhin hervor, dass Cannabisblüten und Dronabinol-Rezepturen die Kasse rund 2,3 Millionen Euro kosteten. „Wir können die Ärzte nicht aus der Pflicht entlassen, wirtschaftlich zu verordnen. Derzeit sprechen wir schließlich von 400 Prozent Mehrkosten für eine Therapie mit Cannabisblüten im Vergleich mit Dronabinol – bei unbestimmten Zusatznutzen“, sagte TK-Chef Dr. Jens Baas.

Mit der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, dem sogenannten AMNOG-Prozess, müssen Pharmaunternehmen normalerweise nachweisen, dass ihre Präparate einen Zusatznutzen für die Patienten haben. Die TK kritisiert, dass mit der aktuellen Gesetzesregelung zur Kostenübernahme das System aus Zulassung, früherer Nutzenbewertung und Preisverhandlung komplett umgangen werde. „Kein anderer Wirkstoff hat es bislang namentlich in dieses Gesetz geschafft und bei näherer Betrachtung kann man sich auch die Frage stellen, warum das so ist“, so Baas.

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