Apothekensterben

Glaeske: „Apotheken sind unverzichtbar, wenn...“

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Berlin -

Da staunten die Hörer der Bremen2-Sendung „Bremen zwei unterwegs“ zum Thema Apothekensterben auf dem Land nicht schlecht. Professor Dr. Gerd Glaeske nannte stationäre Apotheken „unverzichtbar“ für die Versorgung.  Allerdings nur, schob er einschränkend hinterher, wenn sie jederzeit gute Beratungsqualität bieten würden. Gerade das ist aus seiner Sicht jedoch nicht der Fall.

Dabei berief sich der Pharmazeut und Gesundheitsökonom auf „Daten“, deren Herkunft er allerdings nicht näher erläuterte. Diese würden jedenfalls besagen, dass lediglich ein Drittel der Apotheken eine gute Beratung bieten würde. 40 Prozent seien „auf der Kippe“ und das restliche Drittel mache „ziemlich viel Mist“. „Die könnten ihre Apotheke auch zulassen“, sagte Glaeske. Dann wäre den Menschen besser geholfen als immer nur „Säcke voll Arzneimittel in Grippezeiten zu verkaufen“.

Eigentlich ging es in der Diskussion von „Bremen zwei“ um das Thema Apothekensterben. Denn auch in Niedersachsen – und hier vor allem im ländlich geprägten Nordwesten – ist der Aderlass groß. Nach Angaben von Dr. Rolf Bruns, Vorstandsmitglied im Landesapothekerverband Niedersachsen, wurden in dem Flächenland seit 2009 mehr als 100 Apotheken geschlossen. Allein in Ost- und Nordfriesland seien es über 20 gewesen.

Eine davon gehörte Ingeborg Borchers. Bis 2009 führte sie eine Apotheke in Neustadtgödens, einem Ortsteil von Sande mit 1500 Einwohnern. Die Apothekerin erinnert sich noch heute ganz genau an den Zeitpunkt, als der letzte Arzt den Ortsteil verlassen hat. Das war im August 1998 und der Anfang vom Ende. Borchers hielt noch elf Jahre durch, bis es nicht mehr weiter ging. „Trotz treuer Kunden hat irgendwann der Bestand an Patienten mit Rezepten aus dem Ort und damit die Substanz gefehlt“, berichtete sie. Einen Nachfolger fand sie unter diesen Umständen nicht.

Das sei eine der typischen Geschichten, bestätigte Bruns. Apothekensterben im ländlichen Raum sei oft durch den Wegzug der Ärzte bedingt. „Wir beobachten aber auch den Niedergang der Apotheken in den Stadtrandlagen“, sagte er. So hätten in Bremen sehr viele Apotheken gerade in reinen Wohngegenden aufgeben müssen. Das sei der Verlagerung der Ärzte in die Zentren innerhalb der großen Städte geschuldet. Die reinen Wohnlagen seien in der Folge unversorgt.

Glaeske sieht sowohl bei den Ärzte als auch Apotheken in erster Linie ein Verteilungsproblem. „Wir haben genug Apotheker, Ärzte und Krankenhäuser“, sagte er. So kämen in Deutschland etwa 4000 Menschen auf eine Apotheke. Er kenne Standesvertreter, die sagten, man käme mit einer Apotheke pro 5000 Einwohner ebenfalls sehr gut hin. In den Niederlanden, wo eine Apotheke rein rechnerisch 10.000 Einwohner versorgt, funktioniere die Versorgung doch auch gut, so der Gesundheitsökonom. Die Selbstverwaltung von Ärzten und Apothekern müsse ihren Auftrag, ordnungsgemäße medizinische Versorgung sicherzustellen, ernst nehmen und die richtige Verteilung mit Anreizen unterstützten. „Das liegt mir am Herzen, dass die Standesführung der Ärzte und Apotheker sagt, was sie dafür tun kann und die Dinge nicht einfach laufen lässt“, so Glaeske.

Zwar stünden Apotheken derzeit nicht direkt auf der To-Do-Liste der Landesregierung, gab die niedersächsische Landtagsabgeordnete der SPD, Hanna Naber, zu. Indem die Landes-SPD sich für eine Landarztquote einsetze, unterstütze man indirekt auch Landapotheken. 10 Prozent der Medizin-Studienplätze im Bundesland sollen nach dem Willen ihrer Partei an Studenten gehen, die sich verpflichten, nach dem Abschluss mindestens zehn Jahre auf dem Land zu praktizieren. Zwar sei das Vorhaben in der niedersächsischen großen Koalition umstritten. Naber zeigte sich aber zuversichtlich, dass die SPD sich bei der Landarztquote durchsetzen werde.

Die SPD-Landtagsabgeordnete sprach sich außerdem ganz deutlich für ein Rx-Versandverbot aus. Im Landeskoalitionsvertrag sei ebenfalls explizit vereinbart worden, dass Niedersachsen das Rx-Versandverbot unterstütze. An einer weiteren Stelle bekenne sich die Koalition zum Fremd- und Mehrbesitzverbot.

Nach Auffassung von Glaeske gibt es keinen Grund, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu verbieten, zumal nur etwa ein Prozent der Rx-Präparate verschickt würden. Die Befürchtungen der ABDA, dass der Rx-Versand in Zukunft bis zu 25 Prozent des Absatzes ausmachen könnte, hält der Gesundheitsökonom für „völlig abwegig und unsinnig“. „Ich weiß nicht, wie sie auf diese Zahlen kommen“, sagte er.

Jedenfalls seien Versandapotheken nicht schuld daran, dass stationäre Apotheken wirtschaftlich nicht zu tragen seien. Ohnehin hätte der Versandhandel seit 2004 den „erstarrten Apothekenmarkt“ etwas in Bewegung gebracht. „Es gab in den vergangenen 20 Jahren nichts, was die Branche mehr verändert hätte“, so Glaeske. Man habe verfolgen können, dass es auch bei den Vor-Ort-Apotheken eine Aufbruchstimmung gegeben habe. Diese hätten sich neue Konzepte überlegen müssen, wie man mit der neuen Konkurrenz umgeht.

Inzwischen könnte man seit über 13 Jahren Medikamente online bestellen. Bisher habe es keine Todesfälle gegeben, die auf den Versand zurückzuführen seien. Auch sonst gebe es keine Defizite. „Wir haben mit der Stiftung Warentest sowohl Versandapotheken als auch öffentlichen Apotheken getestet“, so Glaeske. Wenn Apotheken mit hoher und gleichbleibender Qualität überzeugten, werde der Versandhandel keine Rolle mehr spielen.

Der Bürgermeister der Gemeinde Sande, Steffen Eiklenborg, scheint der Verlust der Apotheke in Neustadtneugödens nicht besonders viel auszumachen. Die Schließung habe zwar Auswirkungen auf den Ortsteil. Da es im Ortskern von Sande zwei weitere Apotheken gibt, seien die Einwohner nach wie vor alle versorgt.

Für ihn ist es keine „moralische Frage“, ob man Versandapotheken nutzt oder nicht. „Das ist einfach ein geänderter Markt“, sagte er lapidar. „Die Apothekerschaft wird sich darauf einstellen müssen. Das werden wir genauso wenig verhindern können wie die Digitalisierung.“ Und was soll er als Bürgermeister schon machen? Er könne ja nicht jedem Apotheker 10.000 Euro geben, damit er sich in den entlegenen Ortsteilen niederlässt, sagte Eiklenborg: „Wir sind die Betrachter der Szenerie.“

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