Gläserner Bürger: Steuer-ID soll auch Krankendaten speichern Lothar Klein, 24.11.2020 14:35 Uhr
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Krankenkassen in die Steuerdaten der freiwillig Versicherten schauen lassen, um die GKV-Beiträge festlegen zu können. Die Bundesregierung geht jetzt noch einen Schritt weiter und will den „gläsernen Bürger“ schaffen: Die Steueridentifikationsnummer soll zur zentralen Behördennummer für alle gespeicherten Personendaten werden. Auch die Patientendaten der Kassen gehören dazu. Dagegen laufen Datenschützer Sturm.
Dazu hat das Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU) den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung einer Identifikationsnummer in der öffentlichen Verwaltung (Registermodernisierungsgesetz – RegMoG) vorgelegt und begründet die Zusammenführung aller Behördendaten mit der Notwendigkeit der Vereinfachung der Bürokratie: „Die Datenhaltung natürlicher Personen in der Bundesrepublik Deutschland ist entsprechend der staatlichen Strukturen und fachlichen Zuständigkeiten überwiegend dezentral organisiert“, heißt es im Gesetzentwurf. Dadurch entstünden einerseits Inkonsistenzen und Redundanzen in der Datenhaltung sowie andererseits sich wiederholende Datenerhebungen. „Es ist schwer, der Bevölkerung zu vermitteln, dass sie beim Kontakt mit der Verwaltung für die Beantragung von Leistungen immer wieder die gleichen Daten angeben muss, die der Verwaltung an anderer Stelle bereits bekannt sind“, so der Entwurf.
Das Vorliegen aktueller und richtiger personenbezogener Daten sei dafür ein zentrales Anliegen. Aufgrund der derzeitigen Datenverarbeitung der Bürger ergäben sich Personenverwechslungen und so würden „uneinheitliche personenbezogene Daten in den verschiedenen Verwaltungsbereichen verwendet, auch wenn tatsächlich ein- und dieselbe natürliche Person betroffen ist“. Dies erschwere die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen. Vielfach komme es in der digitalen Kommunikation zu Trefferlisten, in denen die Daten auch unbeteiligter Personen enthalten seien, oder zu einem gänzlichen Abbruch des Übermittlungsprozesses, weil die betroffene Person in einem Datenbestand nicht eindeutig referenziert werden kann.
Nutzerfreundlich und medienbruchfrei seien Verwaltungsverfahren erst dann, wenn Bürger weitestgehend von Nachweispflichten entlastet seien. Dafür müsse die Verwaltung ertüchtigt werden, diese Nachweise wie etwa Geburtsurkunden selbst auf digitalem Wege zu beschaffen. Die Lösung sieht der Gesetzentwurf in einer einzigen Identifikationsnummer. Dazu soll die bisherige Steuer-ID ausgebaut werden. Darauf sollen alle Behörden zugreifen können: „Die zur Identifikation erforderlichen personenbezogenen Daten in diesen Registern werden öffentlichen Stellen, die diese zur Erbringung von Verwaltungsleistungen nach dem Onlinezugangsgesetz benötigen, aktuell und in hoher Qualität bereitgestellt.“
Der Nutzen dieser zentralen Bürgernummer stellt sich laut Gesetzentwurf wie folgt dar: „In der Interaktion mit der Verwaltung müssen Bürger regelmäßig grundlegende Daten wie Adresse oder Familienstand immer wieder angeben oder bestimmte Dokumente, wie zum Beispiel die Geburtsurkunde, vorlegen. Diese Aufwände lassen sich minimieren, wenn die jeweilige Behörde die Basisdaten zu einer natürlichen Person über die neu geschaffene Registermodernisierungsbehörde direkt abrufen kann. Statt die grundlegenden Daten zu einer Person an vielen dezentralen Stellen permanent aktuell halten zu müssen, würden die Basisdaten einer natürlichen Person zentral durch die Registermodernisierungsbehörde qualitätsgesichert.“ Für die Transparenz gegenüber den Bürgern wird ein Datencockpit aufgebaut, dass eine zeitnahe Übersicht über zwischen Behörden vorgenommenen Datenübermittlungen ermöglichen soll.
Unter der neuen Identifikationsnummer sollen auch alle Krankendaten der Bürger erfasst werden: „Damit werden die Krankenkassen in die Lage versetzt, die bei ihnen vorhandenen, anhand der Krankenversichertennummer geordneten Daten mit dem registerübergreifenden Identifikationsmerkmal zu verknüpfen. Es wird sichergestellt, dass auch die gesetzlichen Krankenkassen nach Einführung der registerübergreifenden Identifikationsnummer grundsätzlich in der Lage sind, in den gesetzlich bestimmten Fällen anhand dieser Nummer Daten mit anderen inländischen öffentlichen Stellen auszutauschen“, heißt es im Gesetzentwurf.
Gegen das Registermodernisierungsgesetz laufen die Datenschützer Sturm: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, hält das Gesetz für verfassungswidrig: „Ein Personenkennzeichen, das in dieser Art sowohl bereichsübergreifend als auch einheitlich gestaltet ist, ist mit der Verfassung nicht vereinbar. Es schafft ein system-inhärentes, übermäßiges Risiko der Katalogisierung der Persönlichkeit und bietet, auch mit den im Gesetzentwurf geplanten Maßnahmen zur technischen Absicherung, keinen ausreichenden Schutz vor Missbrauch sowohl nach innen als auch nach außen“, so seine Stellungnahme zum Gesetzentwurf.
Die Einführung eines zentralen Personenkennzeichens sei „unweigerlich mit schwerwiegenden Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden“. Damit stehe dem Staat ein einfaches Mittel zur Verfügung, um übergreifend Daten einer natürlichen Person zusammenzuführen, die aus völlig unterschiedlichen Bereichen stammen. Insbesondere seien dem Personenkennzeichen zugeordnete Daten ohne weiteres verkettbar. Allein die Schaffung eines derart absolut zuverlässigen, rasanten Systems zum Datenaustausch sei ein Umstand, der „wenigstens den Eindruck einer totalen Erfassbarkeit der Persönlichkeit hinterlässt“. Eine zentrale Identifikationsnummer erhöhe das Risiko eines Miss- oder Fehlgebrauchs: „Ein System, das ein Personenkennzeichen verwendet, egal welcher Natur, ist also inhärent gefährlich“, so das Urteil Kelbers.