„Am Aschermittwoch ist alles vorbei“ heißt es in einem bekannten Karnevalslied. In diesem Jahr könnte damit die jahrelange Retax-Praxis der AOK Bayern gemeint sein, nachdem das Bundessozialgericht (BSG) die Gültigkeit der Hilfstaxe bei der Abrechnung von Verwürfen bestätigt hat. Apotheker Dr. Franz Stadler ist erleichtert, denn auch er führt seit Jahren einen Prozess gegen die AOK Bayern.
„Seit vielen Jahren gab es massive Schwierigkeiten bei der Abrechnung von Verwürfen. Mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 22. Februar 2023 (Aschermittwoch) dürften diese Schwierigkeiten vorbei sein“, so Franz Stadler. Er selbst streitet seit nunmehr zehn Jahren vor dem Sozialgericht mit der AOK Bayern, ebenfalls um unvermeidliche Verwürfe bei der patientenindividuellen Zubereitung von parenteralen Infusionslösungen.
Grund für die Verwürfe sind laut Stadler die verfügbaren Packungsgrößen, die in den Fachinformationen verbindlich angegebenen Haltbarkeiten, die Behandlungsschemata, die Anzahl und natürlich auch das Körpergewicht der zu behandelnden Patienten, es sei „ein komplexes Zusammenspiel“. Nur: In der Hilfstaxe Anlage 3 sei die Abrechnung dieser unvermeidlichen Verwürfe durch den GKV-Spitzenverband und den Deutschen Apothekerverband (DAV) als Vertragspartner eindeutig geregelt. „Trotzdem verweigert die AOK Bayern als einzige Krankenkasse seit Jahren systematisch die Bezahlung der unvermeidlichen Verwürfe“, so Stadler.
Die Kasse begründe dies zwar mit möglicherweise längeren Haltbarkeiten der Wirkstoffe – habe aber auf Nachfrage auch nicht mitgeteilt, wie lange diese denn haltbar sein sollen. „Die Verantwortung sollte die zubereitende Apotheke tragen“, empört sich. Wenn die Apotheken aus Angst vor der AOK Bayern die Haltbarkeiten verlängerten, übernahmen sie laut Stadler auch selbst die Haftung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Wirkstoffe in den hergestellten Infusionen. „Die Patient:innen wussten davon ohnehin nichts und wurden auch nicht informiert. Sie wären wohl nicht einverstanden gewesen“, so Stadler.
Und dann habe die AOK Bayern – meist nach erstinstanzlich verlorenen Sozialgerichtsprozessen – teilweise Abschlagszahlungen angeboten, wenn dafür der Prozess eingestellt wird. Stadler wollte dies nicht – verlor aber trotzdem irgendwann die Unterstützung seines Bayerischen Apothekerverbandes (BAV). „Nachdem wir die erste Instanz des Sozialgerichtsprozesses gemeinsam gewonnen hatten, teilte mir der BAV Mitte 2020 mit, dass ich die Weiterführung des Prozesses künftig allein zu finanzieren hätte – was ich auch getan habe“, so Stadler.
Mit dem BSG-Urteil ende nun vermutlich die seit Jahren ausgeübte Praxis der AOK Bayern, die aus Stadlers Sicht hauptsächlich finanziellen Erwägungen entsprang und nicht im Interesse ihrer Versicherten lag. „Für die zubereitenden Apotheken herrscht wieder Rechtssicherheit.“
Vier Erkenntnisse nimmt er aus dem Prozess mit:
Erstens gibt es noch so etwas wie Gerechtigkeit, auch wenn es manchmal lange dauert, bis sie erreicht wird.
Zweitens wären solidarisches Verhalten und eine gewisse mutige Hartnäckigkeit in den Handlungen unseres Berufsstandes unabdingbare Notwendigkeiten zur Verteidigung unserer Positionen – gerade angesichts der momentanen Lage unseres Berufstandes.
Drittens sollten unsere Positionen immer die Patient:innen im Blickpunkt behalten. Diese Positionen und damit unsere Existenzberechtigung haben wir zu verteidigen – egal wie groß und mächtig der Gegner ist.
Viertens sollte die Möglichkeit einer Sammelklage vor den Sozialgerichten durch unsere Berufsverbände mit Nachdruck angestrebt werden.
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