Kommentar

Gesundheitswesen-Vernichtungsminister

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Berlin -

Zwei Jahre lang ist es Karl Lauterbach gelungen, seine Absichten zum Radikalumbau des deutschen Gesundheitswesens im Verborgenen zu halten. Doch mittlerweile ist offensichtlich, dass er mit der Axt an die bestehenden Strukturen geht: Egal ob Kliniken, Apotheken oder Arztpraxen – der amtierende Bundesgesundheitsminister will die Versorgung in der Fläche drastisch herunterfahren. Damit darf er nicht durchkommen.

Keine Termine, keine Gespräche, keine Fragen. Über Monate hinweg war Lauterbach nach seinem Amtsantritt den Vertreterinnen und Vertretern der Verbände aus dem Weg gegangen. Dabei hätte es von Anfang an viel Gesprächsbedarf gegeben: Zahlreiche Probleme hatten sich aufgestaut, viele notwendige Reformen waren liegen geblieben. Und mancherorts gab es die vorsichtige Hoffnung, dass man mit Lauterbach reden könnte.

Doch Lauterbach war nicht zu sprechen. Unbeeinflusst von Lobbyinteressen entwickele er in Ruhe seine Reformvorhaben, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern, so das Bild, das er selbst in den Medien gerne von sich zeichnet. Doch hinter seiner Haltung könnte mehr stecken als mentales Einsiedlertum: Lauterbach will das Gesundheitswesen radikal umbauen, weil er es für schlecht und teuer hält und weil der Fachkräfte- und Ressourcenmangel erst noch um sich greifen wird.

Kapitulation statt Reform

Die einzige Antwort, die ihm dazu allerdings einfällt, ist die Kapitulation; Lauterbach ist nicht bereit, Gedanken, Gespräche oder gar Geld ins Gesundheitswesen zu investieren. Stattdessen plant er die flächendeckende Absenkung des Qualitätsniveaus und damit verbunden die Abschaffung der Freiberuflichkeit. Als Mann der Wissenschaft, den er gerne zur Schau trägt, hat er allenfalls ein Interesse an Spitzenmedizin. Für die tagtägliche Versorgung im Land hat er dagegen keinerlei Verständnis: Kleinere Kliniken will er schließen, Apotheken zu Ausgabestellen degradieren und das persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient durch ein schlichtes Telefonat oder sogar den Besuch im Gesundheitskiosk ersetzen. Um seine Absichten zu verschleiern, zündet er allerlei Nebenkerzen, darunter etwa Herz-Kreislauf-Checks oder Hitzeberatungen.

Erst Kliniken, dann Apotheken

Die Kliniken hat er sich zuerst vorgeknöpft, denn hier ist nicht nur der Reformstau am größten, sondern auch die finanzielle Situation zunehmend prekär. Zwar kann Lauterbach ohne die Länder nicht viel verändern, aber in der Öffentlichkeit lässt sich die Sache vergleichsweise gut verkaufen: Wer will schon eine Operation bekommen, die im Krankenhaus vor Ort vergleichsweise selten gemacht wird? Für die optimale Behandlung nimmt man als Patient auch einmal weitere Wege in Kauf – ist ja auch kein Dauerzustand.

Mit den Apotheken machte er noch viel weniger Federlesen. Schon vor 20 Jahren war unter seiner Mitwirkung die erste Liberalisierung angestoßen worden, die ihm und seinen Mitstreitern längst nicht weit genug ging. Ohnehin genervt von den Honorarprotesten setzte er dem Berufsstand einfach die Pistole auf die Brust. Mit ein wenig PR war die wenig streitbereite Standesvertretung kurzerhand kalt gestellt.

Die größten Kopfschmerzen dürften Lauterbach die Ärztinnen und Ärzte gemacht haben. Zwar hatte er sie zu Beginn seiner Amtszeit zunächst regelrecht hofiert und sich bei einem im Nachhinein peinlich anmutenden Auftritt selbst auch noch als Impfarzt inszeniert. Doch schnell erlitten seine Berufskolleginnen und -kollegen das gleiche Schicksal wie alle anderen Akteure. Ab Sommer drohte die Situation immer mehr zu eskalieren: Ultimatum, Unterschriftenliste, zuletzt sogar Praxisschließung.

Doch auch der sogenannte Krisengipfel am Dienstag brachte keine Lösung. Allenfalls den Hausärztinnen und Hausärzten will Lauterbach die geforderten Zugeständnisse machen, entsprechend lobte er auch den Hausärzteverband als maßgeblichen Beteiligten bei seinen Reformplänen.

Ärzte lassen sich nicht spalten

Doch der Versuch, die Ärzteschaft zu spalten, ging gehörig nach hinten los: Der Virchowbund erteilte Lauterbachs Plänen nicht nur öffentlich eine Abfuhr, sondern weigerte sich auch, im Anschluss an das Treffen gemeinsam mit dem Minister vor die Presse zu treten. Auch die KBV wollte nicht herhalten als „Kronzeuge vermeintlicher Absprachen, die es nie gegeben hat“, und verschickte eine Protestnote.

Und so kam es am Dienstagabend zu einem denkwürdigen Auftritt Lauterbachs in den ARD-Tagesthemen. Nachdem er seit den frühen Morgenstunden versucht hatte, die Hoheit über die Berichterstattung zu gewinnen, brach sein Kartenhaus in der Sendung zusammen: Auf der einen Seite musste Lauterbach die Befürchtung zu zerstreuen, dass durch die Mehrkosten die Kassenbeiträge steigen könnten. Auf der anderen Seite musste er erklären, warum die Ärzte seine als „Entökonomisierung“ bezeichnete Vorhalteprämie ablehnen.

Am Ende rutschte ihm raus, wie er sich das Gesundheitswesen der Zukunft vorstellt: „Wir erhalten eine neue Art der Medizin. Viel mehr wird telefonisch gemacht, viel mehr wird telemedizinisch gemacht. Die Digitalisierung kommt.“ Es wird Zeit, dass die Menschen in Deutschland dem Minister erklären, ob sie damit einverstanden sind.

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