Der Deutsche Bundestag wird zum zweiten Mal von einer Gesundheitspolitikerin geführt: Bärbel Bas wurde am Montag zur Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble gewählt. Die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion hebt sich in vielerlei Hinsicht von ihren Amtsvorgängern ab und verspricht, einen neuen Stil in das Haus zu bringen.
Eigentlich ist Bas‘ Weg ins neue Amt wenig schmeichelhaft: Das protokollarisch zweithöchste Staatsamt sollte ursprünglich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erhalten. Ihm war – auch als Dank dafür, dass er die Fraktion während des Wahlkampfs so diszipliniert geführt hatte – das Vorrecht auf eine Kandidatur zugesagt worden. Allerdings setzen die Genossen gerade voll auf Regierungsverantwortung. Und dann wären mit Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundestagspräsident gleich drei männliche Sozialdemokraten im Amt. Eine Frau musste also her, wenn die SPD ihre gesellschaftspolitischen Ansprüche nicht ad absurdum führen will.
Also schlug Mützenich seine Stellvertreterin vor. In der breiten Bevölkerung war Bas bis vor kurzem kaum bekannt. Selbst in der Gesundheitspolitik stand ihr Name oft hinter anderen Politikern zurück, auch aus der eigenen Partei. Doch Bas bringt nach Meinung der meisten Beobachter nicht nur so einiges mit, was sie von ihren Vorgängern abhebt, sondern auch auf neue Art für das Amt qualifiziert.
Eigentlich war das Amt des Bundestagspräsidenten meist reserviert für bekannte Parteigranden, die ihre Karriere auslaufen lassen, indem sie die Legislative moderieren und organisieren: Man denke an Bas‘ direkte Vorgänger Rita Süssmuth, die erste Gesundheitspolitikerin im Amt, Wolfgang Thierse, Norbert Lammert oder eben Schäuble. Die 53-Jährige, die jetzt ihre vierte Legislaturperiode im Bundestag antritt, ist hingegen weder bekannt noch besonders erfahren – zumindest im Vergleich zu den Vorgenannten.
Anders als fast alle ihre Vorgänger hat Bas weder Doktortitel noch Lehrstuhl. Dafür bringt sie etwas mit, was nicht nur in der SPD-Führung, sondern im gesamten Parlament mittlerweile Seltenheitswert hat: eine echte sozialdemokratische Vita. Bas wurde 1968 in Duisburg als eines von sechs Kindern geboren und beendete die Schule 1984 mit einem erweiterten Hauptschulabschluss. Sie wollte technische Zeichnerin werden, fand aber keinen Ausbildungsplatz, also drückte sie noch einmal ein Jahr die Schulbank in der höheren Berufsschule für Technik in Dinslaken. „In dieser Zeit habe ich das Schweißen gelernt und konnte perfekt einen U-Stahl feilen“, erzählt sie aus ihrem Werdegang.
Seitdem arbeitete sie sich hoch und bildete sich kontinuierlich weiter. Nach 80 Bewerbungen und Absagen folgte eine Ausbildung zur Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG), von dort wechselte sie in die betriebseigene Krankenkasse. Auf eine weitere Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten folgte eine Fortbildung zur Krankenkassenbetriebswirtin. 2002 wurde sie stellvertretendes Vorstandsmitglied der Betriebskrankenkasse EVS und nach einer weiteren Fortbildung Abteilungsleiterin bei der BKK futur. Mit Bas führt also auch die erste (ehemalige) Kassenfunktionärin den Bundestag.
Parallel zum beruflichen folgte auch der politische Aufstieg. Seit 1988 ist sie SPD-Mitglied, führte acht Jahre lang die Jusos in Duisburg an und saß bis 2002 im Rat der Stadt. Die ganze Zeit über war sie auch gewerkschaftlich aktiv, als Betriebsratsmitglied war sie Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat der DVG. 2009 folgte die Wahl in den Bundestag über das Direktmandat in Duisburg, das sie seitdem bei jeder Wahl verteidigen konnte. Sie zog in den Bundesgesundheitsausschuss, blieb in der Legislaturperiode danach noch stellvertretendes Mitglied. Nach einem sechsjährigen Intermezzo als Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion wurde sie 2019 zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden mit dem Aufgabenbereich Gesundheit, Petitionen, Bildung und Forschung ernannt.
Gesundheitspolitisch fiel sie in der Zeit durch keine größeren Abweichungen vom Kurs der Sozialdemokraten auf. Sie wird der Parteilinken zugerechnet und tritt regelmäßig mit Vorschlägen hervor, die deren Anliegen widerspiegeln: So setzt sie sich für eine bessere Bezahlung in der Pflege ein oder forderte einen Finanzierungsfonds für die Behandlung von Menschen ohne Krankenversicherung. Im Homöopathiestreit positionierte sie sich gegen eine Erstattung alternativer Heilmethoden durch die Krankenkassen.
2019 brachte sie als Koalitionspartnerin gemeinsam mit der CDU das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) auf den Weg – pochte dabei aber bis zuletzt darauf, das Votum der EU-Kommission zum Rx-Boni-Verbot abzuwarten. Zuletzt zeigte sie sich im Wahlkampf auch in Apotheken und sprach nicht nur von einer angemessenen Vergütung, sondern versprach auch, die Politik werde sich der überbordenden Bürokratie in den Offizinen annehmen – der „Kontrollwahn“ müsse zurückgefahren werden, so Bas Ende August.
Das dürfte nun eine Aufgabe anderer Fachpolitiker werden. Am Montag hielt Bas ihre erste Rede als Bundestagspräsidentin. Sie verspricht einen neuen Stil und lebt das auch gleich vor: Bas zeigte sich emotional, als sie um ihren verstorbenen Fraktionskollegen Thomas Oppermann trauerte, aber auch als sie betonte, dass sie stolz drauf sei, als erstes Kind Duisburgs in dieses hohe Amt gewählt worden zu sein. Auch auf ihre Rolle als erst dritte Frau an der Spitze des Bundestags kommt sie zu sprechen und erklärt, sich in ihrem Amt für mehr Gelichberechtigung einsetzen zu wollen. Dabei verweist sie auf ihre Vorgängerin Annemarie Renger, die Sozialdemokratin, die 1972 als weltweit erste Frau an die Spitze eines frei gewählten Parlaments gewählt worden war – und auch auf den Unterscheid zwischen beiden. Renger hatte sich damals gegen alle Widerstände selbst als neue Bundestagspräsidentin vorgeschlagen. Das sei eine Zeitenwende gewesen. Ganz so selbstbewusst tritt Bas nicht auf. „Ich habe nicht selbst den Finger gehoben, das stimmt“, sagt sie am Montag. „Aber ich habe im richtigen Moment ja gesagt.“
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