Schlagabtausch zur Pflegereform dpa, 04.07.2014 14:44 Uhr
Trotz geplanter Mehrleistungen vom kommenden Jahr an lehnt die Opposition die Pflegereform von Union und SPD als völlig unzureichend ab. Das machten Linke und Grüne bei der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag deutlich. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warb für die Pläne: „Es kommt darauf an, dass wir 20 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung einen entscheidenden, einen guten Schritt nach vorne gehen.“
Linke-Pflegeexpertin Pia Zimmermann warf der Koalition vor, mit der geplanten stärkeren Anwerbung und Entschädigung ehrenamtlicher Betreuer werde ein neues Einfallstor für prekäre Beschäftigung geschaffen. Ihre Grünen-Kollegin Elisabeth Scharfenberg kritisierte: „Sie haben kein mutiges und fortschrittliches Konzept.“
Geplant sind Verbesserungen ab Anfang 2015 sowie eine Aufnahme von mehr Bedürftigen in die Versicherung ab 2017. Zum 1. Januar sollen die Pflegeleistungen um 4 Prozent steigen. Das bedeutet zum Beispiel in vollstationärer Pflege bei Stufe 1 ein Plus von 1023 auf 1064 und in Stufe 2 von 1279 auf 1330 Euro.
Mehr Hilfe für Betreuung zu Hause soll es geben, auch die Zahl der nachqualifizierten Betreuungskräfte in Heimen soll steigen und sich auf 45.000 fast verdoppeln. Kurzzeit- und Verhinderungspflege soll verstärkt gewährt werden – für bis zu vier Wochen Heimaufenthalt eines zu Hause Gepflegten pro Jahr oder für ambulante Pflege.
Rundheraus lehnte die Opposition den Pflegevorsorgefonds ab. Auch SPD-Expertin Hilde Mattheis bekräftigte ihren Standpunkt, besser zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. „Eine andere Möglichkeit ist es, durch Gelder Vorsorge zu treffen, dass im Jahr 2030, 2033 Menschen da sind, die bereit sind, andere Menschen zu pflegen.“ Ihre Forderung, den von der Union in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzten Fonds fallen zu lassen, wiederholte sie aber nicht.
Bis 2033 sollen dabei Milliardensummen angespart werden, mehr als 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Mit dem Geld sollen zu große Beitragsanhebungen ab 2034 verhindert werden, wenn die starken Geburtsjahrgänge 1959 bis 1967 ins typische Pflegealter kommen.
Mehrere Koalitionspolitiker versicherten, ein neuer Pflegebegriff werde eingeführt. Statt drei Stufen soll es ab 2017 fünf Pflegegrade je nach Beeinträchtigung geben. Demenzkranke sollen systematisch in die Pflegeversicherung aufgenommen werden. Mit Begutachtungen probeweise im alten und neuen Verfahren wird das in diesem Jahr vorbereitet.
Gröhe forderte eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. In Bundesländern mit geringem Lohn müsse es Angleichungen nach oben geben. „Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation gibt es Unterschiede von bis zu 800 Euro im Monat.“ Der Minister wies auf das Motiv für die Reform hin. 2,5 Millionen Menschen seien jeden Tag auf Pflege angewiesen. „Das entspricht der Einwohnerzahl von Köln und München zusammen.“ Die Zahl werde bis 2030 um eine Million steigen. Scharfenberg forderte, angesichts des steigenden Bedarfs schwerpunktmäßig die Bedingungen für Pflege in Städten und Gemeinden zu stärken. Für die Kommunen tue die Koalition in dem Bereich nichts.
Kritik kam von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Den Pflegevorsorgefonds in die Hände der Deutschen Bundesbank zu legen, ist nicht zukunftssicher“, sagte Vorstandsvorsitzender Eugen Brysch. Die Geschichte der Bundesbank zeige, dass sie „ein Selbstbedienungsladen für die Haushaltspolitik der Bundesregierung“ gewesen sei. Deshalb fordere die Stiftung, für den Fonds eine Stiftung des öffentlichen Rechts zu gründen. Diese solle einen klaren Satzungsauftrag erhalten, der nicht im Nachhinein geändert werden dürfe. So sei der Fonds vor den Begehrlichkeiten künftiger Bundesregierungen geschützt, so Brysch.
Ähnlich argumentiert man bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Zwar sei es grundsätzlich richtig, einen Teil des zusätzlichen Beitragsaufkommens in einen Pflegevorsorgefonds zu investieren, der später zur Stabilisierung des Beitragssatzes genutzt werden solle. Der Fonds müsse aber so ausgestaltet sein, dass ein vorzeitiger politischer Zugriff und zweckfremde Mittelverwendung verhindert würden. Eine bloße Verwaltung durch die Bundesbank reiche nicht aus, da ihr die Mittel durch eine gesetzliche Änderung jederzeit wieder entzogen werden könnten.