Rx-Versandverbot

Gesundheitsminister schreiben an Merkel Patrick Hollstein, 03.11.2017 10:05 Uhr

Berlin - 

Wenn es zu Jamaika kommt, könnte ein Apothekengesetz zum gesundheitspolitischen Auftakt der neuen Regierung werden. Denn auch wenn das Rx-Versandverbot nicht zu den großen Themen gehört und vielen Beobachtern als reine Verhandlungsmasse in den Sondierungsgesprächen gilt: Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und seinen Kollegen aus den Ländern ist es mit dem Thema ernst, wie sie in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch einmal betonen. Der ABDA, die zuletzt mutlos geworden war, könnte das gut tun. Allerdings gibt es offenbar einen Ausreißer.

Insgesamt spielt die Gesundheitspolitik in den Sondierungsgesprächen keine allzu große Rolle. Verbesserungen bei der Pflege sind ein zentraler Aspekt, Finanzierungsfragen ein anderer. Dazu kommen Spezialfragen, die sich die Parteien auf die Fahne geschrieben haben: Geburtshilfe und Patientenrechte bei den Grünen, die Freigabe von Cannabis bei der FDP. Und eben die „flächendeckende Apothekenversorgung und die Frage des Versandhandels“ bei der Union.

Bei keinem anderen Thema wie dem Rx-Versandverbot hatte sich Gröhe so früh so klar positioniert. Nachdem er mit seinem Gesetzesvorhaben im Frühjahr am Widerstand der SPD gescheitert war, hatte er sich schon im Sommer festgelegt, das Rx-Versandverbot nach der Wahl weiterzuverfolgen und zum Gegenstand etwaiger Koalitionsverhandlungen zu machen. Nicht überall in der Union kommt diese Haltung gut an, zuletzt brach der CDU-Wirtschaftsrat noch einmal eine Lanze für DocMorris & Co.

Unterstützung kommt dagegen aus den Ländern, genauer gesagt von den CDU/CSU-Gesundheitsministern. Die besprechen sich unter Leitung des hessischen Ressortchefs Stefan Grüttner regelmäßig mit Gröhe und haben sich darauf verständigt, welche Eckpunkte aus dem Bereich Gesundheit/Pflege in den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen für sie wichtig sind.

Ende vergangener Woche teilte Grüttner die in diesem Kreis vereinbarten Positionen gegenüber Merkel, CDU-Generalsekretär Peter Tauber und seinem Ministerpräsidenten Volker Bouffier mit. Unter anderem heißt es in dem Schreiben: „Der Versandhandel verschreibungspflichtiger Arzneimittel stellt keine flächendeckende und 24-stündige Versorgung, auch an Sonn- und Feiertagen, der Bürgerinnen und Bürger sicher. Er ist daher zu untersagen.“

Laut Grüttner wurde dieser Punkt diskutiert und mehrheitlich so beschlossen, sodass er auch „Eingang in die Gespräche finden kann“. Allerdings stellt er klar, dass es einen Ausreißer gibt: Das Saarland lehnt laut Schreiben diese Position ab.

Das ist überraschend, denn Gesundheitsministerin Monika Bachmann hatte noch im Frühjahr eine gemeinsame Erklärung der saarländischen Heilberufe zum Rx-Versandverbot unterstützt: „Wir müssen unsere Apotheken stärken, denn diese versorgen die Bevölkerung auch an Wochenenden mit Medikamenten. Der Apotheker ist – neben dem Hausarzt – ein wichtiger Gesundheitslotse, den wir im ländlichen Raum dringend benötigen. Es ist daher nicht einzusehen, wenn wir durch den Handel von ausländischen Versandapotheken dieses hohe Gut gefährden. Daher ist ein entsprechendes Verbot, wie es die meisten EU-Länder haben, angemessen und nötig.“

Auf Nachfrage war aus ihrem Haus bislang nicht zu erfahren, was es mit dem Stimmungsumschwung auf sich hat. Klar scheint aber damit, dass neben Bayern und Hessen auch Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hinter dem Vorschlag stehen. Nicht ganz klar ist die Haltung von Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Obwohl in der Regierung CDU-geführt, stellen hier SPD beziehungsweise FDP den Gesundheitsminister.

Bereits vor einem Jahr hatten die B-Länder im Bundesrat einen Antrag Bayerns für ein Rx-Versandverbot durchgebracht. Während sich die SPD-Länder enthielten, unterstützten das damals SPD-geführte NRW mit Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) den Vorstoß. Allerdings trat Gröhe damals noch auf die Bremse, auch weil er Ärger mit der EU vermeiden wollte.

Trotz des Rückhalts aus den Ländern ist vollkommen ungewiss, wie es mit dem Rx-Versandverbot weitergeht. Die FDP hatte vor Beginn der Gespräche eine Unterstützung kategorisch ausgeschlossen: „Das ist mit uns nicht zu machen“, bekräftigte FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus bei einer gesundheitspolitischen Diskussion. Ein Rx-Versandverbot passe nicht in die Zeit, die FDP sei aber gerne bereit, die Apotheken zu unterstützen, um die durch das EuGH-Urteil entstandene Ungleichbehandlung zu kompensieren.

Auch die Grünen sind von Hause aus Freunde des Versandhandels. Im Frühjahr hatte die Fraktion die Bundesregierung aufgefordert, ihre Pläne zu beerdigen und stattdessen Rabatte bis zu einer gewissen Höhe für alle Apotheken zu erlauben. Zwar hatte Maria Klein-Schmeink zuletzt signalisiert, dass sich ihre Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung durchaus vorstellen könne, einem Rx-Versandverbot zuzustimmen – allerdings nur vorübergehend, bis eine endgültige Lösung gefunden sei. Sie dachte an eine Erhöhung der Sicherstellungszuschläge und kostendeckende Nacht- und Notdienstpauschalen.

Auch ihre Parteifreundin Kordula Schulz-Asche plant den ganz großen Wurf. Sie will das Apothekenhonorar komplett neu regeln – weg von der „zu Fehlanreizen führenden strikten Verknüpfung mit der Arzneimittelabgabe“, hin zu einer Vergütung der geleisteten pharmazeutischen Beratungsleistung. Eine Expertengruppe soll den Apothekenmarkt aus ihrer Sicht durchleuchten. Entsprechende Vorschläge hatten die Grünen im Frühjahr gemacht.

So könnte es passieren, dass das Rx-Versandverbot zugunsten der geplanten Honorarumstellung geopfert wird. Derzeit weiß niemand, ob das noch unter Verschluss gehaltene Gutachten des Wirtschaftsministeriums Eingang in die Debatte finden wird. Einig sind sich aber von den Kassen bis zur ABDA alle Beteiligten, dass die Vergütung überarbeitet werden muss.

Aus diesem Grund hatte sich zuletzt auch die ABDA Zurückhaltung beim Thema Rx-Versandverbot verordnet. Bei einer Sitzung des Gesamtvorstands vor einigen Wochen war das Lager gespalten: Die Hälfte der Kammerpräsidenten und Verbandschefs sprach sich dafür aus, weiter ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Die andere Hälfte trieb die Sorge um, dass man in der Zeit der Sondierungs- und Koalitionsgespräche lieber keine schlafenden Hunde wecken sollte. Vor allem Chefjurist Lutz Tisch soll wie gewöhnlich mahnend auf die Bremse treten.

Da das Thema nun auf der Agenda steht, müssen die Apotheker hoffen, dass ihre Positionen nicht für Tauschgeschäfte geopfert werden. Etwas entspannter sind in dieser frühen Phase die Hersteller: Themen, die die Arzneimittelversorgung betreffen, gibt es derzeit nicht. Kein Wunder: Die Ausgaben für Medikamente sind recht stabil, die großen Themen rund um die Nutzenbewertung wurden – allen Protesten der Kassen zum Trotz – von der Politik für erledigt erklärt.