Kommentar

Gesundheitsdiktator

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Berlin -

Karl Lauterbach schwimmt im Moment ganz oben. Während sich die Regierung bei anderen Themen selbst zerlegt, zieht der Gesundheitsminister seine Agenda durch – und zwar im Alleingang. Daher stellen sich zwei Fragen: Wie lange lassen es die Abgeordneten dem Minister durchgehen, dass er sich wie ein Diktator geriert? Und wer kann ihn stoppen?

Dass Lauterbach nicht mit den Verbänden spricht, ist die eine Sache. Aber selbst innerhalb der eigenen Koalition zieht er seine Sache nur noch im Alleingang durch. Im Januar präsentierte er den Gesundheitsexpertinnen und -experten zwar seine Vorhabenplanung, aber das war es dann auch schon. Austausch oder Abstimmung? Fehlanzeige.

Das betrifft keineswegs nur die Opposition. Selbst Gesundheitspolitikerinnen und -politiker aus den Ampelfraktionen kritisieren, dass Gesetzentwürfe regelmäßig über die Medien durchgestochen werden und sie sich die Papiere teilweise von Verbänden besorgen müssen. Und auch die erhalten die Vorlagen nicht mehr direkt aus dem Ministerium über den sogenannten Verbändeverteiler, sondern müssen sie sich regelmäßig untereinander zuspielen.

Zuletzt war der Entwurf für die Krankenhausreform am Samstag vor zwei Wochen über die Bild lanciert und dann unter der Hand verteilt worden. Die Eckpunkte zur Apothekenreform hatte Lauterbach erst über die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und dann über das Handelsblatt bekannt gemacht. Selbst im Ministerium wissen die Fachabteilungen nicht, wann und wie Lauterbach mit einem Vorhaben an die Öffentlichkeit geht.

Heute nun platzte der FDP der Kragen: Den Entwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) habe er ohne die informell vereinbarte Frühkoordinierung in die Abstimmung zwischen den Ministerien geschickt, hieß es aus der Fraktion. Hintergrund sei wohl, dass das Finanzministerium mit den Ausgaben für die Kioske nicht einverstanden sei, die anders als angekündigt unverändert enthalten sind.

Eigentlich sollte jeder Koalitionspartner in dieser frühen Phase die Möglichkeit erhalten, etwaige grundsätzliche Bedenken rechtzeitig anzumelden. Ziel ist es, rechtzeitig Kompromisse zu finden und Streit zu vermeiden. Doch Lauterbach ignoriere diese Absprache, um dann zu behaupten, es gebe noch gar keine Ressortabstimmung. Ähnlich lief es bei der Klinikreform: Hier wurden die anderen Ministerien im Anschreiben noch um Vertraulichkeit gebeten – während das Papier schon aktiv an die Presse verbreitet wurde.

Warum Lauterbach das macht? Einerseits geht er jeglichem Diskurs vorab aus dem Weg – im Kalkül, dadurch Fakten zu schaffen: Ist ein Entwurf erst einmal in der Welt, werden die Fraktionen damit klein gehalten, im Sinne der Koalitionsdisziplin kein Fass aufzumachen, sondern zuzustimmen. Tatsächlich hatten die Grünen im aktuellen Fall schon in Richtung FDP gemahnt, die überfälligen Strukturreformen dürften im Kabinett nun auf keinen Fall weiter verzögert oder gar blockiert werden.

Abgeordnete als Marionetten

Dabei wäre es nicht nur guter Stil, sondern auch im Sinne der Sache, wenn möglichst frühzeitig gemeinsame Pläne gefasst und über Bedenken diskutiert würde. So aber drohen die Gesundheitsexpertinnen und -experten zu Marionetten zu werden, die nur noch die Pläne des Ministers abnicken dürfen. So wie Lauterbach hat keiner seiner Vorgänger die Rechte des Parlaments beschnitten.

Als einzige Fraktion innerhalb der Ampel stellt noch die FDP gelegentlich unangenehme Fragen, was aber in der Regel im Sande verläuft: Bei der geforderten Aufarbeitung der Pandemie etwa standen Liberalen zuletzt alleine da. Die SPD schützt reflexartig ihren Minister, hier läuft die Kommunikation von Lauterbach an den Gesundheitsexpertinnen und -experten vorbei bis hin zu Fraktionsspitze. Und bei den Grünen weiß man angesichts diffuser Zuständigkeiten überhaupt nicht so recht, woran man gerade ist. Kritik am Minister war von dieser Seite jedenfalls noch nicht zu hören.

Ungewisses Unterfangen

Dass man Lauterbach in diesem späten Stadium stoppen kann, wie es die Abda aktuell plant, ist also – positiv formuliert – ein höchst ungewisses Unterfangen. Gerade die Apothekenreform dürfte sich kaum dazu eignen, einen Koalitionsstreit vom Zaun zu brechen.

Andererseits wären die Abgeordneten dringend gefordert, sich von den Übergriffigkeiten des Ministers zu befreien. Denn am Beispiel der Cannabis-Legalisierung lässt sich ansatzweise beobachten, wie schnell seine Alleingänge Lauterbach irgendwann auf die Füße fallen könnten. Erst wurden die neuralgischen Punkte monatelang überhaupt nicht angesprochen oder gar ausgeräumt, jetzt warnen Expertinnen und Experten vor den viel zu hohen Mengen, dem drohenden Wildwuchs bei den Clubs und dem Chaos bei der Justiz.

Doch Lauterbach hatte das Vorhaben schon zu weit vorangebracht, um jetzt noch einmal grundsätzliche Diskussionen zu führen. Er setzte den Ländern die Pistole auf die Brust: „Jedes von SPD und Grünen mitre­gier­te Land muss wissen, dass das Cannabis-Gesetz stirbt, wenn man den Vermittlungsaus­schuss anruft.“ Da war sie wieder, die Strategie der Erpressung in letzter Minute.

Um die Inhalte geht es – bei Cannabis, aber bald auch bei anderen Themen wie den Lieferengpässen oder dem E-Rezept – längst nicht mehr. Augen zu und durch, könnte man sagen. Es ist ein Armutszeugnis für eine diktatorische Gesundheitspolitik.

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