Gesetzgebung

BMG: Kassen besitzen keine Grundrechte Lothar Klein, 30.05.2016 14:50 Uhr

Berlin - 

Nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gelten für Krankenkassen bürgerliche Grundrechte nicht vollständig. Deswegen müssten sie sogar rückwirkende Gesetzesänderungen hinnehmen: „Als dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts“ gelte für Krankenkassen der Vertrauensschutz nicht. Damit begründet das BMG einen rückwirkenden Eingriff in den Risikostrukturausgleich (RSA) der Krankenkassen, der einzelne Kassen über 100 Millionen Euro kostet. Dagegen protestiert jetzt die Techniker Krankenkasse (TK) vehement.

Laut TK geht es um die Berechnungsgrundlagen für Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für Krankengeld und Versicherte, die im Ausland wohnen. Diese hatte der Gesetzgeber 2014 im sogenannten Morbi-RSA, neu geregelt. Das Gesetz war zum 1. August 2014 in Kraft getreten. Das Bundesversicherungsamt (BVA) habe die Berechnungsgrundlagen daraufhin jedoch rückwirkend auch schon ab dem Jahr 2013 angewandt. Nach eigenen Angaben wird die TK deswegen mit einem „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“ belastet.

Auch die AOK Rheinland/Hamburg ist negativ betroffen und hatte vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) geklagt. Das LSG gab ihr Recht und hob den angefochtenen Bescheid des BVA auf.

Jetzt will das BMG mit einem rückwirkenden Eingriff Rechtssicherheit herstellen. Das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot stehe einer rückwirkenden Klarstellung nicht entgegen, argumentiert das BMG in einem Änderungsantrag zum Transplantationsregister-Gesetz, das am kommenden Mittwoch vom Gesundheitsausschuss des Bundestags beraten wird. „Bei dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Rückwirkungsverbot geht es in erster Linie um den grundrechtlich verbürgten (Vertrauens-)Schutz des einzelnen Bürgers“, schreibt das BMG.

Krankenkassen nähmen als dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts der Sache nach Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahr und könnten daher nicht zugleich Verpflichtete und Adressaten der Grundrechte sein. Außerdem werde durch die rückwirkende Klarstellung keine Krankenkasse schlechter gestellt.

Mit der Anpassung solle das Vorgehen des BVA „offensichtlich im Nachhinein auf eine rechtliche Grundlage gehievt werden“, kritisiert die TK. Das BMG wolle Fakten schaffen getreu dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“. „Es liegt doch auf der Hand, dass auch die Kassen verlässliche Rahmenbedingungen für ihr Wirtschaften brauchen“, so Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK.

„Es ist grundsätzlich richtig, dass der Gesetzgeber am Morbi-RSA schraubt“, so Baas. Der Finanzausgleich sorge bei Weitem nicht für faire Wettbewerbsbedingungen unter den Kassen. Bisher habe das BMG aber nur Einzelaspekte aufgegriffen, statt die grundsätzliche Systematik zu reformieren, die Fehlanreize setze. Baas: „Doch selbst eine große Reform, die wirklich bitter nötig ist, kann nicht einfach rückwirkend greifen.“

Die Planungssicherheit der Kassen erschütterte darüber hinaus auch ein zweiter Antrag, der ebenfalls an das Transplantationsregistergesetz angehängt ist und den der Gesundheitsausschuss ebenfalls am 1. Juni berät: Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zukünftig auch unterjährig die Möglichkeit bestehen, Festlegungen im Morbi-RSA anzupassen. Baas: „Eine solide Haushaltsplanung wird damit nahezu unmöglich. Wir fordern die Politik daher auf, die Änderungsanträge zurückzunehmen.“