Datenaffäre

Gericht will Mails von Rösler, Bahr und Widmann-Mauz

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Berlin -

Im Prozess um die Datenaffäre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) möchte das Landgericht Berlin jetzt wissen, welche Geheimnisse überhaupt in den E-Mail-Postfächern der Leitungsebene lagerten. Das Ministerium wird per Beschluss aufgefordert, dem Landeskriminalamt Berlin (LKA) die archivierten Mails aus einem definierten Zeitraum zur Verfügung zu stellen, vom damaligen Minister Philipp Rösler (FDP) und allen Staatssekretären.

Konkret wollen die Richter alle E-Mails vom 18. bis 23. November 2009 einziehen, und zwar von Rösler, den damaligen Staatssekretären Stefan Kapferer, Daniel Bahr (FDP) und Annette Widmann-Mauz (CDU) sowie Abteilungsleiter Franz Knieps, Ministerialrat Ulrich Dietz und Referent Dr. Niels-Jürgen Seeberg-Elverfeldt. Die heutige Hausleitung soll dem LKA jetzt aus diesen Postfächern die Ein- und Ausgänge sowie die Entwürfe aus der fraglichen Zeit heraussuchen.

Damit das Gericht nicht mit zu viel Datenmüll überlastet wird, soll das LKA die Mails sortieren. Der Fokus soll auf „Regelungsvorhaben, vor allem in Bezug zur Apothekerschaft“ oder allgemeinem gesundheitspolitischen Interesse liegen sowie persönliche Äußerungen oder Terminen der genannten Personen. Das Gericht möchte sodann alle „als relevant oder gar brisant anzusehende Nachrichten“ ausgedruckt bekommen.

Dem ehemaligen IT-Mitarbeiter Christoph H. sowie dem heutigen Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, Thomas Bellartz, wird vorgeworfen, zwischen 2009 und Ende 2012 im Ministerium Daten ausgespäht zu haben. In der fraglichen Woche im November 2009 soll H. auf die Postfächer der Leitungsebene zugegriffen haben.

Die E-Mails könnten für die Richter Beweismittel sein, ob in den Postfächern relevante Nachrichten vorhanden waren. Ebenso wichtig für das Gericht ist, von welchem Geheimhaltungsinteresse die Nachrichten damals waren. Da im Ministerium laut Zeugenaussagen Back-up-Kopien gespeichert werden, dürfte die Beschaffung der Daten-CDs aus Sicht des Gerichts nicht allzu schwer sein. Zusätzliche Brisanz erhält der Beschluss aufgrund eines sehr aktuellen Bezuges. Widmann-Mauz ist aktuell immer noch Parlamentarische Staatssekretärin im BMG. Bei der Kabinettsbildung der neuen großen Koalition gilt sie aber als gesetzt für den Posten als Gesundheitsministerin.

Damit die Verteidiger von der Vorauswahl des LKA nicht benachteiligt werden, werden die Daten-CDs aus dem BMG allen Parteien vollständig zur Verfügung gestellt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil bei Bellartz laut seinem Anwalt Professor Dr. Carsten Wegner im Rahmen der Ermittlungen kein einziges Dokument beschlagnahmt worden war, das dieser nicht hätte besitzen dürfen. Der andere Angeklagte H. hatte ausweislich der bisherigen Zeugenaussagen als Systemadministrator sowieso freien Zugang zu allen Postfächern.

Nicht zuletzt aus diesem Grund forderte Bellartz‘ Verteidigung beim heutigen Verhandlungstermin erneut einen vorgezogenen Freispruch. Der Staatsanwalt soll darlegen, wie er sich den vermeintlichen Tathergang vorstellt und welche Zugangssicherung im BMG überwunden werden musste. Denn ohne Hürde kein Datendiebstahl nach § 202a Strafgesetzbuch (StGB), so das Argument der Verteidigung. Nach den bislang erfolgten Aussagen interner und externer IT-Mitarbeiter konnten die Systemadministratoren unaufgefordert auf sämtliche Server und Postfächer zugreifen, ohne dass die Konteninhaber dies überhaupt mit bekämen.

Das Gericht hatte Wegner zufolge selbst drei vermeintliche Tathandlungen ausgeblendet, weil es bis zur Änderung der Zugriffsrechte am 20. Juli 2009 eben keine angemessene Sicherung gegeben habe – und damit ein Diebstahl auch theoretisch unmöglich gewesen wäre. Aus Sicht der Verteidigung hat sich an der Zugangssicherung aber auch nach diesem Stichtag nichts geändert. Das haben die bisherigen Zeugen tatsächlich so bestätigt. Wegner sieht daher keinen Bedarf, weitere Zeugen zu befragen.

H.s Anwältin Diana Nadeborn wies darauf hin, dass der vor zwei Wochen vernommene ehemalige Kollege ihres Mandanten zwei weitere Wege aufgezeigt habe, wie Systemadministratoren ohne Probleme auf Postfächer zugreifen konnten. Diese Aussage habe H. entlastet – und dass, obwohl der Zeuge ein schlechtes Bild vom Angeklagten habe zeichnen wollen. Seine entlastenden Aussagen zu technischen Fragen seien daher besonders glaubhaft. Demnach seien Aufträge von Mitarbeitern aus dem BMG an die IT-Verantwortlichen nicht dokumentiert und Postfächer nicht vor Zugriffen gesichert worden. Alle Administratoren hätten dasselbe Passwort benutzt.

Das Gericht hatte nach Angaben des Vorsitzenden bislang keine Zeit, sich außerhalb der Verhandlungstage näher mit der Frage zu befassen, ob unter diesen Umständen ein Datendiebstahl überhaupt möglich war. Womöglich wollen die Richter auch noch die Aussagen von H.s Ex-Frau abwarten, die in der kommenden Woche gehört wird.

Der Zeuge der heutigen Verhandlung, ein Referent aus dem BMG, konnte jedenfalls nichts Neues zum vermeintlichen Tathergang beitragen. Er hatte damals den Anruf des anonymen Hinweisgebers entgegengenommen und zweimal mit diesem telefoniert. Aus den Mails an die zuständigen Mitarbeiter im BMG, die im Gerichtssaal verlesen wurden, geht hervor, dass er die Schilderungen des Anrufers für glaubhaft hielt. Warum dieser unerkannt bleiben wollte, wusste der Zeuge nicht.

Den Fall hat er intern weitergeleitet und sich dann nicht mehr damit befasst. An die meisten damals zu Protokoll gegebenen Details konnte er sich auf Nachfragen der Richter nicht mehr erinnern. Nach einer guten Stunde war der heutige Verhandlungstermin zu Ende.

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