Krankenkassen müssen Dumpingpreise akzeptieren. Dies hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) bestätigt. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor; die Vergabekammer des Bundes hatte im April erklärt, dass Angebote bei einer Ausschreibung nur dann abgelehnt werden müssen, wenn die Preise in einem offenbaren Missverhältnis zur Leistung stehen und zu erwarten ist, dass der Bieter seine Pflichten nicht erfüllen könne. AOK-Rabattchef Dr. Christopher Hermann ist über die neuerliche Entscheidung zugunsten des Herstellers entsetzt.
In dem Streit ging es um ein Kontrazeptivum von Mibe. Die Vergabekammer hatte argumentiert, dass Unternehmen nur dann von Ausschreibungen ausgeschlossen werden dürften, wenn für den Auftraggeber angesichts eines drohenden Ausfalls negative Konsequenzen drohten. Dies sei nicht der Fall, außerdem sei eine Verdrängung von Wettbewerbern nicht wahrscheinlich. Dem folgte das OLG in seiner Entscheidung am Mittwoch.
Die AOK ist entsetzt: „Mit dieser Entscheidung legitimiert das OLG Preisdumping und hat natürlich auch die Verantwortung für die Folgen am Markt zu tragen“, so Hermann. Mit dem OLG im Rücken könnte ein Pharmaunternehmen nun „sein dreistes Geschäftsmodell verwirklichen und damit Marktverdrängung betreiben, die aller fairen wettbewerblichen Logik entbehrt“.
Das Unternehmen habe seine Antibabypille quasi kostenlos angeboten und könne jetzt „mit OLG-Freibrief seine Gratis-Offerte über einen Rabattvertrag mit allen AOKs in den deutschen Markt drücken“. Genau solche Auswüchse sollte das Vergaberecht laut Hermann verhindern. „Hier hat wohl niemand ausreichend realisiert, dass das Unternehmen mit dieser Null-Strategie vor hat, Wettbewerber in diesem Segment auszuschalten. Später kann es dann kassieren“, so Hermann mit Blick auf den Wegfall der Kostenübernahme ab dem vollendeten 20. Lebensjahr.
Die OLG-Entscheidung hebele die vergaberechtlich verankerte Auskömmlichkeitsprüfung der Angebote im Rahmen des Vergabeverfahrens aus. Laut Hermann wäre vielmehr notwendig, dass solche Prüfungen in ihrer Stringenz gestärkt und nicht „anything goes“ eingeführt werde.
„Es liegt uns bereits ein weiteres Angebot über eine Schenkung von Arzneimitteln vor. Wie wir uns dagegen noch rechtlich wehren können, müssen wir jetzt genauestens prüfen“, kündigte Hermann an.
Die AOK Baden-Württemberg hatte im Juli 2015 federführend für alle Ortskrankenkassen neue Rabattpartner für 117 Wirkstoffe und Kombinationen gesucht. Mibe gab ein extrem niedriges Angebot für ihr orales Kontrazeptivum mit Chlormadinon und Ethinylestradiol ab. Die AOK forderte deshalb eine Offenlegung der Kalkulation.
Die Dermapharm-Tochter legte dar, dass das Angebot auskömmlich sei: Es sei zwar nicht kostendeckend – man rechne aber damit, dass ein großer Teil der Frauen Selbstzahlerinnen sei und sich ein Zuschlag positiv auf die Marktstellung auswirke. Man legte dem Schreiben entsprechende Berechnungen und den Jahresabschluss für 2013 bei.
Ein externer Gutachter der AOK kam zu dem Schluss, dass der Angebotspreis des Unternehmens zu einer „erheblichen Kostenunterdeckung“ führen werde. Er ging nicht davon aus, dass der Bieter während der gesamten Vertragslaufzeit seinen Lieferpflichten nachkommen könne. Die AOK schloss das Unternehmen daraufhin von der Vergabe aus.
Das wollte der Hersteller nicht hinnehmen, rügte die Kasse und beantragte schließlich bei der Vergabekammer des Bundeskartellamtes die Einleitung eines Nachprüfungverfahrens. Zwar waren auch Mitglieder der Vergabekammer überzeugt, dass der Hersteller einen unauskömmlichen Angebotspreis genannt hat – allerdings könne er den Auftrag trotzdem ordnungsgemäß erfüllen.
Es erscheine nicht unplausibel, dass Frauen, die ein Kontrazeptivum auf Kassenkosten erhielten, dem Produkt auch dann treu blieben, wenn sie es nach Überschreiten der Altersgrenze selbst zahlen müssten. Die Erwartung entsprechender Mehreinnahmen sei daher „nicht gänzlich ausgeschlossen“.
Zudem sei den inzwischen vorgelegten Umsatzzahlen des Jahres 2014 zu entnehmen, dass sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens verbessert habe. Vor diesem Hintergrund konnte die Vergabekammer nicht erkennen, warum das Unternehmen nicht in der Lage sein sollte, seine Lieferpflichten zu erfüllen.
Schließlich musste das Bundeskartellamt prüfen, ob Mibe mit seinem unauskömmlichen Angebot wettbewerbskonforme Ziele verfolgt. Das sei der Fall, da dass Unternehmen derzeit nur einen Marktanteil von 3 Prozent habe: Selbst wenn es dem Hersteller mit Hilfe des Rabattvertrages und den von prognostizierten Folgewirkungen gelingen sollte, seinen Marktanteil zu steigern, werde dies nicht dazu führen, dass er dadurch in der Lage sei, andere Wettbewerber vom Markt zu drängen. Das Bestreben, auf einem bislang nicht zugänglichen Markt mit einem Angebot Fuß zu fassen, sei als wettbewerbskonformes Ziel anerkannt.
Kontrazeptiva mit Chlormadinon wurden laut Arzneiverordnungsreport (AVR) im Jahr 2014 etwas seltener abgegeben als zuvor: 44 Millionen Tagesdosen wurden demnach zu Lasten der Krankenkassen verordnet. Der größte Teil, knapp 23 Millionen Tagesdosen, entfielen auf Belara von Gedeon Richter. Dahinter folgten Bellissima von Meda mit 8 Millionen und Chloee von Zentiva mit 6 Millionen Tagesdosen (DDD). Auf Chariva, ebenfalls von Gedeon Richter, kamen knapp 4 Millionen DDD, auf MonoHexal und Enriqa von Jenapharm jeweils 2 Millionen DDD.
Auf dem Markt sind deutlich mehr Präparate, Angiletta von Puren Pharma, Bilmon von 1A, Bonita von Aliud, Lilia von Aristo, Lisette von Mylan, Madinance von Acis, Madinette von Mibe, Minette von Kade, Neu Eunomin von Gedeon Richter, Pink Luna von Stada, Solera von Hormosan und Verana von Ratiopharm.
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