Nutzenbewertung

Glaeske: Regierung verspielt 1,8 Milliarden Alexander Müller, 27.05.2014 14:24 Uhr

Scheininnovationen enttarnen: Der Gesundheitsökonom Professor Dr. Gerd Glaeske sieht durch die Nutzenbewertung des Bestandsmarktes ein Einsparpotential von bis zu 1,8 Milliarden Euro. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Nicht alle neuen Arzneimittel sind gute Arzneimittel, findet Professor Dr. Gerd Glaeske. Bei der Vorstellung des Arzneimittelreports der Barmer GEK präsentierte der Gesundheitsökonom Zahlen zu möglichen Einsparungen in der Arzneimittelversorgung. Glaeske schlägt eine feste Generikaquote und eine Rückkehr zur Nutzenbewertung des Bestandsmarktes vor. Barmer-Vize Dr. Rolf-Ulrich Schlenker fordert eine kontinuierliche Überprüfung neu zugelassener Arzneimittel.

Insgesamt zeigt sich Schlenker mit den bisherigen Erfahrungen des AMNOG zufrieden: Die frühe Nutzenbewertung trenne echte von Scheininnovationen. Immerhin für die Hälfte der 70 bislang überprüften Arzneimittel sei ein Zusatznutzen nachgewiesen worden. Aus Sicht des Barmer-Vize wäre es aber notwendig, die Arzneimittel im Rahmen einer „Spätbewertung“ nach etwa zwei Jahren erneut zu überprüfen.

Glaeske und Schlenker kritisieren, dass die Regierung auf die Nutzenbewertung des Bestandsmarktes verzichtet. Aus pragmatischen Gründen sei dies nach den gemachten Erfahrungen zwar nachvollziehbar, aus Sicht der Versorgungsqualität sei es aber nicht wünschenswert, so Schlenker. „Dann müssen wir eben an die Ärzte appellieren, keine Scheininnovationen zu verordnen.“

Glaeske dagegen hat eine Wiederaufnahme des Bestandsmarktsaufrufs noch nicht abgeschrieben: „Ich halte es für nicht tragbar, dass bei den Arzneimitteln ein großer Teil des Marktes in der Qualität weit zurückfällt.“ Die Kassen müssten sich aus seiner Sicht schon aus wirtschaftlichen Gründen darum bemühen: Seinen Zahlen zufolge waren die Top-30-Präparate bei den Arzneimittelausgaben der Barmer im Jahr 2012 allesamt Produkte aus dem Bestandsmarkt.

Allein für die Barmer sieht Glaeske ein Einsparvolumen von bis zu 250 Millionen Euro. Hochgerechnet auf den GKV-Markt wären es bis zu 1,8 Milliarden Euro. Eine Überprüfung sei dringend erforderlich, da etliche der oft verordneten Arzneimittel „aber auch gar keinen Zusatznutzen haben“, so Glaeske.

Ein unnötiger Kostentreiber sind Glaeske zufolge auch Scheininnovationen. 10 Prozent der Arzneimittelausgaben der Barmer GEK entfallen Glaeske zufolge auf den Me-too-Markt – bei einer engen Definition. Andere Schätzungen gingen von bis zu 30 Prozent im GKV-Markt aus. Dass einige Kassen trotzdem Rabattverträge über solche Produkte schließen, kann Glaeske nicht verstehen.

Der Gesundheitsökonom schlägt als Gegenmittel auch eine Erhöhung der Generikaquote von derzeit 75 Prozent vor: Wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) mit den Krankenkassen eine feste Quote von 85 Prozent vereinbarten, ließe sich im System viel Geld ohne Qualitätsverlust sparen, so Glaeske. Auf die gleiche Weise müssten auch Biosimilars gefördert werden.

Kritisch sieht der Gesundheitsökonom vor allem die Risiken neuer Medikamente zur Blutverdünnung. Das Sicherheitsprofil der Marcumar-Nachfolger wie Xarelto (Rivaroxaban) oder Pradaxa (Dabigatran) sei nicht abschließend geklärt. „Ihre Verordnung sollte nur gezielt und nicht in der Breite erfolgen“, so Glaeske. Laut Arzneimittelreport entfielen 2013 jedoch 87 Prozent der Ausgaben für Mittel zur oralen Antikoagulation auf die neuen Medikamente.

Dies liegt laut Glaeske vor allem an dem Marketing der Hersteller. Gerade die Ärzte im Osten seien in den Fokus der Industrie gerückt. Entsprechend höher waren hier die Verordnungszahlen. „Viele Ärzte verschreiben gerne etwas Neues, weil sie denken, ihren Patienten damit etwas Gutes zu tun“, so Glaeske. Unabhängige Informationen seien deshalb umso wichtiger.

Vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) würde sich Glaeske daher ein „Zwischenfazit“ vor allem zu Xarelto wünschen. Es müsse geklärt werden, wie die Risiken angesichts der aufgetretenen unerwünschten Nebenwirkungen einzuschätzen seien. „Dass das aktuell nicht gemacht wird, halte ich für unverantwortlich“, so Glaeske.