Generika

Die nervigsten Rabattverträge der Geschichte

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Berlin -

Erfolg ist relativ: Als AOK-Rabattchef Dr. Christopher Hermann im Sommer 2007 Bilanz zog, war er sehr zufrieden. Mit der ersten Runde seiner neuen Rabattverträge hatte er damals im Startquartal 30 Millionen Euro eingespart. Aktuell laufen AOK-Rabattverträge zu 276 Wirkstoffen und Kombinationen mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rund fünf Milliarden Euro. Einsparungen 2015: 1,5 Milliarden Euro.

In der Apotheke gehören die Rabattverträge zum Alltag. Aber nur weil das Prozedere eingespielt ist, bedeutet das nicht, dass immer alles glatt läuft. Lieferengpässe oder Complianceprobleme müssen täglich bewältigt und dokumentiert werden. Doch es gab auch Rabattverträge, unter denen die Apotheker ganz besonders gelitten haben.

Anspruchsvoll war gleich die angesprochene erste AOK-Tranche. 2007 hatte die Große Koalition mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) die Rabattverträge „scharf gestellt“ – die Apotheken also zur bevorzugten Abgabe gesetzlich verdonnert. Die AOK Baden-Württemberg schloss im April federführend für alle Ortskrankenkassen die ersten „echten“ Rabattverträge: mit elf Herstellern Verträge über 42 Wirkstoffe.

Viele große Generikahersteller hatten sich gar nicht erst beteiligt. Sie hatten keine Gebote abgegeben und wollten die Sache aussitzen. Die Zuschläge erhielten Hersteller wie Wörwag, Biomo oder Teva – also Firmen, die bei den Apothekern kaum bekannt waren, geschweige denn bei den Patienten. Dieser Umstand führte, zusammen mit der Pflicht zur Umstellung, zu einigen Diskussionen am HV-Tisch.

Das zweite Problem war ebenfalls eher allgemeiner Natur: In den ersten Jahren zettelten Hersteller immer wieder juristische Verfahren gegen die Rabattverträge an. Bis die Vergabekammer beim Bundeskartellamt, das Oberlandesgericht Düsseldorf und das Landessozialgericht Essen die wichtigsten Fragen geklärt hatten, sorgte die Verzögerung für weiteren Ärger. Denn die Prozesse hatten zur Folge, dass die Kassen oft erst kurz vor Beginn der Laufzeiten final die Zuschläge erteilen konnten. Da die Hersteller wiederum nicht riskieren konnten oder wollten, auf Verdacht ihre Lager zu füllen, kam es zu Beginn der Verträge wiederholt zu Lieferengpässen – und neuer Erklärungsnot am HV-Tisch.

Und dann kamen die Exoten: Im Dezember 2008 erhielt die bis dahin weitgehend unbekannte Firma KSK den AOK-Zuschlag für den wichtigsten Wirkstoff der damaligen Rabattrunde: Omeprazol ging in allen seinerzeit fünf Losgebieten an die Firma aus dem baden-württembergischen Berghausen. Die Lieferfähigkeit war nicht das Problem, mit der Herstellung war die spanische Firma Belmac beauftragt. Ärger gab es wegen der Packungsgrößen: Denn KSK hatte die Zuschläge für seine Einheiten mit 15, 28, 56 und 98 Omeprazol-Kapseln gewonnen, die meisten anderen Hersteller hatten Packungen mit 30, 60 und 100 Stück.

Umstritten war monatelang, ob die Generika trotzdem gegeneinander ausgetauscht werden dürfen oder nicht. Die Apotheker gerieten zwischen die Fronten, wurden von allen Seiten mit sich widersprechenden Meldungen und Info-Faxen überhäuft und wahlweise mit Retaxationen oder Schadensersatzforderungen bedroht. Am Ende verlor KSK viel Geld, die AOK viel Rabatt und die Apotheker viele Nerven.

Ratiopharm interpretierte seinerzeit die Rolle als Rädelsführer und Krawallmacher gegen die AOK-Verträge. In dieser Rabattrunde erklärten die Ulmer gleich sieben ihrer Produkte für nicht austauschbar. Der Hersteller war bei der Ausschreibung leer ausgegangen und sah anschließend die Bedingungen für die Substitution bei den Produkten nicht erfüllt: Ratiopharm verwies auf Unterschiede bei den Indikationen, Wirkstärken und Packungsgrößen. Zum Thema Substitution hatte damals jeder eine Meinung, das Chaos war perfekt.

Doch die AOK saß am längeren Hebel. Irgendwann sahen die Hersteller ein, dass sie die Rabattverträge nicht mehr aus der Welt schaffen konnten und machten mit. Die Kassen genossen in der Kommunikation sichtlich ihre neue Machtposition. In der zuständigen Abteilung einer Kasse gab es dem Vernehmen nach sogar ein Tippspiel zum jeweils größten gebotenen Rabatt pro Wirkstoff. In einem kuriosen Fall musste wenigstens einmal sogar das Los entscheiden, welcher Hersteller den Zuschlag erhalten sollte.

Bis heute übernehmen teilweise eigene Firmen die Ausschreibungen für mehrere Kassen: Beim BKK-Gemeinschaftsunternehmens Spectrum K kamen 2011 bei Omeprazol dabei ebenfalls zwei Newcomer zum Zug: Eine mittlerweile abgewickelte Firma namens Volkspharma und die Heumann-Schwester Heunet. Außerdem an Bord waren Biomo und Hennig.

Verträge mit mehrere Rabattpartnern waren zwar seit jeher ein Anliegen des Deutschen Apothekerverbands (DAV), damit die Apotheker wenigstens etwas mehr Auswahl haben. Doch Spectrum K überraschte plötzlich mit neuen Regeln: Kurz vor dem Start der Verträge am 1. März 2012 erhielten die Apotheken per Fax Instruktionen zur Umsetzung. Demnach sollten sie die Rabattpartner in der Reihenfolge ihrer Wirtschaftlichkeit abgeben, um die Rabatte zu maximieren. Die Apotheker zeigten sich allerdings nicht bereit, die Liste über 79 Fachlose und 37 verschiedene Rabattpartner vor jeder Abgabe zu konsultieren, denn in der Software gab es natürlich keine Differenzierung der Rabatthöhe.

Einen weiteren großen Aufreger gab es 2011: Betapharm hatte den Zuschlag für Metoprolol Succinat erhalten. In den ersten Wochen des Vertrages gingen einige tausend Packungen über den HV-Tisch, jedenfalls auf dem Papier respektive Rezept. In Wahrheit konnte Betapharm überhaupt keine Ware liefern, sollte aber plötzlich Herstellerabschläge bezahlen. Offenbar hatten Apotheken aus Angst vor Retaxationen Rezepte mit dem Rabattpartner bedruckt, eigentlich aber andere Hersteller abgegeben. AOK-Chef Hermann schäumte vor Wut, hetzte die Staatsanwälte auf die Apotheken und drohte mit Millionenstrafen. Die Sache ging aus wie das Hornberger Schießen.

2012 warf die AOK dann erstmals einen Rabattpartner wegen mangelnder Lieferfähigkeit raus. Der Vertrag mit Dexcel über Metformin wurde zum 31. März gekündigt. Die Kasse begründete die kurzfristige Vertragsauflösung mit anhaltenden Lieferengpässen des Herstellers. Zum Oktober desselben Jahres wurden außerdem die Rabattverträge mit Betapharm über Metoprolol, Ranitidin und Spironolacton aufgelöst.

Ein Dauerbrenner ist das Schilddrüsenmittel L-Thyroxin. Weil es immer wieder zu Engpässen bei dem meist verordneten Arzneimittel kommt, ist die Umsetzung der Rabattverträge besonders anspruchsvoll. Dass der Wirkstoff auf die Aut-idem-Liste aufgenommen wurde und seitdem überhaupt nicht mehr ausgetauscht werden darf, hat die Lage nicht vereinfacht. Und auch ganz aktuell gibt es mit den Rabattverträgen Ärger, weil Hersteller nicht liefern können. Betroffen wieder einmal: Metoprolol.

Der heutige Chef des BKK Dachverbands, Franz Knieps, hatte die Rabattverträge 2007 als mögliches Instrument bezeichnet, um Erfahrungen zu sammeln, wo im Gesundheitswesen Wettbewerb möglich sei. Angesichts von Hilfsmittel-, Impfstoff- und Zytoausschreibungen haben sich seine Worte bewahrheitet.

Knieps, damals als Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG) für Krankenkassen zuständig, sagte auch noch, dass er eine Gefahr für die Versorgungssicherheit der Patienten nicht sehe. Schließlich bestehe für jeden Versicherten die Möglichkeit die Kasse zu wechseln, falls er mit den Rabattverträgen seiner Versicherung unzufrieden sei.

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