„Wenig ambitioniert, kompliziert und aktuell nicht zielführend“

Geller zu Konjunkturpaket: „Bonbons für bestimmte Wählergruppen“

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Berlin -

Das 130-Milliarden-Konjunkturpaket der Bundesregierung trifft in der Wirtschaft überwiegend auf Zustimmung. Kohlpharma-Geschäftsführer Jörg Geller gehen die Maßnahmen jedoch nicht weit genug: Statt eines sechsmonatigen Intermezzos fordert er eine dauerhafte Reform der Mehrwertsteuer und kritisiert die Gewichtung der einzelnen Maßnahmen.

Grundsätzlich sei es zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Unternehmen steuerlich entlasten und kleinen und mittleren Unternehmen unter die Arme greifen will. Auch, die Kommunen in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken und die Stabilität der Lohnnebenkosten zu gewährleisten, sei sinnvoll – doch nicht weitreichend genug. „Gemessen am Infektionsgeschehen müssen wir jedoch die Wirtschaft insgesamt schneller von überholten Auflagen und lähmenden Einschränkungen befreien, um weitere Insolvenzen zu vermeiden“, so Geller.

Das ist jedoch nur die Arbeitgeberperspektive. „Mit Blick auf die Arbeitnehmerschaft wundere ich mich aber über die Gewichtung einzelner Maßnahmen“, sagt Geller. So sehe das Paket zwar eine Milliarde Euro für die Infrastruktur bei Krippen und Kitas vor, aber 2,5 Milliarden für Ladesäulen für Elektroautos. „Trotz erhöhter Kaufprämien steht das sicher nicht ganz oben auf der Einkaufsliste unserer Mitarbeiter oder dem Personal in der Apotheke“, so Geller. „Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind arbeitsfähige und personell wie materiell entsprechend ausgestattete Betreuungseinrichtungen und Schulen von weitaus größerer Bedeutung und in mehrerlei Hinsicht eine Investition in die Zukunft.“

Strukturelle Reformen statt punktueller Hilfen fordert Geller auch bei der Mehrwertsteuer und der Unterstützung für Eltern. „Nachfrageseits halte ich die Maßnahmen wie eine marginale und zeitlich begrenzte Mehrwertsteuerreduzierung, die zu versteuernde Einmalzahlung pro Kinder von 300 Euro oder Kaufprämien für bestimmte Autos in der Summe wenig ambitioniert, kompliziert und aktuell nicht zielführend“, sagt er. „Das alles wirkt eher wie Aktionismus beziehungsweise wie Bonbons für bestimmte Wählergruppen.“ Stattdessen müsse der Moment genutzt werden für eine dauerhafte und grundlegende Reform der Mehrwertsteuer, inklusive einer deutlichen Reduzierung bei Medikamenten – „mindestens auf das Niveau von Lebensmitteln“, so Geller. „Wer mehr konsumieren soll braucht letztlich deutlich mehr Netto vom Brutto.“

Deshalb macht Geller einen Gegenvorschlag: Zur kurzfristigen und sofort wirksamen Ankurbelung der Binnennachfrage wäre demnach ein „Année blanche“, also die Nichtberücksichtigung der Löhne, Gehälter und Renten bei der Berechnung der individuellen Steuerlast das beste Konjunkturpaket. „Der Konsument kann dann auch auf breiter Front frei entscheiden, ob er sich damit ein neues Auto, neue Möbel und den Computer für die Kinder zulegt, im Restaurant essen geht, in Urlaub fährt oder in das Eigenheim investiert und den Handwerker bezahlt.“

Dass Konsumenten letztlich von ihrem Nettoverdienst einkaufen, betont auch der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA). Dass der Schwerpunkt des Konjunkturpakets auf der personellen und technischen Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes liegt, sei grundsätzlich zu begrüßen. Auch die Förderung der inländischen Arzneimittelproduktion mache Sinn. „Allerdings ist dann auch zu bedenken, dass es Abnehmer geben muss, die unter Umständen entsprechend höhere Preise bezahlen“, so der Vorsitzende Christian Buse. „Wir hätten uns in diesem Zusammenhang noch ein klareres Bekenntnis auch zur digitalen Gesundheitsversorgung gewünscht: Die Pandemie macht sehr deutlich, dass digitale Versorgungsansätze nicht nur gerne angenommen werden von den Menschen. Sie schützen die Menschen auch, indem unnötige Kontakte vermieden werden.“

Bei den Kassen wiederum sieht man die Verbesserungen für das Portemonnaie des Bürgers vor allem in den Zusicherungen an die Sozialversicherungen begründet: Der BKK Dachverband beispielsweise begrüßt ausdrücklich, die „Sozialgarantie 2021“ der Bundesregierung, wonach die Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 Prozent gehalten werden sollen. „Damit werden vor allem der Anstieg der Lohnnebenkosten verhindert und die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer geschützt“, erklärt Vorstand Franz Knieps. Außerdem habe die Krise deutlich die Schwachstellen der Öffentlichen Gesundheitsdienste (ÖGD) aufgezeigt, die in den letzten Jahren deutlich unterfinanziert und mit viel zu wenig Personal ausgestattet gewesen seien. „Wir finden es begrüßenswert, dass die aktuellen Erfahrungen aus dieser Pandemie aufgegriffen werden und der Bund mit den Ländern und Kommunen ein ‚Paket für den öffentlichen Gesundheitsdienst‘ in Höhe von vier Milliarden Euro schnüren will, um die zusätzlich erforderlichen Stellen in den Gesundheitsämtern vor Ort für die kommenden fünf Jahre zu sichern“, so Knieps.

 

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