Einfallstor für Fälschungen, Ursache für Engpässe, Auslöser für Bürokratie: In der politischen Diskussion werden viele Argumente gegen Parallelimporte vorgetragen. Jörg Geller, Geschäftsführer von Kohlpharma, Vorstand des Branchenverbands VAD und seit Kurzem Präsident des EU-Dachverbands „Affordable Medicines Europe“, lässt die Kritik nicht gelten. Aus seiner Sicht könnten Importeure bei der Lösung der Probleme helfen – wenn man sie denn ließe.
Geller rechnet vor: In den vergangenen zehn Jahren seien die Arzneimittelausgaben in Europa von 150 auf 187 Milliarden Euro gestiegen, der Anteil der Parallelimporte aber bei 5,5 Milliarden Euro konstant geblieben. „Wenn der Marktanteil der Parallelimporte sinkt, können sie zwangsläufig nicht die Ursache für Knappheit sein.“
Auch den Vorwurf, ärmeren Ländern würden Arzneimittel weggekauft, will Geller anhand von Zahlen entkräften: 51 Prozent des Umsatzvolumens kämen mittlerweile aus Hochpreisländern in Westeuropa und Skandinavien. Auf der anderen Seite entwickelten sich Länder wie Polen zu Importmärkten. „Eine Durchschnittspreisbetrachtung ist vollkommen irrelevant, denn selbst im billigsten Markt gibt es Arzneimittel, die teurer sind als in anderen Ländern – und anders herum. Wir schauen ausschließlich auf das Einzelprodukt.“
Ohnehin seien die typischen Lieferengpässe kein Phänomen des importrelevanten Marktes, sondern beträfen überwiegend Generika. Hier müssten Probleme im Zusammenhang mit der Produktion und der Lieferkette sowie die Marktverzerrung durch Rabattverträge gelöst werden. Im patentgeschützten Markt müsse dagegen über die aktive Marktsteuerung durch Originalhersteller gesprochen werden – von der Kontingentierung bis hin zum kompletten Opt-out.
Exportverbote, wie sie derzeit im Zusammenhang mit Engpässen als Ultima ratio diskutiert werden, sind aus seiner Sicht keine taugliche Lösung. Einerseits seien Hersteller und Großhändler ohnehin zu bedarfsgerechten Belieferung verpflichtet; darüber hinausgehende Ausfuhrbeschränkungen seien schnell europarechtswidrig. Andererseits sei eine saubere Definition, in wie vielen Apotheken Ware vorrätig sein müsse, nicht zu finden.
„Eine gesetzliche Regelung würde nicht wirklich etwas ändern“, sagt Geller und verweist auf Ungarn: Hier sei kein einziger der 1200 Einträge im Engpassregister mit Exporten oder dem Parallelhandel begründet worden. Wie schnell Exportverbote missbraucht werden könnten, sehe man dagegen in Polen: Hier seien auf der Liste schon Produkte aufgeführt gewesen, die noch gar nicht am Markt gewesen seien. Ein Deal der Politik mit der Industrie, um die gewünschten Preise zu bekommen?
Was er fordert, sind nicht weniger, sondern mehr Freiheiten für den Parallelhandel. Bei Securpharm sei man in Sachen Fälschungsschutz ganz vorne mit dabei, und erst im vergangenen Jahr habe seine Branche unter Beweis gestellt, dass sie auch bei Engpässen helfen könnte: Als hierzulande Grippeimpfstoffe knapp wurden, habe alleine Kohlpharma dank Ausnahmegenehmigung 12.000 Packungen besorgt, die in Frankreich nicht benötigt wurden. Verdient habe man daran übrigens nichts, wie er zu Protokoll gibt.
Den Vorstoß der tschechischen EU-Abgeordneten Kateřina Konečná, den erzwungenen Import vom Arzneimitteln nach Deutschland abzuschaffen, findet Geller „allzu durchsichtig“: Nie zuvor habe sich nach seiner Kenntnis die Politikerin der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens mit Arzneimittel- oder Gesundheitsthemen beschäftigt. Dass ausgerechnet sie nun den hiesigen Rahmenvertrag mit Lieferengpässen in anderen Ländern in Verbindung bringe, sei lächerlich.
Ohnehin hätten die neuen Abgaberegelungen nicht den Boom gebracht, der anfangs geradezu beschworen worden sei: Teure Medikamente müssen seit vergangenem Jahr nicht mehr 15 Euro, sondern 5 Prozent günstiger sein, um auf die Importquote angerechnet zu werden. Seitdem habe sich die Zahl der angebotenen preisgünstigen Handelsformen bei großen Importeuren wie Kohlpharma auf gut 700 halbiert, rechnet Geller vor. Anders als im ersten Monat sei die Zahl der abgegebenen Packungen im Gesamtjahr nur um 5 Prozent gewachsen.
Jörg Geller ist seit 2010 Geschäftsführer von Kohlpharma. Er arbeitet seit 1997 in führenden Positionen für den saarländischen Reimporteur, davor war er für die OTC-Sparte von Bayer tätig, zuletzt als Leiter Verkaufs-Innendienstes. Nach dem Vorstudium der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat er Betriebswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studiert.
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