Antibiotika zählen zu den bedeutendsten Errungenschaften der modernen Medizin. Doch ihre aktuelle Situation in Deutschland ist bedroht, warnen Hersteller und Verbände. Lieferengpässe sowie die Zunahme antibiotikaresistenter Bakterien gefährden die Gesundheitsversorgung weltweit. Im Rahmen des „Pharma Deutschland Antibiotikatags“ lud Pharma Deutschland Vertreter:innen von Herstellern, Krankenkassen und Politik ein, um über Lösungen für die Krise zu diskutieren.
„Antimikrobielle Resistenzen stellen eine stetig wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit dar und schwächen vor allem fragile Gesundheitssysteme. Die Herausforderung liegt jedoch nicht nur im medizinischen Bereich, sondern ebenso in wirtschaftlichen und strukturellen Hürden“, betonte Dr. Georg Kippels (CDU).
„Das Marktversagen im Bereich der Forschung an und Entwicklung von neuen antimikrobiellen Wirkstoffen hemmt den Markteintritt neuer, dringend benötigter Wirkstoffe.“ Dabei liege gerade in Deutschland eine große Chance, innovative Anreizmodelle zu fördern. Reserveantibiotika aus der Überprüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie herauszunehmen, sei zwar ein sinnvoller Ansatz, reiche aber zur Bewältigung der Herausforderung nicht aus.
„Insbesondere für so grundlegende und lebenswichtige Wirkstoffe wie Antibiotika muss die Arzneimittelversorgung nachhaltiger und in Europa gemeinsam gedacht werden“, so Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Es brauche dafür dringend Änderung im EU-Arzneimittelrecht und eine stärkere Stimme Deutschlands in der EU, um gemeinsam versorgungspolitische Initiativen zu entwickeln und voranzutreiben. Nur so könne die Verfügbarkeit von wirksamen Antibiotika ganzheitlich stabilisiert werden, sagt Bauernfeind.
Auch Thomas Weigold von Sandoz/Hexal sieht Handlungsbedarf, um die Produktion in Europa und Deutschland aufrechtzuerhalten und zu stärken. „Es braucht Anreize, um Produktionsstandorte in Deutschland zu erhalten. Hier muss künftig viel stärker vernetzt gedacht werden, denn Arzneimittel sind ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur. Deshalb benötigen wir einen ressortübergreifenden Ansatz, der Gesundheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitspolitik miteinander verbindet, und nicht immer nur neue Auflagen für die Industrie“, appelliert Weigold.
„Ohne attraktive Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion bleibt die Gesundheitsversorgung gefährdet. Deutschland hat die Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen“, erklärt auch Dr. Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland.
„Pharmahersteller stehen bei der Entwicklung neuer Antibiotika vor unterschiedlichen Herausforderungen“, erklärte Thomas Heil von Iqvia. Grund für den Investitionsstau seien die hiesigen Standortprobleme. „In Deutschland tragen nach dem Jahr 2020 eingeführte Antibiotika lediglich 2 Prozent zum Gesamtumsatz mit Antibiotika bei. Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass es einfach keine neuen Antibiotika gibt“, kritisiert Heil.
Doch nicht nur die Standortbedingungen müssten verbessert werden, auch in der sachgerechten Anwendung der Antibiotiker sehen die Experten Verbesserungsbedarf. „Nur durch präzise Diagnostik und gezielte Behandlungen können wir die Resistenzbildung verlangsamen, die Wirksamkeit existierender Antibiotika erhalten und Reserveantibiotika für den Notfall bewahren. Eine global vernetzte ganzheitliche Strategie, die vor allem wirksame Push- und Pull-Mechanismen miteinander kombiniert, ist der einzige Weg, diese Krise effektiv zu bewältigen“, betont Kippels.
„Antibiotika sind hoch wirksame Arzneimittel, die zielgerichtet eingesetzt werden müssen, um auch künftig wirksam zu bleiben. Allerdings erhält zum Beispiel bei akuter Pharyngitis aktuell jeder zweite Patient in der Hausarztpraxis ein Antibiotikum, obwohl nur jeder fünfte tatsächlich einen bakteriellen Infekt hat“, erklärt Cosima Bauer, Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsinstituts May und Bauer.
Bauer sieht hier erhebliche und einfach zu realisierende Verbesserungspotenziale: „Point-of-Care-Tests in Hausarztpraxen und Apotheken ermöglichen eine schnelle Identifikation bakterieller Infektionen. So können Patienten mit bakterieller Pharyngitis gezielt behandelt und unnötige Verordnungen vermieden werden. Unsere Berechnungen zeigen, dass der Einsatz dieser Tests für die Krankenkassen budgetneutral ist und gleichzeitig die Versorgungsqualität sowie die Patientensicherheit erhöht.“
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