Deutschland hat gegen die Menschenrechte verstoßen, indem einem heroinabhängigen Häftling aus Bayern über Jahre im Gefängnis ein Ersatzstoff wie Methadon verwehrt wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wertete das nun in einem Urteil als unmenschliche Behandlung. Beschwerde eingereicht hatte ein 1955 geborener Mann, der in der Justizvollzugsanstalt (JVA) im bayerischen Kaisheim jahrelang kein Methadon bekommen hatte. Er ist seit seiner Jugend heroinabhängig, außerdem HIV-positiv und an Hepatitis C erkrankt.
In Deutschland entscheidet nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) jede Haftanstalt selbst, ob sie ein Methadon-Programm anbietet. Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede. Die Straßburger Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, gegen alle Kammerurteile kann binnen drei Monaten Berufung eingelegt werden.
Die Richter weisen darauf hin, dass sie nicht zu entscheiden hatten, ob der Gefangene tatsächlich einen Heroin-Ersatzstoff brauchte. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Behörden seinen Gesundheitszustand in angemessener Weise bewertet und eine geeignete Behandlung gewählt haben. Hier stellt das Gericht Defizite fest. Insbesondere hätte die JVA unabhängige Experten hinzuziehen müssen.
Bei der Bewertung des Falls spielte eine Rolle, dass der Mann schon seit mehr als vier Jahrzehnten heroinabhängig ist und mehrere Male vergeblich versucht hatte, von der Droge loszukommen. Vor seiner Haft war er von 1991 bis 2008 in einem Methadon-Programm. Auch nach der Entlassung verschrieb ihm ein Arzt wieder eine Ersatzbehandlung.
Der Mann war 2009 wegen Drogenhandels zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. In dieser Zeit wurde er in eine Klinik zum „kalten Entzug“ verlegt. Weil er heimlich Methadon konsumierte, musste er 2010 zurück in die JVA. Im Gefängnis bekam er Medikamente gegen seine chronischen Schmerzen. Eine Heroin-Ersatzbehandlung hielten die Behörden für nicht notwendig, sie schade auch der Rehabilitation.
Laut Urteil deutet aber vieles darauf hin, dass eine Substitution hier erforderlich gewesen wäre. Eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums komme zu dem Schluss, dass für Abhängige die Behandlung mit einem Ersatzstoff die bestmögliche Therapie sei. Die Richter betonen, dass Gefangene medizinisch nicht schlechter versorgt werden dürften als Menschen in Freiheit.
Laut DGS bekommen in Berlin vier Prozent und in Nordrhein-Westfalen zehn Prozent aller Häftlinge eine Ersatzbehandlung. In Bayern seien es zuletzt nur 0,4 Prozent gewesen. Im Juli waren in einem Würzburger Gefängnis knapp 50 vornehmlich drogenabhängige Häftlinge in Hungerstreik getreten, um unter anderem eine Methadon-Behandlung zu erzwingen.
In den bayerischen Gefängnissen erhalten nur sehr wenige Häftlinge und Sicherungsverwahrte Methadon. Nach Angaben des Münchner Justizministeriums waren es zum zuletzt erfassten Stichtag am 31. März 2016 lediglich 35 Gefangene, zum Stichtag 31. Dezember 2015 seien es 45 gewesen. Landesweit gebe es unter den rund 11.000 Häftlingen und Sicherungsverwahrten bei 769 eine festgestellte Abhängigkeit von Opioiden – unter diese Stoffgruppe fällt auch Heroin.
In der bayerischen Justiz ist beim Umgang mit Suchterkrankungen die Drogenabstinenz das primäre Ziel. Den drogenabhängigen Gefangenen werden Angebote mit Informations-, Gruppen- und Einzelgesprächen bis hin zur Vermittlung an externe Therapieeinrichtungen gemacht. Um einen Missbrauch zu verhindern, sieht der Haftalltag aber auch intensive Kontrollen und Durchsuchungen vor.
Um Substitutionsangebote wie Methadon zu bekommen, muss ein zugelassener Anstaltsarzt zustimmen. Dies geschieht auf der Grundlage der geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer nur, wenn eine Drogentherapie mit Methadon die erfolgversprechendere Behandlungsform darstellt.
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