Gastkommentar

Wer kontrolliert die Kassen?

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Berlin -

Es sei die neue Dimension eines alten Problems, sagt Apotheker Dr. Franz Stadler. Aus seiner Sicht werden die Krankenkassen von ihren Aufsichtsbehörden zu wenig kontrolliert. Zum Alltag der Apotheker gehörten teilweise absurde Retaxationen. Doch besonders im Zusammenhang mit den Ausschreibungen der parenteralen Versorgung zeige sich das ganze Ausmaß der unkontrollierten Willkür, so Stadler. Fünf Beispiele legt er in einem Gastkommentar vor.

Verwürfe I
Trotz diverser öffentlicher Klarstellungen zum Thema Verwürfe, die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG), von Frau Professor Dr. Irene Krämer oder gar von anderen Krankenkassen (siehe DAK/GWQ-Ausschreibung Bieterfrage 158) kamen, legte die AOK Bayern jüngst Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Würzburg ein. Dort waren, nach jahrelanger Prozessdauer, ebenfalls die alleinige Gültigkeit der Angaben von Fachinformation beziehungsweise Hilfstaxe bestätigt und die AOK zur Zahlung der zuvor einbehaltenen, aber korrekt abgerechneten Verwürfe verurteilt worden.

Der finanzielle Druck auf den Kollegen bleibt also für weitere Jahre – möglicherweise bis zu einem letztinstanzlichen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) – erhalten, erhöht sich gegebenenfalls sogar. Und niemand schreitet gegen diese durchsichtige Verzögerungstaktik ein.

Verwürfe II
DAK/GWQ hätte gerne mögliche Verwürfe für die Jahre 2017 ff. in einen mg-Preis eingerechnet, der zudem unter dem der jetzt gültigen Hilfstaxe liegen muss. Niemand kann auf Basis der 2015er Zahlen künftige Verwürfe, die sich situationsbedingt therapie- und haltbarkeitsabhängig als pharmazeutische Notwendigkeit ergeben, seriös vorausberechnen. Trotzdem schreitet keine Aufsichtsbehörde gegen dieses Ansinnen ein.

Haltbarkeiten gebrauchsfertiger Infusionslösungen
Obwohl die Fachinformationen, die hier allein verbindlich sind, zum Teil sehr kurze Haltbarkeiten für die zubereiteten Infusionsbeutel angeben, verlängert DAK/GWQ in ihrer Ausschreibung einfach kurzerhand die möglichen Lieferzeiten bei adhoc-Zubereitungen auf 90 Minuten mit dem Argument, es soll ja kein potentieller Bieter vom Abgeben eines Angebots abgehalten werden. Statt generell die Fahrtzeiten, die sich durch die pharmazeutischen Notwendigkeiten eigentlich klar ergeben, zu kontrollieren, wird bei der Vergabe allein auf die errechnete Gesamtersparnis geblickt – ohne auch nur einen Gedanken auf mögliche Gesundheitsschäden durch die Verabreichung arzneimittelrechtlich verfallener Infusionsbeutel zu verschwenden. Wieder schreitet keine Aufsichtsbehörde ein.

Herstellung in der Arztpraxis
Das BSG entschied, dass ein Arzt aus Wirtschaftlichkeitsgründen dazu verpflichtet werden könnte, monoklonale Antikörper (MAK) selbst gebrauchsfertig zu machen. Dieses Urteil, das in einer langen Reihe kassenfreundlicher Urteilen des BSG steht, missachtet nicht nur längst zum Standard gewordene Anforderungen von Produkt-, Patienten- und Mitarbeiterschutz im Umgang mit CMR-toxischen Substanzen, sondern in vielen Fällen auch das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Da herstellende Apotheken bei der Zubereitung von MAK für ihre Leistung nur 71 Euro Herstellpauschale bekommen, sich der mg-Preis für das Arzneimittel aber von der größten, verfügbaren Packung ableitet und ohne weiteren Aufschlag bleibt, ergibt sich rechnerisch ein Arzneimittel-EK von knapp 2360 Euro, ab dem die Herstellung in einer spezialisierten Apotheke günstiger ist als der Bezug von Fertigarzneimitteln und deren Zubereitung durch den Arzt – ein Betrag der bei MAK schnell erreicht ist. Außerdem sind nur unter Reinraumbedingungen Verwürfe gegebenenfalls vermeidbar. An diesem Beispiel wird gut sichtbar, dass sich die Willkür der Kassen in der Überforderung und möglicherweise fehlenden Kompetenz der Bundessozialrichter fortsetzt. Hier wäre wohl, wie beim Recht des Patienten auf freie Apothekenwahl, der Gesetzgeber gefordert.

Zuschlagserteilung bei Ausschreibungen
In der vergangenen Woche machte das NDR-Magazin Panorama die Vergabe eines Loses der AOK Rheinland/Hamburg an den Apotheker Günter Zeifang zum Thema. Ohne auf die Qualität des Panorama-Beitrages (sollte in einigen Punkten hinterfragt werden) oder auf die Schuldfrage Zeifangs eingehen zu wollen, wurde jetzt durch den öffentlichen Druck der Medien der Zuschlag in diesem Los zurückgenommen. Wiederum willkürlich, aber ganz ohne das Eingreifen von Aufsichtsbehörden und ohne lange Sozialgerichtsverfahren änderte die AOK sehr schnell ihr Verhalten.

Was sollen wir aus diesen Fällen lernen? Die Zuschlagserteilung bei Ausschreibungen erfolgt ohne weitere Prüfung rechtlicher Grundlagen und möglicher kritischer Parameter allein auf Basis der errechneten Einsparungen. Pharmazeutische Bedenken vorzubringen oder gar zu versuchen, diese gegen die jeweilige Kasse vor den Sozialgerichten einzuklagen, ist ein langwieriger und selten von Erfolg gekrönter Prozess. Die letzte Instanz ist immer das Bundessozialgericht, dessen (Fehl-) Urteile wohl allein der Gesetzgeber korrigieren könnte.

Sind wir als Leistungserbringer also machtlos? Oder sollte wirklich nur massiver öffentlicher Druck helfen, das willkürliche Verhalten der Kassen zu beeinflussen? Die Gefahr dabei ist jedoch, dass das verbliebene Restvertrauen in unser Gesundheitssystem weiter erschüttern würde. Wir müssten notgedrungen die Skandalgier der öffentlichen Medien befriedigen. Das ist zwar möglich und der Weg muss vielleicht gegangen werden, aber ein letzter Hilferuf bleibt: Gibt es wirklich keine Aufsichtsbehörden gegen Kassenwillkür? Wenn doch: Bitte schnell melden!

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