Vorwurf der „Rosinenpickerei“

Gassen: Termingarantie ist „populistischer Blödsinn“

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Berlin -

Im Streit um die ärztliche Versorgung in Deutschland wirft die Deutsche Stiftung Patientenschutz manchen Kassenärztinnen und -ärzten Voreingenommenheit vor. Sie würden Kassenpatient:innen benachteiligen, ohne dass dies aufgedeckt werde. „Rosinenpicker werden nicht identifiziert“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch an die Adresse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

In Deutschland werden nach Angaben des Kassen-Spitzenverbands rund 73 Millionen Versicherte von einer gesetzlichen Krankenkasse versorgt – rund 90 Prozent der Bevölkerung. Die privaten Krankenversicherungen hatten nach Angaben ihres Verbands (PKV) 2023 insgesamt gut 38 Millionen laufende Versicherungen im Bestand, darunter 8,7 Millionen Voll- und 29,6 Millionen Zusatzversicherungen.

Vorwürfe zur Terminvergabe und Reaktionen

Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen hatte sich in einem Interview gegen Vorwürfe gewehrt, dass Kassenpatientinnen und -patienten lange auf Termine warten müssten. Ein aktuelles Bundestagswahl-Versprechen der SPD, durch eine Termingarantie Unterschiede zwischen privat und gesetzlich Versicherten in diesem Punkt abzuschaffen, nannte Gassen in der „Rheinischen Post“ „populistischer Blödsinn“. Brysch erklärte: „Der KV-Vorsitzende kann nicht davon ablenken, dass Selbstzahler bei der Terminvergabe klar bevorzugt werden.“ Medizinische Gründe seien es nicht, die gesetzlich Versicherte benachteiligten.

Aus dieser Diskrepanz hatte kürzlich ein Augenarzt aus Solingen ein Geschäft machen wollen und bot über das Buchungsportal Jameda Selbstzahlertermine auch für gesetzlich Versicherte an. Das Landgericht Düsseldorf untersagte ihm dies, da gesetzlich Versicherte während der regulären Sprechzeiten keine bevorzugte Behandlung gegen Aufpreis erhalten dürfen.

Der SPD und Vertretern von Patientinnen und Patienten sind die Unterschiede schon lange ein Dorn im Auge, die viele Praxen bei der Terminvergabe zwischen Privat- und Gesetzlich-Versicherten praktizieren. Ärztlicherseits wurde gelegentlich argumentiert, die Praxen bräuchten so eine Vorgehensweise, damit sie Probleme bei der Honorierung von Behandlungen gesetzlich Versicherter ausgleichen könnten.

Aktuell reagierte Gassen auf den Vorwurf des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), dass bei der Vergabe von Arztterminen eine Bevorzugung von Privatversicherten gegenüber gesetzlich Versicherten vorherrsche. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Terminverteilung ungerecht genannt. Der Streit findet vor dem Hintergrund des Wahlkampfs für die Bundestagswahl am 23. Februar statt.

SPD-Vorschlag und Ablehnung durch die KBV

Die SPD verbindet mit ihrem Vorschlag einer Termingarantie die Idee, dass Versicherte bei Nichteinhaltung einen Anspruch auf Beitragsreduzierungen bekommen sollten. Gassen lehnt den gesamten Vorstoß ab. „Dafür müsste es zunächst klare medizinisch begründete Dringlichkeiten geben und Praxen müssten über freie Kapazitäten verfügen.“ Die SPD hätte sie in der vergangenen Legislatur von Bürokratie befreien können. „Jetzt mit einer Termingarantie, die niemals umsetzbar wäre, vom eigenen Regierungsversagen ablenken zu wollen, ist durchschaubar und etwas armselig“, sagte Gassen.

Der GKV-Spitzenverband reagierte knapp. „Beim Klicken auf Online-Buchungsportale kann jeder PKV oder GKV anklicken und so selbst überprüfen, ob die Terminvergabe fair und gleich ist oder nicht“, sagte Verbandssprecher Florian Lanz.

Brysch bezeichnete das Problem als „noch größer“. Nicht alle Praxen seien online überhaupt erreichbar. Mitunter müssten Patientinnen und Patienten persönlich in die Praxis gehen, um einen Termin zu bekommen. Privatpatientinnen und -patienten bekämen ihn oft schneller. Doch die Kassenärztliche Bundesvereinigung stelle keine Transparenz darüber her, sagte Brysch. Daten fehlten. „Dabei hat sie den Sicherstellungsauftrag.“ Hierbei handelt es sich um den gesetzlichen Auftrag an die KBV, die ärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten zu gewährleisten.

Mehr Transparenz und Gleichbehandlung

Brysch sagte, die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten ein Auseinanderklaffen zwischen privat und gesetzlich unterbinden. Die gängige Praxis schädige den Ruf vieler engagierter Ärztinnen und Ärzte. „Doch weder die Angebote der Notfallsprechstunden, die Erreichbarkeit noch die Präsenzzeiten der rund hunderttausend Praxen werden von der Lobby der Kassenärzte überprüft.“

Der Patientenschutz-Vorstand forderte deshalb eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Qualitätsüberprüfungen. „Populismus von Ärzten und Politik hilft niemandem.“ Die Kranken im ganzen Land würden erleben, dass die kassenärztlichen Bereitschaftsdienste und ambulanten Notfallpraxen zusammengestrichen würden. „Gerade Patientinnen und Patienten in strukturarmen Regionen trifft es hart, denn auch hier zieht sich die kassenärztliche Versorgung zurück.“

Brysch machte damit noch auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der immer wieder als ungerecht kritisiert wird. „Stattdessen konzentrieren sich Praxen in lukrativen Gegenden“, sagte er. „Auch das sind Gründe, warum Rettungsdienste und Krankenhäuser mit ihren Notaufnahmen überlastet sind.“

In Bezug auf Termine hatte die Chefin des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, bereits im August gefordert: „Eine gerechte Vergabe von Arztterminen ist unabdingbar.“ Gerade in Zeiten, in denen gesetzlich Versicherte oft Monate oder gar Jahre auf einen Facharzttermin warten müssten, dürften sie nicht zu Patienten zweiter Klasse werden. Eine nicht unerhebliche Zahl von Arztpraxen vergebe Termine ausschließlich an Privatversicherte oder Selbstzahler.

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