Gassen: GKV-Spitzenverband liefert „Fake-News“ Lothar Klein, 14.12.2018 11:36 Uhr
Nicht nur die Apotheken nimmt der GKV-Spitzenverband gerne aufs Korn. Auch gegen die niedergelassenen Ärzte wird im Rahmen der Lobbyarbeit gerne ausgeteilt. In der Debatte um das Terminservice-Gesetz (TSVG) wartet der Kassenverband mit einer Forsa-Umfrage auf, wonach jede vierte Einzelpraxis weniger als 25 Wochenstunden Sprechzeiten anbietet. „Fake-News“ schimpf der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen. Die Zahlen seien „nicht repräsentativ“ und „irreführend“.
„Solche Erhebungen sind eine Verschwendung von Versichertengeldern mit dem Ziel der Irreführung, kurzum Fake-News. Jetzt leider auch in Deutschland!“, reagierte Gassen auf die Zahlen des GKV-Spitzenverbands. „Das Ganze ist nicht nachvollziehbar“, sagte Gassen weiter. Verwundert zeigte er sich darüber, dass überhaupt Angaben zu Praxen enthalten sind, die weniger als 25 Sprechstunden in der Woche anbieten. „Offenbar kennen die Kassenfunktionäre ihre eigenen Vereinbarungen nicht. Im Bundesmantelvertrag ist eine Mindestzeit von 20 Wochenstunden aufgeführt“, so der KBV-Chef.
„Die Praxen, die weniger als 20 Wochenstunden angegeben haben, gibt es nur sehr wenige. Und hier muss in jedem Fall hinterfragt werden, woran das liegt. Sprechstundenzeiten sind ja nicht gleichzusetzen mit Behandlungszeiten für Patienten. Wenn ein niedergelassener Kollege viele Operationen und Untersuchungen durchführt, kann er logischerweise weniger Sprechzeiten anbieten.“ Sowohl die KBV als auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hätten kürzlich sehr viel umfassendere und repräsentative Befragungen von Praxen zu deren Sprechzeiten durchgeführt.
Der GKV-Spitzenverband hatte Forsa in diesem Sommer mit einer Umfrage unter Ärzten beauftragt. Danach haben niedergelassene Haus- und Fachärzte im Schnitt 29 Stunden pro Woche Sprechzeit für Kassenpatienten. Die Spanne reiche dabei von rund 27 Wochenstunden bei HNO-Ärzten über rund 28 Wochenstunden bei Orthopäden, Augen- und Kinderärzten sowie 29 Wochenstunden bei Gynäkologen bis zu etwas über 30 Wochenstunden bei Hausärzten. Die Angaben beziehen sich jeweils auf die durchschnittlichen Sprechstunden pro Woche inklusive Hausbesuchen in den befragten Einzelpraxen mit Vollzulassung.
Ein nicht unerheblicher Anteil bleibe allerdings weit unter diesen Zeiten: Insgesamt böten 25 Prozent der befragten Einzelpraxen mit Vollzulassung weniger als 25 Sprechstunden (inklusive Hausbesuche) pro Woche an und 8 Prozent sogar weniger als 20 Sprechstunden. So böten beispielsweise 30 Prozent der Augenärzte in Einzelpraxen weniger als 25 Sprechstunden pro Woche an. In der Fachgruppe der Gynäkologen bleibe gut jeder Fünfte (21 Prozent) unter dieser Marke.
„Die Umfrage zeigt, dass Ärzte schon heute im Schnitt deutlich mehr als 25 Wochenstunden Sprechzeit anbieten. Dass sie für die nun gesetzlich vorgesehene Erhöhung der Mindestsprechzeiten auf eben diese 25 Wochenstunden insgesamt mehr Geld fordern, ist insofern nicht nachvollziehbar“, so Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. Und weiter: „Gleichzeitig machen die Zahlen aber auch deutlich, dass es durchaus einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Ärzten gibt, der weniger als 25 oder gar 20 Wochenstunden Sprechzeit für die Versicherten anbietet. Die Mindestsprechstundenzahl gesetzlich auf 25 Wochenstunden zu erhöhen ist deshalb absolut richtig und notwendig.“
Im Sommer 2018 hatte das Zi die Arbeitsleistung der Praxen untersucht. Da keine rechtlich bindende Definition des Begriffs „Sprechstunde“ existiert, zog das Zi sogenannte Betriebszeiten zum Vergleich heran. Damit sind die Stunden gemeint, in denen ein Arzt in der Praxis anwesend ist. Laut Zi liegen die Betriebszeiten bei durchschnittlich 38,8 Wochenstunden. Rund 92 Prozent der Praxen gaben Betriebszeiten von 25 Stunden und mehr pro Woche an. In den meisten Praxen, so das Ergebnis, werde die Forderung des Koalitionsvertrags nach mehr Stunden bereits übererfüllt.
Laut Zi arbeiten Praxisinhaber im Durchschnitt 51,5 Wochenstunden. Davon widmen sie ihren gesetzlich versicherten Patienten 35,8 Wochenstunden. Auf Privatpatienten entfallen 5,8 Stunden, wobei es in ländlichen Gebieten und weiten Teilen der neuen Bundesländer verhältnismäßig wenige Privatpatienten gibt und deren Behandlung insofern im Praxisalltag kaum eine Rolle spielt. Allerdings müssen Praxisinhaber etwa 14 Stunden pro Woche für Aufgaben ohne direkten Patientenkontakt einsetzen. Hierzu zählen Dokumentationen, Befundstellungen, Praxismanagement und die Teilnahme an Fortbildungen.