Verbandschefin schließt Filiale

„Ganze Stadtteile verlieren ihre Apotheke“ Lilith Teusch, 26.07.2024 14:35 Uhr

Christiane Lutter, Vorsitzende des Bremer Apothekerverbands, warnt vor einer Zunahme von Apothekenschließungen und kritisiert die unzureichende Finanzierung des Kerngeschäfts. Foto: LAV Bremen
Berlin - 

Vor rund 38 Jahren übernahm Christiane Lutter ihre erste Apotheke in Bremen – fast direkt nach dem Studium machte sich die Pharmazeutin selbstständig. Knapp 20 Jahre später übernahm sie eine weitere Apotheke, ihre erste Filiale im Stadtteil Kattenturm. 2009 kam die zweite Filiale hinzu. Doch zum 30. April musste Lutter ihre erste Filiale wieder schließen. Einen Nachfolger fand sie nicht.

„Das wird nicht das Ende der Schließungen sein“, warnt die Apothekerin und Vorsitzende des Bremer Apothekerverbands. Schließungen seien keineswegs nur ein Problem auf dem Land. Auch in den Städten gehe immer mehr Infrastruktur verloren, weniger Apotheken versorgten immer mehr Patienten, Patienten müssten längere Wege und Wartezeiten in Kauf nehmen.

In Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte würden mehr Apotheken benötigt, um eine gute Versorgung sicherzustellen. Häufig müssten Apotheken in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil schließen. Aufgrund von Sprachbarrieren sei mehr Zeit für eine persönliche Beratung erforderlich, was den Zugang zu einer niedrigschwelligen Gesundheitsversorgung erschwere.

Ende vergangenen Jahres lag die Apothekendichte in Deutschland bei 21 Apotheken je 100.000 Einwohner. Schlusslichter waren Bremen und Berlin mit nur 19 Apotheken. Doch auch die 19 Apotheken seien schon verzerrt, sagt Lutter. „Einige Stadtteile in Bremen haben nur 14 Apotheken pro 100.000 Einwohner, in manchen Stadtteilen gibt es gar keine Apotheke mehr.“

Unterfinanzierung des Kerngeschäfts

Das größte Problem sieht Lutter in der unzureichenden Honorierung. „Die Abgabe von Arzneimitteln ist unterfinanziert, da hilft es auch nicht, wenn mehr Kunden in die Apotheke kommen“, erklärt Lutter. Die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) und das Impfen sollten nach Ansicht der Apothekerin als Extras zum Kerngeschäft gesehen werden, aber nicht als notwendige Angebote, da die eigentliche Kernaufgabe der Apotheke finanziell nicht mehr auskömmlich sei.

Weniger Zeit für die Beratung

Die unzureichende Finanzierung führe zu längeren Wartezeiten und Personalmangel, warnt die Apothekerin. „Man kann nicht einfach eine neue PTA oder einen Apotheker einstellen“, erklärt sie. Dafür sei das Budget zu knapp, außerdem fehlten die Räumlichkeiten. Und wenn sich aufgrund der gestiegenen Nachfrage lange Schlangen bildeten, bedeute das zusätzlich Stress für das Personal. Letztlich bleibe weniger Zeit für die individuelle Beratung der Patienten.

Kürzere Öffnungszeiten seien eine „Mogelpackung“ und führten nur zu mehr Arbeitsverdichtung, so Lutter. „In den Stunden vorher hat man ja nicht nichts gemacht“, so die Apothekerin. „Mehr Menschen sollen dann in kürzerer Zeit in gleicher Qualität versorgt werden. Wie soll das gehen?“, fragt sie sich. Die persönliche Beratung könne eben nicht „fixer“ erfolgen. Die Konsequenz wäre, dass die Kapazitäten genau geplant werden müssten. Beratung und pDL wären dann nur noch nach Terminvereinbarung möglich. „Eigentlich ist man es gewohnt, einfach in die Apotheke zu gehen und eine qualifizierte Beratung zu bekommen. Das ändert sich jetzt“, sagt Lutter.

Mogelpackung

Auch die „Apotheke light“ ist für Lutter eine Mogelpackung. Zum einen müssten PTA für Führungsaufgaben besser bezahlt werden, meint die Apothekerin. Zum anderen sei der Apotheker während der Videosprechstunde nicht mehr in der Hauptapotheke verfügbar.

Am HV-Tisch höre man oft zu und greife bei Bedarf in das Kundengespräch ein, erklärt die Apothekerin. Beim Light-Konzept dagegen müssen die PTAs selbst einschätzen, wann sie Unterstützung brauchen. „Außerdem sitzt der Apotheker nicht ständig vor dem Bildschirm“, sagt sie. Diese Annahme sei „weltfremd“, findet Lutter. „Der Kunde will sich darauf verlassen können, dass, wenn draußen ein ‚A‘ steht, auch ein Apotheker drin ist“, erklärt sie.

Fehlendes Vertrauen

„Es muss mehr Geld ins System“, betont die Apothekerin. Die marginale Margensteigerung über einen Zeitraum von zehn Jahren könne die gleichzeitig steigenden Kosten nicht ausgleichen. Durch E-Rezept und Lieferengpässe steige der Arbeitsaufwand im System zusätzlich, ohne dass dies kompensiert werde.

Jungen Kolleginnen und Kollegen müsse Vertrauen und Sicherheit gegeben werden. Ein erhöhter Abschlag und das Skontourteil führten zu einem Vertrauensverlust in das System.

„Es sind die äußeren, nicht die betriebswirtschaftlichen Umstände, die die Situation unsicher machen“, erklärt die Apothekerin. So sei es schwierig, für Standorte einen Nachfolger zu finden. „Auch meine Apotheke war unverkäuflich“, sagt Lutter. Viele Apothekeninhaber seien 60 Jahre und älter und würden in absehbarer Zeit in Rente gehen. Man mache so lange weiter, bis man aus bestehenden Verträgen wie Mietverträgen herauskomme und schließe dann den Standort ganz.

Die Kreditaufnahme bei Banken sei aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage oft schwierig. „Das sieht man auch an den Zahlen: Die Schließungen überwiegen, Neugründungen gibt es kaum“, sagt Lutter. Die Selbstständigkeit scheint sich kaum noch zu lohnen. „Ein Inhaber trägt das volle Risiko – für das Gehalt eines Filialleiters“, sagt sie. „Es ist wichtig, jetzt zu zeigen, dass es der Branche nicht gut geht“, betont sie.